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Thüringer Landwirte beteiligen sich an der bundesweiten Protestaktion "Land schafft Verbindung" gegen ein geplantes Agrarpaket der Bundesregierung.

© Martin Schutt/dpa

Update

Proteste gegen Landwirtschaftspolitik: Sind die Bauern die neuen Gelbwesten?

Traktoren und Misthaufen auf den Bauernprotesten waren zahme Warnungen. Die aktuellen Aufstände aber zeigen eine neue Wucht. Sie wollen endlich Anerkennung.

Der Aufstand begann vor ein paar Monaten im Westen. Traktorenkonvois blockierten plötzlich die Straßen um Straßburg, in den Niederlanden legten „boze boeren“, also zornige Bauern, Anfang Oktober den Verkehr im Kernland um Den Haag lahm. Inzwischen baut sich auch hierzulande auf dem Land eine Wutwelle auf. Die Kanzlerin nimmt den neuen Bauernaufstand sehr ernst. Noch im Dezember will Angela Merkel sich Zeit nehmen für ein Treffen mit den Rädelsführern.

Wie sehen die Proteste aus?

Bauern stellen grün angestrichene Holzkreuze auf ihre Felder – als Zeichen des Widerstands gegen die Agrar- und Umweltpolitik der Bundesregierung. Und auch die Demos häufen sich. Nach der bundesweiten Sternfahrt im Oktober haben am Donnerstag 5000 Bauern mit ihren Treckern Hamburg lahm gelegt und auf ihrer Kundgebung „Spiel mir das Lied vom Tod“ aufgelegt. Die nächste Großdemo ist schon in Sicht: am 26. November in Berlin.

Anders als bei früheren Protesten geht es diesmal nicht nur gegen einzelne Vorschriften oder existenzbedrohend niedrige Preise für Milch oder Fleisch. Es ist eine Frage der Ehre. Viele – und gerade die jüngeren – Bauern sind es leid, in den von Städtern geprägten Klima- und Umweltdebatten als Deppen hingestellt zu werden, die aus Dummheit oder Raffgier Wasser, Böden und Luft verpesten.

Als Politiker von CDU und CSU im Ringen um das Klimapaket vor „Gelbwesten“- Protesten à la Frankreich warnten, hatten sie Bürger an Tankstellen vor Augen. Dass der Ärger aus einer ganz anderen Ecke kommt, ahnte keiner.

Wer steckt hinter dem Protest?

Glaubt man dem Deutschen Bauernverband, kommen die Demonstranten aus allen Regionen Deutschlands und aus allen Agrarzweigen. „Bemerkenswert ist, dass sich auffallend viele junge Bauern und Bäuerinnen beteiligen“, heißt es beim Verband. Ein Zufall ist das allerdings nicht. Denn bei den Demos gibt weniger der Bauernverband den Ton an, sondern eine neue Gruppierung namens „Land schafft Verbindung“.

Eine Bäuerin in Norddeutschland hatte im Oktober eine Facebook-Gruppe gegründet und damit offensichtlich einen Nerv getroffen. Immer mehr unzufriedene Bauern haben sich seitdem in sozialen Netzwerken unter der dem Slogan „Land schafft Verbindung“ zusammengefunden. Über 21 000 Mitglieder hat die Facebook- Gruppe mittlerweile.

Warum gehen die Bauern auf die Straße?

Neben dem tiefen Frust über das Bauernbashing sind es auch konkrete politische Vorhaben, die die Bauern auf die Palme bringen. Die Proteste richten sich vor allem gegen das Agrarpaket, das Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) im September vorgestellt hatten. Danach soll der Unkrautvernichter Glyphosat in Deutschland 2023 verboten werden. Um Insekten zu schützen, soll zudem in Schutzgebieten der Einsatz von Herbiziden und biodiversitätsschädigenden Insektiziden verboten werden.

„Es werden Vorgaben gemacht, die so in der Praxis nicht umzusetzen sind“, kritisiert Bauernpräsident Joachim Rukwied. „Wir können unsere Pflanzen vor Krankheiten und Schädlingen nicht schützen“. Auch die verschärften Regeln für den Umgang mit der Gülle sind den Bauern ein Dorn im Auge.

Viele sind nämlich noch damit beschäftigt, die letzte Reform umzusetzen. Doch der Spielraum der Bundesregierung ist gering, denn der Druck, die geltende Düngeverordnung zu verschärfen, kommt aus Brüssel. Weil der Tiermist das Grundwasser belastet, fordert Brüssel schärfere Vorgaben für die Bauern und droht notfalls mit Klage.

