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Protest-Ritual in Ankara: Armenien-Resolutionen: Manövriert sich die Türkei ins Abseits?

Diesmal war es Schweden: Wieder haben Parlamentarier eines westlichen Partners der Türkei den Massenmord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg als Völkermord gebrandmarkt, und wieder protestiert Ankara scharf.

Unmittelbar nach Annahme eines Armenien-Antrags im schwedischen Parlament am Donnerstagabend kündigte die türkische Regierung an, sie werde ihre Botschafterin aus Stockholm abberufen; vor einer Woche hatte Ankara den türkischen Botschafter aus Washington aus Protest gegen eine ähnliche Armenier-Entscheidung heimgeholt. Mit dem Protest-Ritual könnte sich die Türkei selbst immer mehr ins Abseits manövrieren. Denn die nächste Armenien-Abstimung kommt bestimmt: Im April steht das Thema Völkermord im britischen Unterhaus an.

Wie vor einer Woche der Außenausschuss des US-Repräsentantenhauses nahm auch der schwedische Reichstag die Armenier-Resolution mit der Mehrheit von nur einer Stimme an. Anders als die Amerikaner beschränkten sich die Schweden nicht auf die Armenier, sondern warfen den Türken gleich auch noch Völkermord an anderen christlichen Minderheiten vor.

Obwohl die schwedische Regierung, eine der wenigen treuen Verbündeten der Türkei in der EU, sofort deutlich machte, dass sie sich nicht an die Parlamentsentscheidung gebunden fühlt, lief in Ankara die Protest-Maschine an. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte einen für die kommende Woche geplanten Besuch in Stockholm ab, rief Botschafterin Zergun Korutürk zurück und warf den schwedischen Abgeordneten vor, sich zu Richtern über die Geschichte aufgeschwungen zu haben.

In Ankara ließen Politiker aller Parteien ihrem Ärger freien Lauf. Parlamentspräsident Mehmet Ali Sahin rief die Europäer auf, sie sollten sich an ihre eigene Nase fassen, was das Thema Völkermord angehe; ein Oppositionspolitiker sekundierte, Schweden habe den Nazis im Zweiten Weltkrieg geholfen. Eine kleine Nationalistenpartei rief zu einer Protestdemonstration vor dem schwedischen Konsulat in Istanbul auf. Der schwedische Botschafter in der Türkei wurde ins Ankaraner Außenministerium zitiert.

Einzig Staatspräsident Abdullah Gül bewahrte einen kühlen Kopf. Zwar verurteilte auch er die schwedische Entscheidung, forderte seine Landsleute aber gleichzeitig auf, sich von dem Thema nicht verbittern zu lassen. Der ehemalige Außenminister Gül befürchtet offenbar, dass die Türkei aus lauter Ärger über das Armenien-Thema ihre außenpolitischen Prioritäten aus dem Auge verliert.

Die Sorgen sind berechtigt. Reisen von Regierungspolitikern in die USA wurden nach dem Armenier-Votum der vergangenen Woche abgesagt. Nun schlittern die Beziehungen der Türkei zum EU-Unterstützer Schweden in eine Krise. In Großbritannien, dem mächtigsten Freund der Türkei in der EU, soll bis Ende April über einen "Gedenktag des Völkermords an den Armeniern" entschieden werden. Rund 20 Länder haben bereits Armenien-Resolutitionen verabschiedet.

Auch stehen die von Gül selbst angestoßenen Bemühungen um eine Aussöhnung mit Armenien vor dem Scheitern. Die Opposition in Ankara fordert, die Regierung solle die zur Ratifizierung ins Parlament eingebrachten Grundsatzvereinbarungen mit Armenien in den Papierkorb werfen.

Die Türkei räumt ein, dass in der Endphase des Osmanischen Reiches mehrere hunderttausend Armenier getötet wurden, lehnt die Bezeichnung Völkermord aber strikt ab: Die damalige Regierung habe die Armenier umsiedeln wollen, was unter den schwierigen Bedingungen des Krieges vielen Menschen das Leben gekostet habe. Ankara schlägt die Einrichtung einer türkisch-armenischen Historikerkommission vor, um das Thema zu untersuchen. Erst seit wenigen Jahren kann in der Türkei einigermaßen offen über die Armenierfrage gesprochen werden.

Trotz dieser Öffnung bleibt die Armenier-Frage ein Mühlstein für die türkische Außenpolitik. Schon vor Jahren habe ihm ein führender Politiker in Ankara gesagt, von ihm aus sollten die Amerikaner endlich den Völkermord anerkennen, damit die Türkei nicht mehr länger Geisel dieses Themas sei, schrieb der Chefredakteur der liberalen Zeitung "Radikal", Ismet Berkan, vor kurzem.

Berkan selbst ist nicht nur das Thema leid, sondern auch die Versuche seines Landes, den Massenmord an den Armenien wegzudiskutieren. "Wo sind die anatolischen Armenier denn geblieben?" fragte er. "Haben sie sich in Luft aufgelöst? Sind sie mit einer Rakete zum Mond geflogen?" Jeder Dorfbewohner in Anatolien könne Auskunft darüber geben, was damals mit den Armeniern geschehen sei. Aber die fragt ja niemand.

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