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Ein Plakat, auf dem das Bild von Ägyptens Präsident Mursi durchgestrichen ist.

© Reuters

Proteste gegen Muslimbrüder in Ägypten: Kulturkampf in Kairo

Nach zahlreichen Entlassungen im Kulturbereich protestieren Ägyptens Künstler gegen den wachsenden Einfluss der Muslimbrüder im Land.

Kairo - „Seit seiner Ernennung führt der Minister Krieg gegen die Kultur“, schimpft einer der Demonstranten. „Wir sind hier mit Kugelschreibern und Zahnbürsten, die aber kommen mit Knüppeln und Stöcken.“ Seit Tagen halten Künstler, Musiker und Schauspieler in Kairo das Büro des Kulturministers besetzt und veranstalten Sit-ins vor seinem Ministerium. Letzte Nacht dann flogen erstmals die Fäuste, als eine Horde Muslimbrüder und Salafisten auf die Aufmüpfigen losging. Mehrere trugen Blessuren davon, bis die herbeigeeilte Sonderpolizei die Kampfhähne trennte.

Vier Wochen ist der neue Kulturminister Alaa Abdel Aziz nun im Amt, seitdem tobt am Nil ein Kulturkampf, wie ihn das Land noch nie erlebt hat. Fast jeden zweiten Tag wird ein anderer kultureller Spitzenmanager gefeuert und durch einen Muslimbruder ersetzt. Und seit es auch die beliebte Opernchefin Ines Abdel- Dayem traf, geht nichts mehr im halbrunden Auditorium auf Zamalek. „Hau ab, hau ab“, skandierte das aufgebrachte Ensemble unter tosendem Beifall des Publikums. Statt der Kulissen von „Aida“ zogen sie Protestplakate gegen den zunehmenden Einfluss der Muslimbrüder über die Bühne. Inzwischen haben sich praktisch alle großen Namen aus Literatur, Film und Musik dem Aufstand der Musiker und Tänzer angeschlossen.

Als Begründung seiner drastischen Entscheidungen ließ sich der neue Ressortchef bisher nur entlocken, alle betroffenen Kulturinstitutionen bräuchten „frisches Blut“. Das Kulturministerium sei ein Trümmerhaufen, die Kulturszene verkrustet und korrupt. In einem Interview auf der Website der Muslimbrüder verwahrte er sich ausdrücklich gegen den Vorwurf, er strebe eine Islamisierung an. Die große Mehrheit der Ägypter aber sei nun mal muslimisch. Ihnen gehöre die Kultur, nicht einer Handvoll elitärer Zirkel. Darum wolle er „das Monopol bestimmter Intellektueller“ in der Kunstszene Ägyptens brechen.

Und tatsächlich gibt es wenig Zweifel, dass im ägyptischen Kulturbetrieb nach einem Vierteljahrhundert Schlendrian unter dem Mubarak-Günstling und Hobbymaler Farouk Hosni vieles im Argen liegt. Viele jedoch befürchten, dass Muslimbrüder und Salafisten diesen Reformbedarf zur Islamisierung des Landes nutzen wollen – eine Strategie, die an vielen Stellen sichtbar und immer brachialer durchgefochten wird. Der deutsch-ägyptische Publizist Hamed Abdel-Samad wurde kürzlich im Fernsehen und auf Facebook sogar mit Mord bedroht, nachdem er bei einem Vortrag in Kairo den Islamismus als einen verspäteten religiösen Faschismus bezeichnet hatte. Die Curricula in den Schulen werden islamisch-ideologisch getrimmt, allen etablierten Schulbuchverlagen Ägyptens sind die Lizenzen entzogen. Zwischen dem säkularen „Nationalrat für Frauen“ und den Muslimbrüdern gibt es ständig gereizte Wortwechsel.

„Ballett ist die Kunst der Nacktheit und verbreitet Amoralität unter den Zuschauern – weshalb sollten wir dafür Geld ausgeben?“, deklamierte der Salafist Gamal Hamid in der Haushaltsdebatte des Schura-Rates, dem Notparlament Ägyptens. Ginge es nach seiner „Partei des Lichtes“, wären die Schule für modernen Tanz längst geschlossen und das Ballett der Kairoer Oper aufgelöst. Im Internet tauchte kürzlich ein altes TV-Interview mit Mohammed Mursi auf, damals noch Fraktionschef der Muslimbrüder im Parlament. „Tanzen ist unislamisch“, belehrte Mursi sein Gegenüber.

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