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Immer häufiger kümmern sich private Konzerne um deutsche Autobahnstrecken. Der Bund umgeht so die Schuldenbremse.

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Public-Private-Partnerships: Sabotage an der Schuldenbremse

Immer mehr Autobahnstrecken überträgt der Bund an private Konzerne. Das kommt den Staat teuer zu stehen. Aber mit den geheimen Verträgen lässt sich die Schuldenbremse umgehen.

Rebellen gegen die Obrigkeit arbeiten gemeinhin nicht als Beamte bei Verkehrsbehörden. Aber Niedersachsens Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) hat jüngst ein Nest des Widerstandes bei seiner „Landesbehörde für Straßenbau“ ausgemacht. Udo Othmer, Amtsleiter in deren „Geschäftsbereich Gandersheim“, soll sich der „Illoyalität“ schuldig gemacht haben und muss sich nun einem Disziplinarverfahren stellen, berichtet ein Personalvertreter. Alle Mitarbeiter des vermeintlich aufsässigen Beamten wurden zudem verpflichtet, „dienstliche Erklärungen“ darüber abzuliefern, wann und mit wem sie über dienstliche Angelegenheiten gesprochen haben. Und selbst die Präsidentin der Behörde blieb nicht verschont. Sie mochte bei ihren Beamten kein Fehlverhalten erkennen und verteidigte sie. Kurz darauf verlor sie ihren Posten und wurde ins Ministerium versetzt.

Beamtenrevolte im kleinen Bad Gandersheim? Der Vorgang mutet absurd an, aber der Hintergrund ist ernst. Amtsleiter Othmer hatte es im vergangenen August gewagt, schriftlich der geplanten Vergabe von Ausbau und Betrieb der durch Niedersachsen laufenden Autobahn A7 an private Baukonzerne zu widersprechen. Die öffentliche Hand könne „bis zu 60 Millionen Euro“ sparen, wenn sie das Projekt in eigener Regie durchführen würde, schrieb er in einem ausführlich begründeten Vermerk an seine Chefin, dessen Inhalt später über einen Landtagsabgeordneten bekannt wurde. Eigentlich erfüllte er damit nur seine Aufgabe, nämlich die finanziellen Interessen des Staates zu schützen. Aber genau das bringt Landesminister Bode und mit ihm Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer in Schwierigkeiten und Othmer darum eine Menge Ärger. Denn die Analyse des Fachmanns im Amt stellt eine zentrale Konstruktion der deutschen Verkehrspolitik grundsätzlich infrage: Die Übertragung von Ausbau und Betrieb eines stetig wachsenden Teils des deutschen Autobahnnetzes an private Baukonzerne und ihre Banken.

Schon seit mehr als zehn Jahren propagieren Finanz- und Verkehrspolitiker aus Union, FDP und SPD solche sogenannten Public Private Partnerships (PPP) als bequeme Alternative zum direkten Bau und Betrieb von Bauten aller Art durch die öffentliche Hand. Aber bei keinem der vielen PPP-Projekte geht es um so viel Geld wie bei den bundeseigenen Autobahnen. Sechs Abschnitte, jeweils zwischen 44 und 72 Kilometer lang, mit einem Konzessionswert von mehr als fünf Milliarden Euro sind bereits von privaten Baukonsortien unter Führung der Konzerne Bilfinger, Strabag, Hochtief und der französischen Vinci ausgebaut und für drei Jahrzehnte in deren Regie übertragen worden (siehe Karte). Sechs weitere Projekte in der gleichen Größenordnung sind fest eingeplant, und noch viele sollen folgen.

Rechnungshof hat massive Einwände

Die Idee hinter dieser Teilprivatisierung folgt einer einfachen Logik. Indem der Staat Bau und Betrieb der Fernstraßen für 30 Jahre an private Unternehmen vergibt und ihnen im Gegenzug die dort anfallenden Einnahmen aus der Lkw-Maut überlässt oder vergleichbare Zahlungen leistet, übernehmen die privaten Betreiber auch alle Risiken, die damit verbunden sind. Wenn die Kosten für Bau und Erhalt der Fahrbahnen höher oder die Mauteinnahmen niedriger ausfallen als geplant, soll das für die Staatskasse ohne Belang sein. Und weil die Unternehmen die Folgen möglicher Baumängel selbst tragen müssen, haben sie einen hohen Anreiz, höchste Qualität zu liefern. Das klingt, gerade in Zeiten, da der Staat als Baumeister auf allen Großbaustellen versagt, zunächst überzeugend.

Aber so einleuchtend das Konzept scheint, so umstritten ist es auch. Vor allem die Experten des Bundesrechnungshofes erheben seit Jahren massive Einwände gegen das PPP-Prinzip im Autobahnbau. Schon 2009, nach Prüfung der vier Projekte der „ersten Staffel“, kam Rechnungshofpräsident Dieter Engels zu einem vernichtenden Ergebnis. Demnach ergebe sich „für den Bund ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden“ und es bestünden „grundsätzliche Zweifel“, „ob mit den“ – im Ministerialjargon sogenannten – „A-Modellen wirtschaftliche Vorteile erreicht werden können“. Auch in den Prüfberichten zu den Einzelprojekten machten die amtlichen Kontrolleure immer wieder große Nachteile für die Staatskasse aus. Zuletzt erklärten die Bundesprüfer bei einer Anhörung des Bundestages im Oktober, „die bisherigen Erfahrungen“ würden die von ihnen „aufgezeigten Risiken bestätigen“.