Wie reagiert die Politik?

Der Zorn auf dem Land baut sich schon länger auf. Als Annegret Kramp-Karrenbauer zu Jahresanfang im sauerländischen Eslohe auftrat, drehte sich eine der ersten Fragen aus dem Publikum um die neue Düngeverordnung. Hier in der Region, beschwerte sich eine Landfrau bei der CDU-Chefin, sei die Grundwasser-Belastung überall im grünen Bereich – trotzdem müssten sich demnächst alle an die kostspieligen neuen Auflagen halten. Kramp-Karrenbauer versprach, ihr Möglichstes zu tun. Aber viel bleibt ihr da nicht in einem Feld, das wie wenige andere von EU-Vorschriften dominiert wird.

Für die Union ist der Aufruhr ein größeres Problem als für andere Parteien. Das Landvolk zählt für CDU und CSU bisher zu den treuesten Wählern; kommt noch Katholizismus dazu, entstehen schwarze Hochburgen wie in Cloppenburg, Sauer- oder Münsterland. Aus solchen Regionen kamen die Stimmen, die im roten NRW den CDU-Mann Armin Laschet zum Ministerpräsidenten machten.

Doch die Missstimmung wächst jetzt gerade dort. Und sie richtet sich inzwischen auch gegen die selbst ernannten politischen Schutzmächte. Viele Bauern fühlen sich eingeklemmt zwischen Vorschriften und Marktzwängen, die ihnen keine andere Wahl lassen als eine industrielle Betriebsführung, und eine gesellschaftliche Erwartungshaltung, die von ahnungsloser Bauernhof-Romantik geprägt ist.

Selbst in ländlichen Gemeinden setzen sich in Ratsversammlungen inzwischen Leute durch, die Sonderabgaben fordern für landwirtschaftliche Maschinen, die mit ihren Breitreifen auf engen Straßen die Graskanten aufwühlen. Dass gerade jüngere Bauern längst versuchen, ihre Tiere anständig zu halten oder Blühstreifen anzulegen, wird selten honoriert.

Was tut die Agrarministerin?

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckber (CDU) steckt in einer Zwickmühle. Sie will die Bauern schützen, sieht sich aber selbst unter dem gesellschaftlichen Druck, mehr für die Umwelt, das Klima und die Insekten zu tun. So spielt das Ministerium auf Zeit und glättet die Spitzen. Für die Umsetzung des Aktionsprogramms zum Insekten- und Klimaschutz ist noch nicht eine Zeile Gesetzestext geschrieben, stattdessen sind Dialogveranstaltungen mit Landwirten und Umweltschützern vereinbart.

Eine Stilllegung von landwirtschaftlichen Flächen zum Schutz der Insekten und der Biodiversität soll es nicht geben, verspricht das Ministerium. Und auch bei der Verteilung der finanziellen Mittel ist auf das Agrarministerium Verlass. Ab dem kommenden Jahr sollen zwar sechs statt bisher 4,5 Prozent der Direktzahlungen aus der EU-Agrarförderung für Naturschutzmaßnahmen ausgegeben werden – das sind dann rund 300 Millionen Euro –, doch das Umweltministerium hatte 15 Prozent gefordert.

Und auch für den Einsatz der Landwirte für mehr Insektenschutz soll es Geld geben – nämlich 83 Millionen Euro pro Jahr von Bund und Ländern, um „gegebenenfalls notwendige Einschränkungen abzumildern“, heißt es im Ministerium.

Sind die Bauern die neuen „Gelbwesten“?

In Frankreich blockieren Trecker Autobahnen, die Proteste der Landwirte erinnern an die „Gelbwesten“. Diese begingen am Samstag ihren ersten Jahrestag. Hunderte Franzosen beteiligten sich an neuen Protestaktionen. Es gab mehrere Festnahmen. Die Polizei setzte Tränengas ein.

Und was ist in Deutschland? „Es ist jetzt wirklich nicht so, als hätten wir die große Revolution vor der Tür stehen“, sagt der Protestforscher Dieter Rucht. Rucht glaubt nicht, dass die Proteste zu einer neuen Massenbewegung werden. Die Bauern seien nur eine kleine und weit verstreute Gruppe in Deutschland, Proteste in großen Städten seien für sie aufwändig zu organisieren.

Hinzu kommen Interessenskonflikte innerhalb der Bauern- und Landwirtschaftsverbände, gibt Rucht zu bedenken. Und trotz Sympathie für die Landwirte: In Sachen Klimaschutz ist die Mehrheit der Deutschen einfach anderer Meinung.

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