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Der ägyptische Präsident Husni Mubarak hat am Freitag eine Ausgangssperre über das ganze Land verhängt - doch die Demonstranten weichen nicht.

© Reuters

Proteste in Ägypten: "Freitag des Zorns" in Kairo

Was nach dem Freitagsgebet als friedlicher Protest von Hunderttausenden gegen das Regime von Mubarak begonnen hat, endet nach Einbruch der Dunkelheit in Randale, Chaos und Gewalt.

Meterhoch schlagen die Flammen in den Nachthimmel. Frenetisch klatschen die Menschen auf Kairos ehrwürdiger Qasr el-Nil-Brücke, während vor ihre Augen das Hauptquartier von Mubaraks National Demokratischer Partei an der Nil-Corniche in Schutt und Asche versinkt. Die ganze Nacht versucht die Feuerwehr verzweifelt, ein Übergreifen der Flammen auf das weltberühmte Ägyptische Museum mit seinen pharaonischen Schätzen zu verhindern. Zwei Straßen weiter umzingeln aufgebrachte Menschen das Außenministerium und versuchen, auch hier Feuer zu legen.

Was am Vormittag nach dem Freitagsgebet als friedlicher Protest von Hunderttausenden gegen das Regime von Hosni Mubarak begonnen hat, endet am Abend eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit in Randale, Chaos und Gewalt. Polizisten schießen gezielt auf Demonstranten, zahlreiche Menschen werden von Tränengasgranaten getroffen. In ihren gefürchteten gepanzerten Kombis machen die Uniformierten Jagd auf Demonstranten, einer zielt aus der Dachluke des Wagens so lange auf die Flüchtenden, bis ihn ein Molotow-Cocktail außer Gefecht setzt.

Mindestens neun Menschen sind am Freitag gestorben, allein in der ägyptischen Hauptstadt gab es fast tausend Verletzte. Auf der Straße liegen Schrotpatronen, ein junger Mann zeigt empört seine blutverschmierte Schusswunde am Bein, in der die Kugel noch steckt.

Gegen 19 Uhr 30 meldet dann die BBC, das ägyptische Militär habe für Kairo, Alexandria und Suez eine Ausgangssperre verhängt, wo die wütende Menge das Waffenlager einer Polizeiwache ausräumte, bevor sie das Gebäude samt Einsatzfahrzeugen in Brand steckte. Helikopter kreisen über der Hauptstadt, im Schein der Straßenlaternen rollen Panzer in langen Kolonnen ins Zentrum. Kurz danach lässt der 82-jährige Präsident Hosni Mubarak ankündigen, er werde im staatlichen Fernsehen eine Rede an die Nation halten – erscheint aber dann doch nicht.

Dabei hatte alles am Morgen so friedlich und geordnet, ja geradezu fröhlich begonnen. Kaum war das letzte „Allah Akbar“ des Freitagsgebets aus den Lautsprechern der Mustafa Mahmoud Moschee verklungen, waren alle auf den Beinen. „Weg mit dem Regime“ und „Hau ab, Mubarak“, skandierten die Menschen im Schatten der Hochhäuser des Kairoer Mittelklasseviertels Mohandessin. Eben noch hatten Jung und Alt, Männer und Frauen zusammengekauert und im Gebet versunken auf Rasen, Randsteinen und Straßen rund um das Gotteshaus mit der beigen Kuppel gesessen. Minuten später schon setzte sich ein unübersehbarer Menschenzug in Bewegung. Der schwarze Kordon der Sonderpolizei, der die Frommen eine Stunde lang mit martialischer Pose umstellt hatte, weicht sofort zurück. Autos hupen, ihre Fahrer grüßen mit „Victory“, und die Menge antwortet mit „Freiheit, Freiheit“. Erleichterung steht in den Gesichtern, als der Marschzug an der nächsten Ecke in die vierspurige Ahmed Abd Al-Aziz Straße in Richtung Nil einbiegt.

„Wut ist etwas Menschliches, aber wir müssen darauf achten, dass kein Schaden entsteht“, hatte zuvor der Scheich der um sein Gotteshaus herum lagernden Menge ins Gewissen geredet. Auf Ägypten kämen außergewöhnliche Zeiten zu, sagt er und nennt die Meinungsfreiheit den wichtigsten Baustein einer Demokratie. „Wir müssen uns aber auch eingestehen, dass alles Neue Geduld braucht“, mahnt er unter dem Beifall der Beter und ruft sie auf, friedlich zu bleiben und „auf die Unfriedlichen einzuwirken, damit unser Land positiv dasteht und das gute Bild der friedlichen Demonstrationen nicht beschmutzt wird“.