Merkwürdig: Verkehrsminister Peter Ramsauer und die meisten seiner Länderkollegen halten unbeirrt von der amtlichen Kritik an dem Programm fest. Die Privaten seien effizienter als die Verwaltung und daher billiger, erklärte Ramsauer schon im Jahr 2010, da sei er eben „anderer Meinung als der Bundesrechnungshof“. Und dabei bleibt er bis heute. Dass er mit dieser lässigen Ignoranz gegenüber den Prüfern durchkommt, hat einen einfachen Grund: Ramsauers Ministerium verweigert Parlamentariern und unabhängigen Wissenschaftlern den Zugang zu all jenen Dokumenten, welche die Überlegenheit der privaten Betreiber belegen sollen. Geheim sind nicht nur die Verträge mit den Baukonzernen wegen deren „schutzwürdiger Interessen“, wie Ramsauer es ausdrückt. Geheim sind sogar die vom Haushaltsrecht vorgeschriebenen „Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen“, mit denen das Ministerium vor jeder Ausschreibung nachweisen muss, dass der konventionelle Einkauf von Bauleistungen und der Betrieb durch die staatlichen Autobahnmeistereien teurer ist als die Vergabe an die privaten Konsortien. Diese Geheimhaltung sei notwendig, weil sonst die „Bieter“ bei den Ausschreibungen für die Autobahnstrecken „Rückschlüsse auf wettbewerbsrelevante Daten der öffentlichen Hand“ ziehen könnten, erklärte Ramsauers Staatssekretär Jan Mücke im Dezember auf Anfrage des SPD-Abgeordneten Michael Groß.

Kostenvorteil löst sich in Luft auf

Das ist zwar wenig überzeugend, weil in der Baubranche ohnehin bekannt ist, welche Preise die Verwaltung bei Autobahnprojekten zahlt. Aber es verhindert jede unabhängige Überprüfung. Diese verweigerte Ramsauer selbst seinem baden-württembergischen Amtskollegen Winfried Hermann. Als Stuttgarts grüner Verkehrsminister nachrechnen lassen wollte, ob die dort für dieses Jahr geplante Vergabe von Ausbau und Betrieb einer 47 Kilometer langen Strecke der A6 an private Firmen wirklich wirtschaftlicher ist als die konventionelle Methode, verbot Ramsauer ihm kurzerhand die Weitergabe der nötigen Daten an einen externen Gutachter. Weil der Bund die Kosten trägt und das Land beim Autobahnbetrieb nur im Bundesauftrag handelt, gab Hermann klein bei.

Tatsächlich aber ist die als „streng vertraulich“ gekennzeichnete „Wirtschaftlichkeitsuntersuchung“ für das A6-Projekt bei der Bauindustrie längst bekannt und liegt auch dem Tagesspiegel vor. Die Lektüre ist aufschlussreich. Erwartungsgemäß kommen die Autoren aus gleich fünf privaten Beratungsunternehmen in dem 140 Seiten starken Gutachten zu dem Schluss, dass die Vergabe des Projekts in der PPP-Variante gegenüber der konventionellen Beschaffung „einen kostenseitigen Vorteil“ von fünf Prozent oder 33,4 Millionen Euro habe.

Doch dieses Ergebnis beruht auf zahlreichen willkürlichen Annahmen. So kalkulieren die Gutachter pauschal, dass die Unternehmen bei Bau, Erhaltung und Betrieb generell zehn Prozent der Kosten einsparen, die anfallen würden, wenn die Verwaltung diese Leistungen getrennt ausschreibt und an Bauunternehmen vergibt. Belege für die Plausibilität dieser Annahme führen sie nicht an. Eine weitere Stellschraube zur Verbilligung der PPP-Beschaffung ist die Bewertung von Risiken aller Art. Da bringt dann die Annahme, dass die Baukonzerne das Risiko möglicher Baukostensteigerung besser im Griff haben als die Behörden, zehn Millionen Euro Einsparung. Dann wieder nehmen die Gutachter an, dass die privaten Unternehmen das Risiko einer Zinsänderung für die aufgenommenen Kredite besser steuern könnten als die Bundeskasse. Auch das geht mit 30 Millionen Euro in die Rechnung ein, obwohl die Schulden des Bundes längst besser gemanagt werden, als es Privatunternehmen je könnten.

