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In Senegal wird bereits geimpft - viele ärmere Länder der Welt haben noch überhaupt keinen Zugang zu Impfstoff.

© Xing Jianqiao/XinHua/dpa

Pro & Contra zum WTO-Treffen zu Corona: Impfpatente aufheben ist auch eine Frage von Eigennutz

Pro Patentfreigabe: Handelsbeschränkungen, die die zügige Impfstoffproduktion verhindern, müssen für die Dauer der Pandemie gelockert werden. Und nicht nur das!

Marion Lieser ist Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende von Oxfam Deutschland. Stephan Exo-Kreischer leitet die Arbeit der US-Nichtregierungsorganisation ONE in Deutschland.

Seit einem Jahr hat die Corona-Pandemie die Welt fest im Griff. Über zwei Millionen Menschen sind bereits an oder mit dem Virus gestorben, über 100 Millionen daran erkrankt, viele leiden langfristig unter gesundheitlichen Schäden. Zugleich vertieft die pandemiebedingte Wirtschaftskrise die sozialen Gräben innerhalb und zwischen Gesellschaften, zerstört Existenzen und Zukunftshoffnungen.

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Unsere Hoffnungen ruhen auf den Impfstoffen. Deshalb ist es verständlich, wenn hierzulande der schleppende Start der Impfkampagne Frust und Ärger auslöst. Doch wir sollten nicht vergessen: Deutschland und einige weitere wohlhabende Länder haben sich genug Impfstoff gesichert, um bis Ende des Jahres ihre Bevölkerungen drei Mal impfen zu können.

Demgegenüber werden in ärmeren Ländern des globalen Südens neun von zehn Menschen dieses Jahr ohne Impfschutz bleiben, wenn es nicht gelingt, das globale Impfstoffangebot massiv zu erhöhen. Aktuell haben 130 Länder auf der Welt noch keine einzige Dosis Impfstoff erhalten. Zeit also für eine Strategieänderung.

Eine vielversprechende Maßnahme, um schnell mehr Impfstoffe bereitstellen zu können, ist die temporäre Aussetzung des internationalen Patentschutzes. Dies könnte es verschiedenen Herstellern ermöglichen, in die Produktion von Corona-Impfstoffen einzusteigen. Am 1. März berät die Welthandelsorganisation (WTO) auf Antrag Indiens und Südafrikas über eine befristete Ausnahmeregelung vom sogenannten TRIPS-Abkommen, das den Schutz geistiger Eigentumsrechte regelt.

Unterstützt wird dieser Schritt von der überwiegenden Mehrheit der WTO-Mitglieder sowie vielen NGOs, der Weltgesundheitsorganisation und den Vereinten Nationen. Deutschland, die G7 und einige andere wirtschaftlich privilegierte Länder sperren sich jedoch gegen das Vorhaben. Die Entscheidung soll im Konsens getroffen werden. Klappt das nicht, bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit für die Annahme des Vorschlages.

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Allen Menschen schnellstmöglich eine Impfung zu ermöglichen, ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Es liegt auch in unserem eigenen Interesse. Denn niemand ist vor Corona sicher, solange nicht alle Menschen geschützt sind. Wenn das Virus sich in Teilen der Welt weiterhin ungebremst ausbreiten kann, ist die Gefahr von Mutationen groß, die auch bei uns eine dritte, vierte oder fünfte Welle auslösen können.

Arbeiter entladen auf Teneriffa eine Lieferung von Corona-Impfstoff.
Arbeiter entladen auf Teneriffa eine Lieferung von Corona-Impfstoff.

© Moncloa/EUROPA PRESS/dpa

Zudem drohen wirtschaftliche Verluste in Höhe von über neun Billionen US-Dollar, wenn versäumt wird, allen Menschen schnellstmöglich Impfschutz zu bieten. Fast die Hälfte davon ginge zulasten wohlhabender Länder, selbst wenn die Bevölkerung dort erfolgreich geimpft wurde.

Es ist deshalb moralisch, politisch und wirtschaftlich dringend geboten, Handelsbeschränkungen, die die rechtzeitige Herstellung von Impfstoffen verhindern, zumindest für die Dauer der Pandemie zu lockern, um Impfstoffe in ausreichender Menge und zu einem Preis bereitzustellen, der auch für finanzschwache Länder erschwinglich ist.

Wir brauchen neue Patent-Spielregeln auch für die nächste Pandemie

Auch über die aktuelle Pandemie hinaus ist es wichtig, eine breitere Debatte darüber anzustoßen, wie wir uns global auf neue Patent-Spielregeln einigen können. Es muss in Ausnahmefällen wie diesen möglich sein, Impfstoffe und Therapeutika effizient und schnell zu produzieren und einzusetzen. Wir müssen schneller werden als die viralen Bedrohungen, denen wir mit Sicherheit begegnen werden.

Die temporäre Aussetzung des Patentschutzes wird sicher nicht alle Probleme lösen. Aber sie kann den Regierungen momentan einen größeren Handlungsspielraum verschaffen, das Risiko langwieriger und kostspieliger Prozesse senken, potentiell die Produktentwicklung beschleunigen und das Angebot an Medikamenten, Impfstoffen und medizinischen Produkten vergrößern.

Eine solche Ausnahmeregelung wäre kein Bruch mit den WTO-Regeln, sondern sie sind sogar explizit für Ausnahmefälle wie die jetzige vorgesehen. Über 100 Länder unterstützen bereits den Antrag Südafrikas und Indiens, den Patentschutz vorübergehend auszusetzen.

Bei der finalen Entscheidung bei der WTO-Generalversammlung richten sich die Augen Anfang März auch auf Deutschland. Wie mutig wird die Bundesregierung sein, wenn es darum geht, Menschenleben zu schützen? Es ist eine historische Entscheidung, an deren Ausgang wir uns noch in Jahrzehnten erinnern werden.

Marion Lieser, Stephan Exo-Kreischer

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