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Politik: Prügel für den Schwachen

Von Alfons Frese

Es wird viel geschwatzt im politischen Berlin. Vor einiger Zeit demonstrierten in Sichtweite des Kanzleramtes Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst. Der Kanzler sah herab auf die protestierenden Mitglieder der Gewerkschaft Verdi und sprach: Wenn die nicht spuren, mach ich die platt. Ob diese Geschichte stimmt, weiß kein Mensch. Aber sie könnte stimmen. Denn wenige Monate nach dem Wahlsieg im Herbst 2002 hat Gerhard Schröder die Gewerkschaften abgeschüttelt, die Agenda 2010 verkündet und Sozialreformen mit der Union durchgezogen. Gegen den Widerstand der Gewerkschaften, mit Zustimmung der Arbeitgeber.

Schröder zockt. Er verstößt die Arbeiterführer, die ihm 1998 ins Amt geholfen haben, und setzt alles auf eine Karte: Aufschwung! Die aktuellen Wachstumsdaten werden ihm Hoffnung machen und ihn in seiner Beharrlichkeit bestärken. Und wenn 2005 die Konjunktur richtig in Fahrt kommt und 2006 sogar brummt, dann steht der Kanzler im Wahljahr blendend da. Angela Merkel nicht ganz so gut. Und die Gewerkschaften? Kaltgemacht von einem SPDKanzler?

Der Jahrzehnte währende Erfolg der (west-)deutschen Marktwirtschaft wird gerne mit dem Begriff „Modell Deutschland“ umschrieben. Gemeint ist damit ein gutes Einvernehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, eine Ergänzung dieser Partnerschaft durch den Staat und die Eroberung der Weltmärkte mit Produkten, made in Germany. Abgesehen von der Exportstärke ist das alles Geschichte. Ein Grund für das Ende des Modells ist sein Erfolg: Im Rausch des unendlichen Aufschwungs genehmigten sich Tarifpartner und Staat immer größere Schlucke aus der Pulle. Zum Beispiel Vorruhestandsregelungen, die von der Rentenversicherung finanziert werden, und überzogene Tarifabschlüsse, die am Ende alle Beitragszahler mittragen müssen, weil in der Folge die Arbeitslosigkeit steigt. Diese Zeiten sind vorbei. Der Sozialstaat hat die Belastungsgrenze überschritten und muss neu gedacht werden. Dafür steht die Agenda 2010.

Das Losungswort zum sozialdemokratischen Selbstverständnis heißt soziale Gerechtigkeit. Warum das gut mit der Agenda zusammenpasst, kann Schröder nicht erklären. Weil der Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen sich in der Welt der Wirtschaftsbosse viel wohler fühlt als auf einem Gewerkschaftstag oder einer Parteiversammlung in Duisburg. Also muss das Parteichef Müntefering machen. Aber ausweglos ist die Lage gar nicht. Die Agenda ist gerecht, wenn sie mehr Menschen einen Arbeitsplatz bringt. Und wenn die meisten Hilfeempfänger, denen die Hilfe gekürzt wird, am Ende wirklich besser für sich selbst sorgen können.

Die Gewerkschaften sprechen von Armutsfalle und Arbeitszwang – und liegen damit nicht ganz falsch. Ohne soziale Verwerfungen wird Schröders Agenda nur funktionieren, wenn es künftig mehr Beschäftigung zu anständigen Löhnen gibt. Ohne einen zweiten, öffentlich finanzierten Arbeitsmarkt wird das – jedenfalls im Osten – kaum gelingen.

Die Sorge der Gewerkschafter, dass die Löhne sinken, ist berechtigt. Das gehört zu den Folgen der veränderten Sozialpolitik, der Globalisierung und der EUErweiterung. Unter welchem Druck die Arbeitnehmer stehen, das zeigen der Lohnverzicht und die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche in zwei Siemens-Betrieben. Eine bittere Entscheidung für die IG Metall, denn mit dem Verzicht der Beschäftigten kann sie nur annähernd den Kostenvorteil Ungarns aufholen; der besteht im Wesentlichen aus niedrigeren Steuern und höheren Subventionen.

Der Standortnachteil der Siemens-Betriebe, den die Politik zu verantworten hat, wird also der Gewerkschaft zugeschoben. Und anschließend fordern Unionspolitiker die flächendeckende Einführung der 40-Stunden-Woche. Das ist dreist und geht nur, weil bei den Gewerkschaften vieles abgeladen werden kann. Der Schwache zieht die Prügel an. Das gilt genauso für die SPD. Es wäre für beide vernünftiger, die Restbestände an Stärke zu vereinen. Es gibt noch immer einen gemeinsamen Gegner.

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