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Foto: David Mzinarischwili/rtr

© REUTERS

Politik: „Propaganda im Sowjetstil“

EU-Konservative feuern gegen Georgiens Premier.

Berlin - Die Vorwürfe wiegen schwer: Georgien verlasse den Weg der Demokratie, die Annäherung an Europa stehe infrage. So steht es in einem offenen Brief von Abgeordneten der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im Europa-Parlament, unter ihnen Elmar Brok und Joachim Zeller. Adressat ist Georgiens Premier Bidsina Iwanischwili.

Der Milliardär gewann mit seiner Koalition „Georgischer Traum“ im Herbst die Parlamentswahl und führt seither die Regierung. Doch einfach durchregieren kann er nicht. Sein erbitterter politischer Gegner Michail Saakaschwili ist noch bis zum Herbst Präsident. Dessen Partei UNM stellt die Oppositionsfraktion im Parlament, aber auch Bürgermeister, Gouverneure und Chefs wichtiger Institutionen. Für die Ex-Sowjetrepublik ist eine solche Kohabitation gänzlich neu: Noch nie mussten sich zwei Parteien die Macht teilen. Es geht hoch her, beide Seiten überhäufen sich mit Vorwürfen. Auch internationale Akteure sind involviert.

Elmar Brok, Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europa-Parlament, kritisiert die neue Regierung: „Dort findet eine totale Machtübernahme statt.“ Es werde versucht, Bürgermeister der UNM aus den Ämtern zu drängen, ebenso unliebsame Mitarbeiter aus dem öffentlichen Rundfunk. Auch die Justiz handle selektiv: „Seltsamerweise findet man Böses immer nur bei den Leuten, die heute in der Opposition sind.“ Der Christdemokrat Joachim Zeller, einst Stadtpolitiker in Berlin und seit 2009 in der EVP-Fraktion, sagt, es werde Druck auf die Abgeordneten der UNM im Parlament ausgeübt. Die EVP hat gedroht, die Unterzeichnung eines EU-Assoziierungsabkommens mit Georgien zu verweigern.

Ähnlich äußern sich seit Wochen auch Präsident Saakaschwili und seine Mitstreiter. Seine UNM ist Mitglied der EVP. Heftigen Widerspruch lösen die Anschuldigungen jedoch nicht nur beim Gegner Iwanischwili aus. Der Schweizer Botschafter in Georgien, Günther Bächler, vergleicht die Vorwürfe in einem offenen Brief an Premier Iwanischwili mit Propaganda im Sowjetstil.

Tatsächlich ist die Lage vor Ort recht komplex. Dazu tragen missverständliche Äußerungen des Neupolitikers Iwanischwili bei. Auch verliert Saakaschwilis Partei Mitglieder. Viele gehen jedoch, weil sie nicht in der Opposition sein wollen. Eka Tkeschelaschwili, Ex-Ministerin und Mitstreiterin Saakaschwilis, spricht von Opportunisten, die der UNM den Rücken kehrten. Der Druck auf UNM-Politiker resultiert jedoch aus der Wut der Bürger auf Saakaschwilis Partei, die in den vergangenen Jahren zunehmend rigoroser gegen Regierungskritiker vorging. Bei der Staatsanwaltschaft gingen inzwischen tausende Klagen ein. Viele Georgier ärgern sich, dass Iwanischwili so hart kritisiert wird, Saakaschwili in der Vergangenheit jedoch kaum.

Bei all dem geht beinahe unter, dass viele Minister im Kabinett Iwanischwilis inzwischen die Versäumnisse der Saakaschwili-Jahre aufarbeiten. Es geht um Unabhängigkeit der Behörden und der Justiz von der Politik, Transparenz und die Bekämpfung der Elitenkorruption. EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle zeigt sich denn auch zufrieden mit den Reformen und den Verhandlungen der Regierung mit der EU. „Bei einigen Themen kommen wir sogar schneller voran.“

Auf Nachfrage gesteht CDU-Politiker Zeller ein, dass Saakaschwili in den vergangenen Jahren die Gewaltenteilung schneller hätte voranbringen können. Und aus Georgien selbst gibt es inzwischen Hinweise auf Zusammenarbeit: Gerade beschloss das Parlament mit den Stimmen aller Parteien eine Verfassungsänderung. Der Präsident darf die Regierung künftig nicht mehr ohne das Ja des Parlaments ablösen.

Die Recherche für diesen Text wurde von der Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen des Förderprogramms "Journalisten vor Ort" unterstützt.

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