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Seit Wochen demonstrieren immer wieder Hunderte in Minneapolis. Sie fordern einen fairen Prozess.

© Octavio Jones/REUTERS

Update

Prozess im Fall George Floyd begonnen: Fällt das Urteil zu milde aus, drohen neue Unruhen

Der Prozess um die Tötung des Afroamerikaners George Floyd hat begonnen. Eine zwölfköpfige Jury soll über die Schuld des Polizisten Derek Chauvin urteilen.

An der Kreuzung, an der George Floyd am 25. Mai 2020 seinen letzten Atemzug tat, stapeln sich auch an diesem Montag die Blumen. Kerzen flackern, Plakate mit seinem Porträt und Schriftzügen sind an eine erhobene Faust gelehnt. Das Denkmal erinnert an den Schwarzen, der vor rund zehn Monaten bei einem brutalen Polizeieinsatz ums Leben kam und über dessen Tötung nun vor Gericht verhandelt wird.

Die Gegend um den Tatort ist inzwischen nicht nur eine Gedenkstätte, sondern auch eine Art Experimentierfeld. Bevor man zur Kreuzung East 38th Street und Chicago Avenue im Süden von Minneapolis gelangt, mahnt ein großes Schild, man betrete jetzt den „Freistaat von George Floyd“, Barrikaden verhindern die Weiterfahrt.

Ein „heiliges Gebiet“ sei das, heißt es. So „heilig“, dass Polizisten hier unerwünscht sind. Zu viele der Bewohner haben schlechte Erfahrungen mit den vorwiegend weißen Ordnungshütern gemacht. Der Abrüstungs-Slogan vieler Linker im Wahlkampf, „defund the police“, hier wird er gelebt.

Das Problem ist nur, dass die vernachlässigte Gegend rund um das Memorial damit nicht sicherer, sondern unsicher geworden ist. Wie die „New York Times“ berichtet, hat die Zahl der Gewalttaten auch mit Schusswaffen zugenommen, sodass sich Lieferanten nicht mehr in diese Ecke der Stadt trauten.

Vor drei Wochen, als die Jury-Auswahl für den Prozess gegen den Polizisten Derek Chauvin begann, der Floyd getötet haben soll, war der Zugang für Fremde gesperrt, damit Angehörige um einen bei einer Schießerei Getöteten in Ruhe trauern konnten. Polizisten waren nicht involviert.

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Wie unter einem Brennglas zeigt die Situation rund um das Memorial, wie kompliziert der Prozess gegen Chauvin ist. Für die Demonstranten, die seit Wochen immer wieder vor dem Gerichtsgebäude demonstrieren und Gerechtigkeit für Floyd verlangen, geht es um mehr als diesen einen Fall. Es geht um den ihrer Ansicht nach strukturellen Rassismus in Amerika und um exzessive Polizeigewalt.

Kein Platz für Grauzonen

George Floyd wird in einer Art und Weise verehrt, die keinen Raum für Grauzonen lässt. Die Sorge darüber, was passieren könnte, wenn die Geschworenen Chauvins Schuld nicht für zweifelsfrei bewiesen erachten, ist groß. Die Demonstranten prophezeien für den Fall, dass das Urteil zu milde ausfällt, Unruhen, die schlimmer seien als jene, die nach Floyds Tod erst in der Großstadt Minneapolis und dann in Dutzenden weiteren amerikanischen Städten ausgebrochen sind.

Dem Ex-Polizisten drohen 40 Jahre Haft

Unter schweren Sicherheitsvorkehrungen hat am Montag der Prozess gegen Chauvin im Bezirksgericht von Minneapolis begonnen. Dem 45-jährigen Ex-Polizisten Chauvin wird unter anderem Mord zweiten Grades vorgeworfen, worauf in Minnesota bis zu 40 Jahre Haft stehen.

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In seinen Eingangsbemerkungen sagte Staatsanwalt Jerry Blackwell, der Angeklagte habe übermäßig und unnötig Gewalt gegen Floyd ausgeübt und das Leben aus diesem „herausgepresst“. „Als Herr Floyd in Not war, wollte Herr Chauvin ihm nicht helfen, hat ihm nicht geholfen“, sagte Blackwell. Floyd habe 27-mal um Hilfe gefleht. Auch habe Chauvin die Passanten, unter denen eine Sanitäterin gewesen sei, daran gehindert zu helfen.

Zudem würden die Beweise zeigen, „dass es von Anfang an keinen Grund gab, tödliche Gewalt gegen einen Mann einzusetzen, der sich nicht verteidigen konnte, in Handschellen war und keinen Widerstand leistete“, sagte Blackwell an die Geschworenen gerichtet.

Die Verteidigung argumentiert, der Polizist habe nur seinen Job gemacht

Chauvins Anwalt Eric Nelson wies die Argumente der Anklage zurück und betonte in seinem Eröffnungsplädoyer, Chauvin habe nur als Polizist seinen Job gemacht, „genau so, wie er dafür ausgebildet wurde“. Der Einsatz gegen Floyd sei gerechtfertigt gewesen, weil dieser Widerstand geleistet habe, sagte Nelson. Floyds Tod gehe nicht auf eine Gewalteinwirkung zurück, sondern auf dessen vorbelastete Gesundheit und Rückstände von Drogen in seinem Blut. Chauvin sei nicht schuldig.

Der Fall hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, vor allem aus einem Grund: Die Brutalität des Polizeieinsatzes ist auf Videos festgehalten. Jeder kann sich im Internet anschauen, wie die Polizisten den unbewaffneten und bereits Handschellen tragenden Floyd zu Boden drückten, der wegen eines falschen 20-Dollar-Scheins festgenommen worden war.

Acht Minuten und 46 Sekunden – so lange knieten die Beamten auf dem Opfer

Drei Polizisten saßen auf ihm, erschütternd aber ist vor allem, wie lange sie auf ihm verharrten – genau acht Minuten und 46 Sekunden –, wie der Polizist Chauvin dem Schwarzen mit seinem Knie die Luft abdrückte, obwohl dieser ihn anflehte, ihn atmen zu lassen. Die Worte „I can’t breathe“ sind zum Schlachtruf der „Black Lives Matter“-Bewegung geworden. Wie es mit ihr weitergeht, hängt auch von diesem Prozess ab.

Für Floyds Familie und Freunde kann es nur einen Ausgang geben: „Dieser Mordprozess ist nicht schwierig“, sagte ein Anwalt von Floyds Familie, Ben Crump, vor dem Gerichtsgebäude. Wer das „Foltervideo“ von Floyds Tod ansehe, verstehe dies. Immer wieder ist auch der Satz zu hören, dass es am Urteil keinen Zweifel geben würde, wäre der Polizist schwarz und das Opfer weiß.

Drei weitere, inzwischen ebenfalls entlassene Polizisten müssen sich in einem getrennten Prozess ab dem 23. August wegen Beihilfe verantworten. Auch sie könnten für viele Jahre hinter Gitter wandern. Die Demonstranten draußen vor dem Gerichtsgebäude erwarten nichts weniger als das.

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