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Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine in Köln.

© Reuters

Proteste gegen Erdogan-Besuch in Köln: Ein Strauß voller Gegner

In Kreuzberg spricht Taylan nicht über Politik, das bringt nur Ärger ein. Doch bei den Protesten gegen Erdogan in Köln will er dabei sein – so wie Tausende anderer junger Deutschtürken. Es wird die größte Anti-Erdogan-Demonstration, die das Land je gesehen hat.

Sechs Busse voller Menschen gehen zur Verteidigung über. Sie sind sich nicht ganz sicher, ob Recep Tayyip Erdogan bald auch sie bis in ihre Höhlen verfolgen will, so wie er das mit seinen Gegner zu tun gedenkt. Sie fahren ihm entgegen. Sie singen und schlafen und reden. Sie fotografieren und filmen einander. Sie diskutieren die Legitimität des Tyrannenmords, verwerfen den Gedanken aber rasch, zu wenig habe er mit ihrer Einstellung zur Welt und zum Leben zu tun.

Die Reifen unter ihnen rollen über die Berliner Avus, über ihnen steht ein schwarzer Himmel. Es ist die Nacht von Freitag auf Samstag, halb drei. Die Fahrt geht nach Köln.

Der Anlass dafür besteht in einer Veranstaltung in der dortigen Lanxess-Arena, einer großen Mehrzweckhalle. Eine einzige Veranstaltung von ungefähr 170 im Jahr, die aber – und das werden die Businsassen bald merken – offenbar nationale Aufmerksamkeit auf sich zieht. Eine Frau, die auf dem Autohof Hohenwansleben in Sachsen-Anhalt die Toiletten sauber hält, wird fragen: „Fahrt ihr nach Köln?“ Sie wird ein Ja zur Antwort bekommen. „Hab’ ich mir gedacht“, sagt sie dann. Der Tankwart vom Rasthof Auetal in Niedersachsen fragt: „Wo kommt ihr her?“ Aus Berlin. „Und ihr fahrt nach Köln, stimmt’s? Das war doch in den Medien.“ Beim letzten Halt in Nordrhein-Westfalen: dieselben Fragen, dieselben Antworten.

Zu Erdogans Rede fahren sie nicht

Erdogan spricht. Aber genau zu dem türkischen Ministerpräsidenten fahren diese Menschen nicht. Sie fahren zur Gegendemonstration. Die Alevitische Gemeinde Deutschland hat dazu aufgerufen, mehr als 400 Busse rollen auf Köln zu. Die sechs aus Berlin sind am Kreuzberger Gemeindezentrum gestartet. Die Nachfrage war groß, es hätten etliche mehr sein können, wenn nicht gerade die Internationale Luftfahrtausstellung – eine gigantische Flugzeugschau – am Stadtrand abgehalten würde. Busse sind in Berlin derzeit schwer zu bekommen. Es wird trotzdem die größte Anti-Erdogan-Demonstration werden, die Deutschland je gesehen hat, angefüllt vor allem mit Türkischstämmigen aus halb Mitteleuropa. Die Kölner Polizei spricht von rund 45 000 Erdogan-Gegnern.

Aber was heißt das eigentlich? Ist das eine Verlagerung innertürkischer Konflikte nach Deutschland? Das kann man so sehen. Man kann aber genauso gut sagen, dass in diesem Kölner Demo-Samstag eine Möglichkeit liegt. Eine Chance für zumindest die Wahrnehmungsbegabten unter den Deutschdeutschen, in ihren türkischdeutschen Nachbarn wieder etwas mehr als das bislang jahrzehntelang eingeübte Klischee zu sehen: hinterwäldlerische Bergbauernnachkommen aus Anatolien, drogenvertickend, gewalttätig, ungebildet, frauenverachtend und schwulenfeindlich.

Die Leute in den 400 Bussen sind jene, die schon längst angekommen sind in Europa. Die man aber nicht so leicht wahrnehmen kann, weil ihre Namen nicht nur in Polizeiberichten fehlen, sondern sie auch sonst keine öffentliche Aufmerksamkeit erregen.

