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Politik: Protest mit dem Spaten

Bausoldaten galten in der DDR als Staatsfeinde. Ein Berliner will die Erinnerung an sie wachhalten – in Prora

Von Matthias Schlegel

Berlin - Es ist ein bisschen wie der Kampf zwischen David und Goliath. Stefan Wolters übermächtiger Gegner ist viereinhalb Kilometer lang und aus Stein. In dem von 1936 bis 1939 von den Nationalsozialisten erbauten Koloss am Ostseestrand auf Rügen, der ein „Kraft durch Freude“-Seebad mit 10 000 Zimmern und Meerblick werden sollte, hat Wolter die schwärzesten anderthalb Jahre seines Lebens verbracht: Von November 1986 bis April 1988 war er einer von 500 Bausoldaten, die im Block 5 des Kolosses hausten und unter härtesten Bedingungen den nahe gelegenen Fährhafen Mukran mit errichteten.

Als „Menschen zweiter Klasse“ und „Staatsfeinde“ seien sie von den Vorgesetzten behandelt worden, erinnert sich der 39-jährige Medizinhistoriker, der heute in Berlin lebt. Verboten waren ihnen Kontakte zu den im benachbarten Block kasernierten NVA-Soldaten. Im Truppenkino durften sie nicht in der gleichen Reihe mit „denen“ sitzen – sie hätten die „Normalen“ infizieren können mit ihrem aufrührerischen, christlichen oder gar pazifistischen Gedankengut.

Bausoldaten waren Verweigerer des Dienstes an der Waffe und somit der Staatsführung per se suspekt. Zwei Jahre nach Einführung der Wehrpflicht in der DDR hatten die Kirchen 1964 erreicht, dass ein Gesetz erlassen wurde, das jungen Männern diese Alternative zum Wehrdienst ermöglichte. Wer selbst diesen Dienst verweigerte, wanderte unausweichlich in den Knast. Die Bausoldaten verbauten sich dagegen „nur“ ihre berufliche Karriere. Für viele von ihnen war ein Theologiestudium die einzige Möglichkeit für eine akademische Ausbildung. Dennoch nahm die Zahl der Bausoldaten gerade in den letzten Jahren der DDR immer mehr zu.

Wolter hat sich das Trauma aus der Zeit, als er den Spaten auf den Schulterklappen trug, in dem 2005 erschienenen Buch mit dem merkwürdigen Titel „Hinterm Horizont allein – Der Prinz von Prora“ von der Seele geschrieben. Doch der monströse Ort lässt den Mann nicht los, und das umso mehr, als auf dem riesigen Areal bald nichts mehr so sein wird, wie es damals war. Block 5 wurde vom Bund an den Landkreis Rügen verkauft. Dort wo der damals 19-jährige Thüringer, den die älteren Gefährten wegen seiner unangepassten und feinsinnigen Marotten den „Prinzen“ nannten, litt, soll eine Jugendherberge mit 500 Betten entstehen. Die Umbauarbeiten haben gerade begonnen. Das vor dem düsteren Gebäude liegende Freigelände ist vor wenigen Wochen bereits als Campingplatz offiziell eröffnet worden.

Wolter versucht seit Jahren beharrlich, irgendjemanden für die Idee zu begeistern, in den langen Fluren der oberen Etagen von Block 5 eine Art Dokumentations- oder Erinnerungsstätte zu errichten, in der möglichst authentisch der stillen Helden von damals gedacht werden kann. Er suchte entschlossene Verbündete und geeignete Strategien. Und er musste feststellen, dass Goliath in Prora einen neuen Koloss geboren hatte – das waren die schier undurchdringlichen Eigentumsverhältnisse, Interessenkonflikte, Nutzerrivalitäten, die Kommunalbürokratie und der kaum aufzuhaltende Vandalismus.

Dabei hatte Wolter schon einen idealen Ort für sein Vorhaben ausgemacht: den ehemaligen Klubraum. Während nahezu alle früheren Schlaf- und Aufenthaltsräume mittlerweile entkernt und ihrer Spuren der unseligen Vergangenheit beraubt sind, ist dort noch der rotbraun lackierte Fußboden zu sehen – und eine kitschige, von Hand an die Wand gemalte Karte der Insel Rügen.

Als die lärmenden Bauleute dem Raum immer näher rückten, ohne dass Wolters Rufe an vermeintliche Verbündete, an die Kommunalpolitik oder das Jugendherbergswerk als künftigen Nutzer erhört worden wären, drohte er mit der Besetzung des Raumes. Inzwischen ließ sich Rügens Bauamtsleiter Rainer Roloff erweichen, die Tür des Klubraums zu versiegeln. Angesichts der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Räume habe er eigentlich keine Bedenken gegen Wolters Projekt, sagt Roloff dem Tagesspiegel. Und auch das Jugendherbergswerk sei „offen für weitere Gespräche“. Schließlich handele es sich dabei durchaus um ein Thema, das es wert sei, den künftigen jungen Gästen vorgestellt zu werden.

Auch Rainer Eppelmann, Vorsitzender der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, findet das Vorhaben interessant. Bislang gebe es deutschlandweit keinen Ort der Erinnerung an die Waffenverweigerer, sagt er dem Tagesspiegel. Eppelmann selbst hat einst als Bausoldat gedient.

Wolter bleibt skeptisch. Er hat seine schlechten Erfahrungen mit dem mystischen Ort. Falls es aber klappt, stünden neue Probleme vor ihm: eine Ausstellung konzipieren, Objekte zusammentragen, Finanzierungen sichern, Rechtsfragen klären und vieles mehr.

www.proraer-bausoldaten.de

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