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Christian Wulff vor dem Prozessauftakt am 14. November 2013.

© dpa

Prozessauftakt gegen Ex-Bundespräsidenten: Christian Wulff: Vom Oberhaupt zum Underdog

Ins Gericht hat Christian Wulff sich Sprechzettel mitgebracht. Ein Profi. Einer, der nicht gelöst wirken will. Aber auch nicht erdrückt. Nur vorsichtig verabschiedet er sich vom Duktus des Staatsmannes. Niemand soll bei den ersten Worten merken, wie tief seine Empörung sitzt.

Es liegt ein letzter Rest Amtswürde in der Luft, vielleicht auch Mitgefühl mit einem Gefallenen, als Christian Wulff in den großen Schwurgerichtssaal des Landgerichts Hannover tritt, mit Schlips und ohne Brille. Eine ungewohnte Stimmung, auch für Wulff. Er schreitet über das Stäbchenparkett, leicht gebückt, bedacht darauf, in der Stille kein Geräusch zu machen, streift mit seinem Blick das Publikum. Ein Handschlag für die Verteidiger, ein Blick in die Augen von David Groenewold, ein Griff an seinen Arm. Dann streckt er seinen Rücken und dreht sich in den Raum. Die Kameras klicken.

Er ist jetzt ganz da, wenn auch in neuer Rolle. Er war der jüngste Bundespräsident mit der kürzesten Amtszeit und der umschmeicheltsten Gattin. Nun ist er der erste, der nach seinem Staatsdienst wegen einer Straftat angeklagt wird. Vom Oberhaupt zum Underdog, ein Drama. Viele Menschen mochten Wulff zwar nie, hielten ihn für einen angepassten Politzögling. Aber sie mögen Dramen.

Geschäftspflege? Strafbar als Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung

Die Personalien. „Das können wir kurz handhaben“, sagt der Vorsitzende Richter Frank Rosenow. „Herr Wulff, Ihr Vorname ist Christian, das weiß ich.“ Erstmals etwas Heiterkeit im Saal, auch als der Richter erzählt, die Post an Wulffs neue Adresse in Hannover komme stets retour. Wulff lächelt. Gelöst will er nicht wirken. Belastet, das schon, aber nicht erdrückt.

Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer liest die Anklage vor. Wulff habe mit Familie auf Einladung seines Freundes, des Filmunternehmers David Groenewold, im September 2008 im Münchner Bayrischen Hof logiert. Sie hätten vereinbart, dass er sie von den Kosten freistelle, soweit weder CDU noch die niedersächsische Staatskanzlei für den damaligen Ministerpräsidenten zahle. Groenewold habe Wulff motivieren wollen, sich für ihn einzusetzen.

Ein Akt der Geschäftspflege, strafbar als Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung. Der Vorteil: 400 Euro für das Hotel, 110 für den Babysitter, ein Abendessen für 209,40 Euro, 3209 für eine Party im Festzelt mit weiteren Gästen.

Eimterbäumer macht deutlich, dass er die Tat für Bestechung hält, weil Wulff sich später in einem Brief an Siemens für dessen Projekt „John Rabe“ verwendete. Zudem hält er Groenewold ein Dementi in der Affäre als strafbare Falschaussage vor.

Groenewolds "berufliche Existenz ist zerstört"

Für Groenewold spricht sein Anwalt Friedrich Schultehinrichs, schildert Ausbildung und Karriereweg als Filmfinanzier und Fondsverwalter. Dann der Bruch. „Meine berufliche Existenz ist durch das Strafverfahren zerstört.“ Er habe kein Einkommen mehr. Vertrauen und ein guter Ruf seien alles in seinem Geschäft.

Einer, der vertraute, war Wulff. Die Freundschaft zu Wulff sei innig und rein privat gewesen, sagt der Anwalt. Viele Telefonate, viele SMS, spätabendliche Treffen in Berlin. Er war der erste Kumpel, der erfuhr, dass Frau Bettina schwanger war, der erste, der am Wochenbett stand, der nächste zum Bräutigam bei der Hochzeit. „Er hatte immer ein Ohr für mich, er nahm sich immer Zeit.“

Und, klar, man lud sich gegenseitig ein. Vielleicht auch ohne, dass der Eingeladene dies wusste? Will man Groenewold glauben, hatte er aus Verlegenheit einen Teil der Hotelkosten beim Oktoberfestbesuch übernommen. Wulff, der selbst zahlen wollte, sollte nicht merken, wie teuer die Zimmer eigentlich sind. „Ich wollte eine für mich unangenehme Situation bereinigen.“