„Durch Erdogan interessiere ich mich erst für Politik“

In einem der Berliner Busse sitzt ein junger Mann namens Taylan. Er ist 33 Jahre alt und „politisch eine Null“, sagt er. Aber Erdogan, die Korruptionsvorwürfe, aufgekommen durch diese merkwürdigen Telefonmitschnitte, die Polizeischlachten gegen die Gezi-Park-Beschützer, Tote, Verletzte, das Twitter-Verbot, die verdächtigen Umstände bei der letzten Kommunalwahl, das Bergwerksunglück von Soma und Erdogans erste Reaktion darauf. Der am Donnerstag von der Polizei erschossene Alevit in Istanbul, noch mehr Verletzte, das alles begleitet von einer immergleichen Erdogan-Kampfrhetorik auf türkischen Fernsehkanälen, das habe dann jetzt doch gereicht, sagt er. „Durch Erdogan interessiere ich mich erst für Politik.“

Dabei ist dieser Taylan in eine politisch aufmerksame Familie geboren worden. Er selbst bezeichnet seine Eltern als links, sie hätten in den 70er Jahren vor dem Rathaus Neukölln von den Nazis der Grauen Wölfe „auf die Fresse gekriegt“, sagt er. Sie haben ihm den Namen eines Studentenführers gegeben, Taylan Özgür, der 1969 von Unbekannten in Istanbul erschossen worden war. Özgür ist so etwas wie der türkische Benno Ohnesorg.

Ugur Kurt, der türkische Benno Ohnesorg?!

Gegenbewegung. Die Erdogan-Anhänger kamen auf der anderen Rheinseite in der Lanxess-Arena zusammen.
Gegenbewegung. Die Erdogan-Anhänger kamen auf der anderen Rheinseite in der Lanxess-Arena zusammen.

© AFP

„Krass“, sagt Taylan, „Taksim-Platz, Gezi-Park, da war das ja genauso. Aber wer ist Benno Ohnesorg? Ne politische Null bin ich, hab’ ich ja schon gesagt.“ Vielleicht stimmt das. Vielleicht ist aber auch der Vergleich falsch. Möglicherweise wird ja Ugur Kurt als der türkische Benno Ohnesorg in die Geschichtsbücher eingehen, jener unbeteiligte, vor drei Tagen durch einen Kopfschuss im Istanbuler Stadtbezirk Okmeydani getötete Trauerfeiergast. Die Organisatoren der Busfahrt jedenfalls registrierten eine gesteigerte Nachfrage, nachdem diese Nachricht in der Welt war.

Taylan überlegt. Er ist ein massiger Mann mit Oberarmen, Bauch, und Kette um den Hals. Er hat Sternchen-Tätowierungen auf den Unterarmen und bei Bedarf einen Blick, der jeden Widersacher sofort zum Verstummen bringen könnte. Er schweigt einige Minuten lang, während um ihn herum türkische Volkslieder gesungen werden. Er bittet darum, seinen Nachnamen nicht in die Zeitung zu schreiben. Das, was er sagt, könnte zu viel Ärger einbringen. Ihm und seinen Eltern, die nach Jahren bei Siemens eine Bäckerei im Zentrum von Kreuzberg betreiben, in der er mitarbeitet.

Da ist viel Gehirnwäsche im Spiel

„Ich höre viel auf meine Eltern“, die seien mutig, sagt Taylan, sein Vater habe ihm erzählt, dass es diese Busreise gebe. Aber man solle bitte verstehen. Die Nachbarn. Der türkische Apotheker daheim beispielsweise, ein paar Häuser weiter, der Erdogan vergöttere. Und Taylan versteht ja auch, warum. Das statistische Pro-Kopf-Einkommen hat sich in der Ära Erdogan verdreifacht. Er brachte das Land in den Klub der G 20. Die Bosporusbrücken, die Bosporus-U-Bahnen, der geplante Riesenflughafen von Istanbul, dazu die hunderttausendfach aufgenommenen Flüchtlinge aus Syrien. Das sei schon was, sagt Taylan, und jenem benachbarten Apotheker bedeute es alles.

