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Politik: Prüfung ohne Priorität - Das UN-Tribunal zeigt wenig Neigung, die Allianz anzuklagen

Für formelle Ermittlungen gegen die Nato wegen der Bombardierung Jugoslawiens sieht das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag noch keinen Anlass. Allerdings prüft das UN-Sondergericht derzeit den Bericht einer Gruppe westlicher Juristen und russischer Parlamentarier, die der Nato vorwerfen, mit der Bombardierung ziviler Ziele Kriegsverbrechen begangenen zu haben.

Für formelle Ermittlungen gegen die Nato wegen der Bombardierung Jugoslawiens sieht das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag noch keinen Anlass. Allerdings prüft das UN-Sondergericht derzeit den Bericht einer Gruppe westlicher Juristen und russischer Parlamentarier, die der Nato vorwerfen, mit der Bombardierung ziviler Ziele Kriegsverbrechen begangenen zu haben. Da das Tribunal als Strafgerichtshof nicht gegen Organisationen und Staaten, sondern nur gegen Einzelpersonen ermitteln kann, richten sich die Vorwürfe gegen 68 Regierungspolitiker der Nato-Staaten. Die Riege der beschuldigten Politprominenz reicht von US-Präsident Clinton, Frankreichs Präsident Chirac, dem britischen Premier Blair über Bundeskanzler Schröder, dem damaligen Nato-Generalsekretär Solana bis hin zum grünen Außenminister Fischer.

Von "überwältigenden Beweisen" spricht der kanadische Jura-Professor Michael Mandel, einer der Verfasser des dem UN-Tribunal im Novemember übergebenen Berichts. Das Tribunal müsse jetzt handeln, fordert der an der Universität Toronto lehrende Jurist. Das Sondergericht in Den Haag habe genügend Beweise für eine Anklageschrift: Weiteres Zögern würde das Tribunal in den Ruch der "Voreingenommenheit" geraten lassen. Die Anklagevertretung verweist jedoch darauf, dass das Tribunal regelmäßig von verschiedener Seite mit Informationen über mutmaßliche Kriegsverbrechen beliefert werde. Erst nach deren sorgfältiger Prüfung könne entschieden werden, ob die Informationen tatsächlich zu einer Anklageerhebung ausreichen. Ein Sprecher der Anklagevertretung ließ allerdings bereits Ende Dezember verlauten, dass der von der Gruppe eingereichte Bericht für die Schweizer Chefanklägerin Carla del Ponte "keine Priorität" habe.

Befragt, ob sie auch zu Ermittlungen gegen Nato-Angehörige bereit sei, hatte Del Ponte dies zuvor gegenüber dem britischen "Observer" grundsätzlich nicht ausgeschlossen - und damit in den USA für gehörigen Wirbel gesorgt. Doch auch wenn sich in den vergangenen Monaten mehrmals Mitarbeiter des Tribunals mit Vertretern von Gruppierungen getroffen haben, die auf Ermittlungen gegen die für die Bombardements verantwortlichen Nato-Politiker dringen, wird in Den Haag kaum damit gerechnet, dass die Anschuldigungen tatsächlich zu offiziellen Anklagen führen.

Mandel hat in einem Brief an Del Ponte in dieser Woche das Tribunal dazu aufgefordert, die Öffentlichkeit über den Stand seiner Untersuchungen des Nato-Vorgehens zu informieren. Ein halbes Jahr nach Ende des Kosovo-Krieges sei es unverständlich, warum die Einleitung offizieller Ermittlungen gegen die Nato noch immer verzögert werde, kritisiert Mandel. Für ihn stellt sich die Frage der "Unparteilichkeit des Tribunals": Schließlich habe es Milosevic auch schon während des Krieges anklagen können.

Thomas Roser

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