Die Ermittler für die meisten Vorwürfe keine Bestätigung gefunden

Eine unangenehme Situation, die den prominenten Freund, Politiker und Staatsmann a. D. in eine noch viel unangenehmere gebracht hat. Christian Wulff hat sich Sprechzettel mitgebracht, Großdruck auf A-5-Querformat. Ein Profi. Man soll noch nicht bei den ersten Worten merken, wie tief seine Empörung sitzt. „Mir geht es um Gerechtigkeit“, sagt er. Er sei aus Respekt vor dem Rechtsstaat zurückgetreten, habe sich darauf verlassen, dass Recht stärker sei als Stimmungen. „Ich bekenne mich zu meinen Fehlern und habe außerordentlich viel gelernt.“ Das Angebot der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen eine Auflage von 20 000 Euro einzustellen, habe er abgelehnt, weil den Prozess als Drohung zu empfinden, eine Niederlage für das Recht gewesen wäre. Nur aus Erschöpfung klein beizugeben, sei für ihn nicht infrage gekommen, obwohl: „Ich sehne mich nach Ruhe.“

Aber vorher kommt der Kampf. „Politiker haben ein Recht auf Freunde“, betont Wulff, sie dürften, was alle Menschen dürfen. Er habe Freunde, die anders tickten als er, aus anderen Parteien und anderen Religionen. „David Groenewold ist mein Freund. Wir mögen uns, gerade weil wir so verschieden sind.“ Er nennt ihn einen „Lebensbegleiter“, der in der Zeit, als Wulff sich in eine neue Frau verliebte, „extrem wichtig“ für ihn gewesen sei. Selbstverständlich durfte der Freund auch bei der Familie in Großburgwedel „übernachten, ohne zu bezahlen“. Wieder Heiterkeit. Ja, bei Groenewold habe man aufpassen müssen, er habe ein „einladendes Wesen“. Aber er, Wulff, habe aufgepasst.

Wulff argumentiert noch mit seinen Aufgaben als Ministerpräsident, beteuert, dass er sich um der Sache willen für den Film „John Rabe“ starkgemacht habe, dann kommt es doch noch zur Abrechnung: „Ich empfinde das als Farce. Die Vorwürfe sind abwegig.“ Der Angeklagte spricht Staatsanwalt Eimterbäumer jetzt direkt an und bezichtigt ihn der „Ehrabschneidung“. Die Ermittlungen seien einseitig gewesen und hätten jede Grenze überschritten. 24 Beamte und vier Staatsanwälte hätten 14 Monate seine Privatsphäre durchleuchtet und „jeden Winkel meines Lebens ausgeforscht“. 30 000 Aktenseiten hätten die Ermittler zusammengetragen, fünf Terabyte Daten ausgewertet, drei Staaten um Rechtshilfe ersucht. Die Razzia in Großburgwedel habe „das Familienhaus entweiht“.

Ohnehin hatten die Ermittler für die meisten Vorwürfe keine Bestätigung gefunden. Alarmiert wurden sie vor allem durch Berichte, Groenewold habe Sylt-Urlaube des damaligen Ministerpräsidenten gebucht und bezahlt. Allerdings war Wulffs Einlassung, er habe seine Schulden noch am Ort und in bar beglichen, nicht zu widerlegen. Auch seine Verwicklung in die promiträchtigen Events des Partyveranstalters Manfred Schmidt blieb folgenlos. Dafür ist dieser nun gemeinsam mit Wulffs früherem Sprecher Olaf Glaeseker wegen Bestechung angeklagt. Glaeseker soll Sponsoren für Schmidts „Nord-Süd-Dialog“ genannte Amüsiertreffen eingeworben haben. Im Gegenzug soll Schmidt ihn zu Urlauben eingeladen haben. Der Prozess startet am 9. Dezember und läuft dann parallel zu Wulffs Verfahren, der dort als Zeuge aussagen könnte.

Wulff möchte nun der Wahrheitsfindung dienen. Er sagt sogar: „Mir liegt es am Herzen, das Verfahren zu beschleunigen.“ Anlass dazu hat er wohl, denn die Affäre hatte mit dem begonnen, was man gemeinhin eine kleine Lüge nennt. Oder eben die halbe Wahrheit, je nach Perspektive. Der damalige Ministerpräsident verneint 2010 im niedersächsischen Landtag die Frage, ob er geschäftliche Beziehungen zum Unternehmer und väterlichen Freund Egon Geerkens unterhalte. Allerdings gibt es zu diesem Zeitpunkt einen Privatkredit von dessen Frau für Wulffs Hauskauf in Großburgwedel, wie im Dezember 2011 nach einem „Bild“-Bericht bekannt wird. Und mindestens beim Verhandeln war auch der Unternehmer Geerkens dabei.