Der Tag in Kairo, der am Abend mit Großbränden und Großeinsatz des Militärs endet, hatte am Morgen in gespenstischer Ruhe begonnen. Kaum Verkehr auf den Straßen der 20-Millionen-Metropole. Nur im neuen Terminal von Egypt Air am Flughafen herrschte bereits in den frühen Morgenstunden ungewöhnlich drangvolle Enge, wie eine Augenzeugin berichtete. Viele besser gestellte Ägypter scheinen die Koffer zu packen und das Land zu verlassen, während sich in Kairo hartnäckig das Gerücht hält, Mubarak-Sohn Gamal habe sich mit seiner Frau nach London abgesetzt. Dort hat er Volkswirtschaft studiert und jahrelang als Investment-Banker gearbeitet. Mehr als zwanzig Privatjets sollen auf dem Vorfeld geparkt stehen, offenbar bereit, sofort mit betuchten Passagieren in Richtung Europa zu starten. Am Abend stellt Ägyptens Fluglinie zunächst für zwölf Stunden alle Flüge ein.

Aber auch das Internet im ganzen Land war komplett blockiert, Facebook und Twitter verstummt, SMS und Handys funktionierten nicht mehr. Wer die virtuellen Versammlungen zerstört, kann vielleicht auch die reale Versammlungen unterdrücken, so das Kalkül des bedrängten Regimes. „Diese Totalabschaltung in Ägypten ist in der Geschichte des Internets ohne Beispiel“, kommentierte die amerikanische Firma Renesys, die weltweit den Internetverkehr registriert. Einen solchen Schritt hätten noch nicht einmal Tunesien vor seiner „Jasmin-Revolution“ oder der Iran während der Unruhen nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen 2009 gemacht.

„Kommt mit, kommt mit“, skandierten derweil die Menschen auf dem Weg zum Midan Tahrir, dem berühmten Platz der Befreiung im Zentrum, und versuchten, die vielen Schaulustigen von den Balkonen herunterzuwinken. Mit Erfolg. Immer mehr lassen sich animieren. Von Minute zu Minute schwillt die Menge an – Väter mit ihren Kindern, Mütter mit Babys, Omas, Opas und die vielen jungen Frauen und Männer. Einige haben noch die Gebetsteppiche über der Schulter, andere tragen schon vorsorglich einen Mundschutz gegen Tränengas, einer läuft mit Schlips und Aktentasche mit. „Warum machst du nicht mit bei uns?“, neckt ein Demonstrant einen weißhaarigen, rundlichen Polizeioffizier, der mit Walkietalkie und Zigarette in der Hand neben dem Zug herschlendert. Väterlich winkt er ab. Bevor der schlaksige junge Mann wieder in der Menge verschwindet, drückt er dem Verdutzten noch rasch einen Kuss auf die breite Stirn.

Am Ende sind es Hunderttausende, die in Kairo und Alexandria, in den Städten im Delta und Oberägypten auf den Straßen sind – ein Aufstand des Volkes, wie es ihn noch nie in der Geschichte des Landes gegeben hat. Wie eine Geschichte aus einer versunkenen Epoche wirkte schon 24 Stunden später der Auftritt vom Donnerstag des Mubarak-Vertrauten und NDP-Generalsekretärs Safwat el-Sherif, eines Hardliners der alten Garde mit dicker Brille und gefärbten Haaren. Seine Ankündigung, die Partei werde jetzt den Dialog mit der Jugend suchen und ihre Anliegen „mit Priorität“ bearbeiten, quittierten die ägyptischen Journalisten mit Hohngelächter. Denn – so El-Sherif – „eine Partei ohne Jugend ist eine Partei ohne Zukunft“. Auf die Frage, ob Parteimitglieder bereits ins Ausland flüchten, schüttelt er den Kopf. „Die NDP kennt keine Flucht. Die Nation hat ein Recht auf uns.“ Außerdem sei die Partei dafür bekannt, dass sie sich der Anliegen der Jugend annehme – und wieder schallendes Gelächter aus den Reihen der heimischen Medienvertreter.

In der Nacht zuvor aber war auch der Mann in seiner Heimat eingetroffen, der die Hoffnungen der Menschen kanalisieren könnte, bevor sie alles kaputtschlagen – Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei. Pünktlich um 18.56 Uhr landete seine Maschine aus Wien kommend. „Das Regime hört nicht zu“, sagte er kurz vor seinem Abflug und erklärte sich bereit, eine Übergangsregierung nach Mubarak zu führen. Doch so schnell gibt sich das Regime nicht geschlagen. Sofort nach dem Freitagsgebet wurde el-Baradei in einer Moschee in Giza verhaftet und steht seitdem unter Hausarrest.

Und so geht das Ringen zwischen dem Regime und seinem Volk jetzt in die nächste Runde. Beißender Geruch von Tränengas wabert durch Kairos Straßen, von Ferne sind in der Nacht Schüsse aus automatischen Waffen zu hören. Nahe dem Operhaus klettern eines halbes Dutzend Jungs siegestrunken in zwei zertrümmerten Polizeilastwagen herum. Die meisten schniefenden Menschen mit von Tränengas geröteten Augen jedoch machen, dass sie nach Hause kommen.

Währenddessen kursieren bereits Gerüchte, von dem Militärflughafen Al-Maza in Helipolis nahe Mubaraks Amtssitz seien am Abend zwei Privatjets gestartet. In einem soll sich der ägyptische Präsident befinden.

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