Da sei zwar viel Gehirnwäsche im Spiel, das Nichterkennen vieler Türken, dass es sich bei all den Investitionen nicht um Geschenke Erdogans, sondern oft um ihr eigenes Steuergeld handele. Aber dennoch: bitte keine Namensnennung. Neulich erst sei er aus der Facebook-Freundesliste eines Bekannten rausgeflogen, weil er etwas Erdogan-Kritisches geschrieben hatte. „Da ist hinterher kein Gespräch mehr möglich“, sagt Taylan, „die drehen sich weg.“

Und dann die ganzen Schulerlebnisse, Befragungen, vorgetragen von sunnitischen Mitschülern. Was, ihr Aleviten esst Schweinefleisch? Was sie tun. Was, ihr feiert Orgien in euren Gotteshäusern? Was ungefähr so wahr ist wie die Behauptung, Juden seien alle krummnasig und arbeiteten für Banken. Taylan, der Alevit, und damit – um es aufs gerade noch Aushaltbare für ihn zu sagen – ein Protestant des Islams, sieht sich ewiggestrigen Widersachern gegenüber.

Er und ein einstiger Erdogan-Apologet sind jetzt Freunde

Ja, es gebe auch Gegenbeispiele. Ein anderer Nachbar, ein Gemüsehändler und ebenfalls einstiger Erdogan-Apologet, habe stets für den Moscheeverein gespendet. Irgendwann aber habe der Verein selber Geld gebraucht, und was passierte: Der Gemüsehändler bekam nichts, stand alleine da. „Das war augenöffnend für den, und jetzt sind wir Freunde.“

Wenn man etwas an Taylans Sätzen ablesen kann, dann ist es die erfolgreiche Spaltung eines Landes, seiner Bürger und aller ihm sonst wie Verbundenen. Ob er sich angesprochen gefühlt habe, als Erdogan an einem Abend Ende März, nach dem Wahlsieg seiner Partei AKP bei den Kommunalwahlen, in Ankara auf dem Balkon der Parteizentrale stehend, gerufen hat: „Bis in ihre Höhlen werden wir sie verfolgen. Sie werden den Preis bezahlen.“ Gemünzt waren die Sätze auf die sogenannte Gülen-Bewegung, jene von den USA aus operierende Organisation, die er zumindest öffentlich hinter den immer noch ominösen Anruf-Mitschnitten vermutet, die seine Korrumpierbarkeit belegen sollen. Taylan, einfacher Alevit aus Berlin sagt Ja.

Ruken Ince, 20 Jahre alt, im vierten Semester Öffentliche Verwaltungswirtschaft in Lichtenberg studierende, ebenfalls im Bus und ebenfalls Berliner Alevitin, sagt: Ja. „Definitiv.“

Nach den Widersprüchen frage in der Türkei kaum einer

Kadir Sahin, 27 Jahre alt, gebürtiger Neuköllner und immer noch dort wohnhaft, Alevit und Doktorand der Politikwissenschaft an der Freien Universität , sagt: „Nein. Uns hat Erdogan gar nicht als Gefahr gesehen.“ Aber ihn stört vieles andere mehr an diesem Ministerpräsidenten, an seinem Handeln und an seinen Worten. Sein dauerndes Spiel mit Männlichkeitsidealen, „das und das passt nicht zu einem Mann“. Von der Entlassung des Bergarbeiter-tretenden Erdogan-Beraters haben sie im Bus zu diesem Zeitpunkt noch nichts gehört. Aber Sahin scheint es vorauszusehen, als er sagt:

So, wie Erdogan sich im ersten Moment nach einer Katastrophe, nach einem Skandal verhalte, wie er dann spreche, das sei sein wahres Gesicht. Spüre er Gegenwind, sei er umstandslos in der Lage, einzulenken, das Gegenteil zu behaupten und dies auch durchzuziehen. Nach den Widersprüchen frage in der Türkei kaum einer.