Nun will Wulff erneut reinen Tisch machen, aber wieder wird es eine halbe Sache

Für viele fügt sich ein Bild. Mancher hatte gemutmaßt, der notorisch knappe Wulff habe das Geld fürs Eigenheim von seinem Millionärsfreund Carsten Maschmeyer bekommen; um Einblick ins Grundbuch zu erhalten, wurde sogar der Bundesgerichtshof eingeschaltet. Wulff stand mittlerweile bei der BW-Bank in der Schuld, doch unterschrieb er dort erst nach der Anfrage im Landtag. Der Geerkens-Kredit ist kein Geschenk gewesen. Wulff betont, er sei marktüblich verzinst gewesen. Doch es ist zu spät. Bankexperten rechnen vor, dass Wulff zu günstig weggekommen ist, Rechtsexperten wie der Speyerer Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim bringen Verstöße gegen das Ministergesetz ins Gespräch. Wulff will modern sein und kündigt erstmals an, „Transparenz“ herzustellen. Ein Versprechen, das nicht nach Defensive klingen soll, sondern nach Ehrbarkeit. Ein folgenreiches Versprechen. Wulff würde sich darauf festnageln lassen müssen.

Schon bald darauf wird die angekündigte Lauterkeit einer neuen Prüfung unterzogen. In den Medien kursieren Textpassagen eines Anrufs beim Chefredakteur der „Bild“ kurz vor den für ihn verhängnisvollen Veröffentlichungen. Etwas von einem „endgültigen Bruch“ hatte der Präsident ins Telefon gepoltert, vom Kriegführen und dem Rubikon, der jetzt überschritten sei. Die Presse gibt sich weinerlich und prangert einen Großangriff auf die Pressefreiheit an. Darum handelt es sich nicht; doch ein unpassendes Anliegen für einen, der nichts zu verbergen hat, das ist es schon.

Wulff: „Ich will, dass Recht gesprochen wird“

Wie zur Beglaubigung seines reinen Gewissen mandatiert Wulff den Bonner Medienrechtler Gernot Lehr, Sohn der einstigen Familienministerin und Partner der traditionellen Haus- und Hofkanzlei der Bundesregierung Redeker. Lehr hatte auch schon Johannes Rau beigestanden. „Die Wahrnehmung öffentlicher Ämter verlangt zu jedem Zeitpunkt ein hohes Maß an Integrität und Verantwortungsbewusstsein“, erklärt Wulff ganz im Duktus des Staatsmannes. Bei Lehr deponiert er Kreditunterlagen und weitere Akten.

Interessierte Journalisten können nun seine Urlaubsreisen nachvollziehen. Es entwickelt sich ein am Ende für Wulff verhängnisvolles Reiz-Reaktions-Schema. Neue Vorwürfe provozieren neue Transparenz. Die Auskünfte wiederum werfen neue Fragen auf. In einem großen Fernsehinterview verspricht Wulff dann erneut Transparenz, auch zu allem, was er bisher gefragt worden ist. Als der Tagesspiegel nachhakt, verweigert Wulffs Anwalt die Dokumente. Wieder ist die Empörung groß, wieder steht Wulff als einer da, bei dem Reden und Handeln nicht zusammenpassen wollen. Schließlich muss er nachgeben.

Nun will Wulff erneut reinen Tisch machen, aber wieder wird es eine halbe Sache. Mehr als diese Einlassung soll es von ihm nicht geben, auch von Groenewold nicht. Die Staatsanwaltschaft soll vorlegen müssen, die Vereidigung will die Anklage in Stücke hauen. 46 Zeugen sind geladen, 22 Termine geplant. Wulff sagt, es könnten noch mehr werden und es werde noch länger dauern, weil seine Anwälte auch noch Entlastungszeugen präsentieren würden. Der Prozess kann aber auch ein schnelles Ende haben, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass Wulff von der Teileinladung tatsächlich keine Kenntnis hatte.

„Ich will, dass Recht gesprochen wird“, sind Wulffs vorerst letzte Worte in diesem Verfahren.

„Das war’s für heute“, sagt Richter Rosenow.

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