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Hoaxmap-Landkarte

© Tagesspiegel

Projekt Hoaxmap: Ein Portal gegen Gerüchte über Flüchtlinge

Haben Flüchtlinge aus Nordafrika Fußballer verprügelt? Dürfen Asylbewerber im Supermarkt klauen? Das Portal Hoaxmap räumt mit Gerüchten auf.

Von Matthias Meisner

Gröditz ist ein Kandidat für die Hoaxmap. Jene interaktive Landkarte also, mit der seit Wochenanfang über Gerüchte über Flüchtlinge und ihren Wahrheitsgehalt informiert wird. Ob die sächsische Kleinstadt in der Nähe von Riesa, in der am vergangenen Sonntag in aller Frühe zwei Amateurfußballer angeblich von 20 Flüchtlingen aus Nordafrika mit Eisenstangen verprügelt wurden, tatsächlich in die Karte aufgenommen wird, ist bisher offen - die Ungereimtheiten sind groß, der tatsächliche Sachverhalt unklar.

Die 30-jährige Leipzigerin Karolin Schwarz, Entwicklerin der Onlinekarte hoaxmap.org, sagt über Gröditz: "Als gemeine Sächsin habe ich den Fall natürlich auf dem Schirm. Aber da würde ich die Auflösung abwarten wollen. Ich hoffe, dass es eine geben wird."

Aber auch so sind auf der Hoaxmap-Seite mit der eingebauten Google-Maps-Karte bisher mehr als 200 Fälle dokumentiert, in denen Gerüchte über Flüchtlinge verbreitet wurden, die sich als unwahr herausgestellt haben. Die meisten von ihnen haben sich in Deutschland ereignet, aber auch Fälle aus Österreich wurden bereits aufgenommen.

Nicht immer muss es dabei um unwahre Behauptungen zur Kriminalität von Flüchtlingen gehen, etwa im Fall des erfundenen toten Syrers vom Lageso. In der Karte verzeichnet ist aus Berlin auch der Fall der 13-jährigen Lisa aus Marzahn-Hellersdorf, deren Vergewaltigung durch "Südländer" sich als falsch herausstellte. Anderswo - konkret der Gemeinde Kropp in Schleswig-Holstein - geht es um das Gerücht, die Gemeinde habe Sexarbeiterinnen für Flüchtlinge bezahlt. Falsch. Wurde eine Polizistin in der Steiermark Opfer einer Gruppengewaltigung? Falsch. Dürfen Flüchtlinge in Supermärkten klauen, ohne belangt zu werden? Müssen Kaufhallen deshalb sogar schließen? Wieder falsch.

Externe Links zu Berichten der Regionalpresse

Gröditz ist insofern ein wichtiges Beispiel, weil Schwarz sich vorgenommen hat, Fälle erst dann in die Karte aufzunehmen, wenn die Behauptungen klar widerlegt sind. Dafür sind harte Quellen verlinkt - regionale Zeitungsnachrichten, offizielle Angaben von Stadt- oder Gemeindeverwaltungen. Oder auch, wie in bisher einem Fall in Sachsen-Anhalt, eine Antwort der Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage im Landtag. Die Hoaxmap ist spezieller als als das Projekt Mimikama aus Österreich, das allgemein Falschmeldungen im Internet nachgeht.

Karolin Schwarz sagt, heutzutage gebe es "an jeder virtuellen Straßenecke Gerüchte über Flüchtlinge, die gefühlt an Intensität zugenommen haben". Die Idee zu der Seite sei ihr während ihrer ehrenamtlichen Arbeit in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig von August bis Ende des Jahres 2015 gekommen. "Wenn man Leuten erzählt, dass man mit Flüchtlingen arbeitet, dann kommen ganz automatisch Gerüchte, mit denen man konfrontiert wird." Eine Rolle für ihr Engagement spielte daneben das Auftreten des Leipziger Pegida-Ablegers Legida - denn auch die Anti-Islam-Bewegung ist immer schnell, wenn es um die Verbreitung von Hetze gegen Flüchtlinge geht.

Die Resonanz auf beschreibt Karolin Schwarz als "super positiv". Dutzende neue Hinweise seien über den Twitter-Account @hoaxmap und die Mailadresse mail@hoaxmap.org seit Montag eingegangen, die nun nach und nach eingepflegt werden. Vollständigkeit kann die Landkarte bisher für sich nicht beanspruchen.

Sportverein zieht Mitteilung über Nordafrikaner-Attacke in Gröditz zurück

Und Gröditz in Sachsen? Dort hatte der SV Frauenhain zunächst behauptet, zwei seiner Spieler seien "von einer 20-köpfigen Gruppe Nordafrikaner mit Eisenstangen bewaffnet gejagt und krankenhausreif geschlagen" worden - beschuldigt wurden die Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft in Gröditz. Die Lokalpresse berichtete über eine "brutale Attacke". Doch schon am Montag erklärte ein Polizeisprecher, der Vorfall "nicht abschließend verifiziert". Er erklärte damals weiter: "Ob das so stimmt oder nicht stimmt, werden die Ermittlungen zeigen. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen."

An der Darstellung des Sportvereins gibt es erhebliche Zweifel. Ein Anwohner der Asylunterkunft berichtete dem Tagesspiegel, mehr als eine Stunde lang hätten die Hobby-Kicker vor der Asylunterkunft in Gröditz gegrölt und gepöbelt. Unter anderem sei gerufen worden, die "verfickten Neger" sollten rauskommen. Der Anwohner sagte, es sei "völlig unrealistisch", dass die Amateurfußballer mitten in der Nacht durch die Stadt gejagt worden seien.

Rechtsradikale versuchen dennoch, den Vorfall für sich auszuschlachten - auch unter Hinweis darauf, dass er im Polizeibericht vom Sonntag nicht auftauchte. Die AfD-Fraktion im sächsischen Landtag fragte: "Wollte Polizei den Überfall von Gröditz vertuschen?" Pegida höhnte auf Facebook, die Polizei habe eine Mitteilung unterlassen, "vermutlich, um keine Ressentiments zu schüren, schließlich darf man auch diese Gewalttaten nicht in Zusammenhang mit den Gästen der Kanzlerin bringen". Die rechtsextreme NPD hat für kommenden Mittwoch eine Demonstration in Gröditz angemeldet.

Die Mitteilung, mit der der Verein die Attacke gegen die zwei Spieler am Montag öffentlich gemacht hatte, ist inzwischen gelöscht. Die Polizei ermittele in alle Richtungen, erklärte der Verein nun. "Diesen Ermittlungen sollte nichts im Wege stehen. Des Weiteren wollen wir vorschnelle Urteile und Anschuldigungen welcher Art auch immer vermeiden."

Dennoch wartet Karolin Schwarz von Hoaxmap in diesem Fall lieber noch ab. (mit epd)

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