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Abu Walaa, IS-Anführer in Deutschland, verhüllt am Mittwoch vor Gericht sein Gesicht.

© AFP

Prozess gegen Deutschlands IS-Chef Abu Walaa: Kronzeuge schildert Gräuel

Der Kronzeuge im Celler Terrorprozess schildert, wie der IS in Deutschland agiert. Demnach ist der Anführer „Sheikh Abu Walaa“.

Zur Ausreise Richtung Syrien startet der junge Islamist nach eigener Erzählung frisch rasiert und mit einem T-Shirt mit dem Aufdruck „I love Brussels“. Trotz eines Ausreiseverbotes gelingt ihm 2015 von Aachen aus über die belgische Hauptstadt die Reise zur Terrormiliz "Islamischer Staat". „So Gott will, erleben wir das Paradies auf Erden, eine utopische Vorstellung, denn das Gegenteil war der Fall“, berichtet der 23-jährige Deutschtürke am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Celle. Dort sitzt er nicht als Angeklagter, sondern als Kronzeuge und sagt viele Stunden gegen den mutmaßlichen Anführer des IS in Deutschland, Abu Walaa, und vier Mitangeklagte aus.

Weil sich der ehemalige Gefolgsmann angewidert von den IS-Gräueln in Syrien von der Terrormiliz lossagte, nach Haft und Folter durch die Terrorschergen nach Deutschland zurückkehrte und sich der Polizei stellte, konnten die Sicherheitsbehörden Abu Walaa und vier mutmaßliche weitere Drahtzieher festnehmen und vor Gericht stellen. Lange hatten sie Abu Walaa zuvor nichts anlasten können. Nun offenbart der Kronzeuge tiefgreifendes Insiderwissen über Strukturen, Verantwortliche, Orte der Radikalisierung und Anschlagspläne - und über den V-Mann-Einsatz der Polizei. Wegen Todesdrohungen wurde der Mann in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen und lebt an einem unbekannten Ort.

Die ohnehin enormen Sicherheitsvorkehrungen bei dem Terrorprozess - schwer bewaffnete Beamte stehen vor dem Gerichtsgebäude und laufen durch die Innenstadt - sind am Mittwoch noch einmal erhöht worden. Der unter anderem mit einer Perücke unkenntlich gemachte Zeuge betritt mit drei Personenschützern den ohnehin von etlichen Spezialkräften bewachten Hochsicherheitssaal. Alle fünf Angeklagten, die hinter einer Panzerglasscheibe sitzen, wenden sich dem jungen Mann zu, als dieser seine Aussage beginnt. Falls die von dem Zeugen geschilderten Details stimmen, drohen ihnen lange Haftstrafen.

Zentrale Führungsfigur des IS

Die Bundesanwaltschaft hält Abu Walaa für die zentrale Führungsfigur des IS in Deutschland. Der 33-jährige Iraker und die Mitangeklagten müssen sich wegen Unterstützung und Mitgliedschaft in der Terrormiliz verantworten. Sie sollen junge Menschen islamistisch radikalisiert und in die IS-Kampfgebiete geschickt haben. Alle fünf wurden vor einem Jahr in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen festgenommen.

Als Jugendlicher habe er begonnen, sich zu radikalisieren und an Koranverteilaktionen teilzunehmen, berichtet der Kronzeuge, der nach einem Einser-Abitur zunächst Medizin studierte. Später sei er in das Netzwerk um Abu Walaa gelangt. In die IS-Ideologie sei er von zwei der Angeklagten im Hinterzimmer eines Duisburger Reisebüros und einer Dortmunder Islamschule eingewiesen worden. „Uns wurden zwei Optionen dargelegt: Der bewaffnete Kampf in Deutschland, das heißt, hier Anschläge verüben, oder die Ausreise zum IS.“ Als Racheaktion war die Rede von Anschlägen auf Polizisten in Wuppertal gewesen, er aber habe zum IS gewollt.

Deutlich wird die zentrale Rolle, die die Moschee des inzwischen verbotenen Deutschsprachigen Islamkreises Hildesheim (DIK) für die terrorbereiten Islamisten spielte. „Die Menschen, die in der Moschee waren, waren vor allem welche, die mit dem IS sympathisiert haben und einige wenige Al-Kaida-Anhänger.“ „Sheikh Abu Walaa“ sei der einzige Prediger in Deutschland gewesen, der die Ausreise zum IS unterstützt habe. „Abu Walaa hat gesagt, er sei vom IS autorisiert, die Ausreise zu organisieren.“

Während die mutmaßlichen Terrordrahtzieher 2015 in Hildesheim und dem Ruhrgebiet über Anschläge, Gewalttaten und die Ausreise von „Brüdern“ berieten, gesellte sich ein „Murrat“ zu ihnen. Dass er es mit einem V-Mann des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen zu tun hat, wurde dem Kronzeugen nach seiner Aussage klar, als der angebliche „Murrat“ ihn ständig zu seiner Ausreise befragte und ihn zu Anschlägen in Deutschland ermunterte. Wie der Verteidiger von Abu Walaa an einem früheren Prozesstag sagte, rief der V-Mann wohl auch den späteren Berlin-Attentäter Anis Amri zu Anschlägen auf. Ob V-Mann „VP01“ in Hildesheim aussagen darf, steht noch nicht fest.

Die Verteidiger versuchten auch am Mittwoch zunächst, die Aussage des Hauptbelastungszeugen hinauszuzögern, mit dessen Glaubwürdigkeit der Prozess steht oder fällt. Der Kronzeuge erhielt für seine eigene Unterstützung des IS im Mai eine Bewährungsstrafe. Mit fantastischen Geschichten, so Abu Walaas Verteidiger, habe er sich ein mildes Urteil verschafft. Wie belastbar die Aussage des Zeugen sind, muss der weitere Verlauf des Prozesses zeigen, der sich voraussichtlich noch Monate hinziehen wird. (dpa)

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