Und dann kommt endlich Köln. Die Erdogan-Arena zieht links am Bus vorbei, keiner schaut hin.

Auf der Demo erinnern viele an die Opfer von Soma

Die Sternfahrt findet ihr Ziel am Ebertplatz, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs. Um 13 Uhr startet die Demonstration, in dem Zug versammeln sich neben den Aleviten auch einige der strenggläubigeren Sunniten, Unreligiöse, Türken, Kurden, Deutsche. „Teile und herrsche, das funktioniert nicht mehr, jedenfalls nicht mehr hier“, sagt Sahin, bevor er in der Menge verschwindet. Auch das ist Erdogans Verdienst.

Die Demo geht über lange Strecken still und leise vonstatten. Immer wieder sind Menschen in der Menge zu sehen, die Bauarbeiterhelme tragen, auf denen das Wort „Soma“ steht. „Soma“-T-Shirts, „Soma“-Plakate, ein kohleruß-geschwärztes Gesicht. Im Bus hatte es eine Empfehlung gegeben, aus Respekt vor den hunderten Toten nicht zu tanzen.

Darum ist es am Rhein so laut. Rund 400 Busse hat die Alevitische Gemeinde gechartert, um die Demonstranten nach Köln zu bringen.
Darum ist es am Rhein so laut. Rund 400 Busse hat die Alevitische Gemeinde gechartert, um die Demonstranten nach Köln zu bringen.

© REUTERS

In der Veranstaltungs-Arena, auf der anderen Rheinseite, wird zu diesem Zeitpunkt die Ankunft von Erdogan verkündigt. Der Einlass hat bereits gegen 13 Uhr begonnen, es herrscht Geschiebe und Gedränge, noch bis abends um halb sechs wird das so sein. Anzug-tragende Männer, Kopftuch-tragende Frauen rangeln an Absperrgittern, Türkei-Flaggen-Stiele landen in der Aufregung in den erhitzten Gesichtern anderer. Auf der Straße vor der Halle kommen sich ein Audi-Fahrer und ein Mann im Fiat ins Gehege. Sie beschimpfen sich auf Türkisch, blockieren minutenlang den Verkehr. Die direkt nebenan parkende Polizei wartet ab und greift erst ein, als der Eine auf den Anderen losgeht.

„Wir haben zwei Bundeskanzler“: Merkel und Erdogan

Drinnen, in der Halle, warten rund 10 000 Anhänger, die Blitzlichter der Handys leuchten auf, Flaggen mit dem Halbmond wehen hin und her, als Erdogan die Bühne betritt. Die Arena liegt dem Mann zu Füßen. Was er kritisiert, wird mit Buhrufen aufgenommen, der Rest mit Jubel. „Unser Volk ist stolz auf euch“, ruft Erdogan dem tosenden Publikum zu.

Eine Reporterin des „Kölner Stadtanzeigers“ schnappt den Satz einer Pädagogikstudentin auf. Die junge Frau sei in die Halle gekommen, um „den Bundeskanzler zu sehen“. Auf die Frage der Reporterin, ob denn nicht Angela Merkel die Bundeskanzlerin sei, sagt die junge Frau: „Wir haben zwei Bundeskanzler.“

Die Berliner Busse sind da schon wieder auf dem Rückweg. Als Taylan am Nachmittag noch am Straßenrand steht, das Volkstheater Millowitsch im Rücken, eine leuchtgelbe Ordner-Weste über dem T-Shirt, beobachtet er den Zug der Demonstranten. Eine Stunde lang laufen die Menschen an Taylan vorüber. Er wirkt stolz, muss für Ordnung sorgen. Vielleicht wird er, der sich selbst für eine politische Null hält, diesen Tag einst für einen besonderen in seinem Leben halten.

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