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Der Hinweis "Düsseldorf Wehrhahn" steht am S-Bahnhof.

© Martin Gerten/dpa

Update

Prozess gegen Neonazi: Freispruch in Prozess um Düsseldorfer Wehrhahn-Anschlag

Im Prozess um den Bombenanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Ihm war zwölffacher Mordversuch aus Fremdenhass vorgeworfen worden.

Im Prozess um den Bombenanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn vor rund 18 Jahren ist der Angeklagte freigesprochen worden. Das Landgericht in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt sah eine Schuld des als Neonazi bekannten Ralf S. nicht als erwiesen an. Die Staatsanwaltschaft hatte dem 52-Jährigen zwölffachen Mordversuch aus Fremdenhass vorgeworfen und lebenslange Haft für ihn gefordert.

Bei dem Anschlag waren vor 18 Jahren, am 27. Juli 2000, zehn überwiegend jüdische Zuwanderer aus einer zwölfköpfigen Gruppe verletzt worden, einige von ihnen lebensgefährlich. Ein ungeborenes Baby starb im Mutterleib - getroffen von einem Metallsplitter.

Der Angeklagte versteckt sich im Gerichtssaal des Landgerichtes hinter einem Aktenordner.
Der Angeklagte versteckt sich im Gerichtssaal des Landgerichtes hinter einem Aktenordner.

© Federico Gambarini/dpa

Die Verteidiger hatte betont: „Die Beweisaufnahme hat den Nachweis für seine Täterschaft nicht erbracht.“ Der Angeklagte sei von völlig unglaubwürdigen Zeugen belastet worden. Es gebe keine Spuren von ihm am Tatort.

Der als Neonazi bekannte Angeklagte Ralf S. war bereits unmittelbar nach dem Attentat ins Visier der Ermittler gerückt. Die Polizei konnte ihm die Tat aber nicht nachweisen.

Im vergangenen November erhob die Staatsanwaltschaft jedoch Anklage gegen den früheren Militariahändler - zuvor hatte ein früherer Mithäftling berichtet, S. habe sich mit dem Anschlag gebrüstet. S. bestritt während des Düsseldorfer Prozesses vehement jede Beteiligung an dem Attentat, bei dem am Zugang zum S-Bahnhof ein selbstgebauter Sprengsatz in einer Plastiktüte ferngezündet worden war.

"Rechtsradikale Gesinnung"

Im Prozess hatten mehrere Zeugen frühere Aussagen zurückgenommen oder relativiert. Ihnen sei es möglicherweise zuvor bei ihren belastenderen Varianten um Hafterleichterungen oder die Belohnung gegangen, vermuteten die Verteidiger. Der 52-Jährige sei ein „Dampfplauderer und ein Dummschwätzer“, aber kein hochgefährlicher Rechtsextremist mit soziopathischen Zügen, wie von der Anklage behauptet.

Sämtliche vier Nebenkläger-Anwälte hatten den Angeklagten dagegen als überführt bezeichnet: Er habe sich in mitgeschnittenen Telefonaten mehrfach verraten. Das Gesamtbild sei eindeutig und beseitige jeden Zweifel. Die Kammer sei im Begriff, „den schwersten Justizfehler in der Geschichte Düsseldorfs zu begehen“, hatte Nebenklage-Vertreter Juri Rogner noch gewarnt.

Mit dem Freispruch von S. folge die Strafkammer dem Schlussantrag der Verteidigung. Nach sechsmonatiger Prozessdauer und der Vernehmung von 78 Zeugen nannte der Vorsitzende Richter die Indizien gegen S. "nicht ausreichend, um den Angeklagten zu überführen". Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen lebenslange Haft gefordert.In der Urteilsbegründung bescheinigte der Vorsitzende Richter Rainer Drees dem 52-Jährigen, den das Gericht wegen fehlenden dringenden Tatverdachts im Mai aus der Untersuchungshaft entlassen hatte, eine "rechtsradikale Gesinnung" gepaart mit einer ausgeprägten "Neigung zur Selbstinszenierung". S. habe während des gesamten Verfahrens gelogen - mit seinem "Hang zum Lügen und Fabulieren" habe er keinen Beitrag zur Aufklärung der Vorwürfe geleistet.

Belastungszeugen "unbrauchbar"

Die Aussagen zentraler Belastungszeugen in dem Prozess nannte der Richter "unbrauchbar", "unzulänglich" und "nicht belastbar". In dem Verfahren waren zwei frühere Mitgefangene von S. vernommen worden, nach deren Angaben der Angeklagte sich zu dem Wehrhahn-Anschlag bekannt haben soll. "Beiden Zeugen konnten wir nicht glauben", sagte der Vorsitzende Richter.

Auch gebe es keine Belege dafür, dass der Exsoldat S. überhaupt über die technischen Fähigkeiten zum Bau des verwendeten Sprengsatzes verfügt habe. Drees betonte, mit dem Freispruch habe die Strafkammer keineswegs ein leichtfertiges Urteil gefällt. "Wir haben es uns nicht leicht gemacht, weder bei der Entscheidung selbst noch auf dem Weg dahin."

Auch habe die Staatsanwaltschaft aufgrund der damaligen Indizienlage zu Recht Anklage gegen S. erhoben, sagte Drees. Dass der Angeklagte nach der Beweisaufnahme nun freigesprochen werden müsse, sei auch "keine Niederlage" für die Staatsanwaltschaft.

Gleichwohl wird sich Antrag der Düsseldorfer Strafverfolger demnächst der BGH in Karlsruhe mit dem Freispruch für S. befassen. Nach der zweistündigem mündlichen Urteilsbegründung kündigte der Düsseldorfer Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück am Rande des Prozesses Revision gegen das Urteil an. Zu den nachdrücklichen Zweifeln der Richter an der Täterschaft von S. sagte Herrenbrück: "Ich teile diese Zweifel nicht."

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich "bestürzt" über das Urteil. Auch wenn er den Freispruch des Angeklagten nicht nachvollziehen könne, respektiere er die Entscheidung des Gerichts, sagte er der "Rheinischen Post". Die Täter seien "noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen". "Das ist nicht nur schmerzhaft, sondern zutiefst enttäuschend." Jetzt müsse umso intensiver weiter ermittelt werden. (AFP, dpa)

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