Ohne all diese Verrenkungen, auch das zeigt das Gutachten, ist der Privatbetrieb der Autobahnen eigentlich wesentlich teurer. Selbst Ramsauers Gutachter räumen ein, dass der Kostenvorteil der PPP-Variante sich in Luft auflöst, wenn der angenommene Effizienzgewinn nur fünf statt zehn Prozent beträgt. Das ist auch nicht verwunderlich. Denn die privaten Autobahner haben einen gravierenden Nachteil gegenüber der öffentlichen Hand: Für die notwendigen Kredite müssen sie wesentlich mehr bezahlen als der Staat. Bei einer Zinsdifferenz von derzeit etwa 2,6 Prozent ergibt das allein für das rund 300 Millionen Euro teure Teilstück der A6 in Baden-Württemberg Mehrkosten von 110 Millionen Euro, also gut ein Drittel des ganzen Bauvolumens. Torsten Beckers, Infrastrukturökonom an der TU Berlin, hält diesen Nachteil für nicht überwindbar. „Keine bekannte Technologie“ erlaube „auch nur in Ansätzen“ eine Einsparung solcher Größenordnung, warnte er bei der Anhörung des Bundestages im Oktober. Das sieht Dieter Engels, Chef des Bundesrechnungshofes genauso. Seine Behörde habe „Zweifel, ob diese Mehrkosten durch Einsparungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden können“, erklärte er auf Anfrage des Tagesspiegels.

Regierung folgt griechischem Ansatz

Warum also ziehen Ramsauer und seine Länderkollegen das PPP-Programm für Deutschlands Autobahnen trotzdem so eisern durch? Die Antwort ist ebenso logisch wie banal: Weil sie damit weit mehr Autobahnbaustellen finanzieren können als auf konventionellem Weg. Denn der eigentliche Clou der „Partnerschaft“ mit Industrie und Banken ist, dass rein formal nicht der Staat die notwendigen Kredite aufnimmt, sondern die Bauunternehmen. Zwar geht die Bundeskasse de facto die gleichen Verpflichtungen ein wie bei der Kreditaufnahme. Schließlich muss sie die Baukonsortien 30 Jahre lang genauso bezahlen, wie auch eine Anleihe bedient werden muss. Doch selbst wenn das unterm Strich teurer wird, schlägt es sich eben nicht heute in der Schuldenstatistik nieder. Darum seien „die PPP-Projekte nichts anderes als eine versteckte Kreditaufnahme, mit der die Regierung genau die verfassungsrechtliche Schuldenbremse sabotiert, die sie ganz Europa verordnet hat“, zürnt der Grünen-Abgeordnete und Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter. „Anstatt für zwei Prozent Zins bei den Banken und Vermögenden“ verschulde sich die Regierung nun „für fünf Prozent Zins bei der Bauindustrie“, höhnt der streitbare Bayer. Und dafür würden „die Untersuchungen zur Wirtschaftlichkeit manipuliert, um den Anschein von Legalität zu erwecken.“

Alle unabhängigen Fachleute geben ihm Recht. Mit dem PPP-Ansatz werde „der Grundgedanke der Schuldenbremse umgangen“, konstatierte TU-Experte Beckers bei der Anhörung im Verkehrsausschuss. Dabei befinde sich Deutschland „in schlechter Gesellschaft“, weil gerade Europas Krisenländer eine solche „Vorfinanzierung mit PPP am intensivsten betrieben haben.“ Damit verfolge die Regierung „salopp gesagt die Anwendung des griechischen Ansatzes“ in der Infrastrukturfinanzierung. „Wir sehen sehr wohl das Risiko, dass PPP- Projekte verstärkt als alternative Finanzierungsmodelle eingesetzt werden könnten, um einen Verstoß gegen die neue Schuldenregel zu verhindern“, mahnt ebenso Rechnungshof-Chef Engels. Und genauso sieht es Holger Mühlenkamp, Professor an der Verwaltungs-Uni Speyer. Die Zahlungspflichten aus den PPP-Projekten „binden künftige Regierungen genauso wie neue Schulden“, warnt er. Daher sollten „Verpflichtungen aus PPP grundsätzlich in die Schuldenstatistik aufgenommen werden“, fordert der Verwaltungsexperte, um „diesen Fehlanreiz“ für die Politik zu beseitigen. Diesen Vorschlag hat die EU-Kommission jedoch bisher abgelehnt. Die Politik mache sich „ ihre Regeln eben selbst“, kommentiert Mühlenkamp resigniert.

Tatsächlich bestreitet Minister Ramsauer gar nicht, dass er das PPP-Programm schlicht als alternative Finanzquelle betreibt. So erklärte er etwa im vergangenen Oktober, dass sich „ohne die Hilfe privater Investoren der Ausbau der A1“ und anderer Strecken „um Jahre nach hinten geschoben“ hätte, weil in seinem Etat „schlicht nicht genug Geld da sei“. Auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Bode gab zu, der Ausbau der A7 könne nur über die PPP-Variante laufen, weil dem Bund ansonsten das Geld fehle.

"Das wird hier als unseriös empfunden"

Dumm nur für Bode und Ramsauer, dass sie dafür die Mogelei mit den Zahlen so auf die Spitze trieben, dass Niedersachsens Fachbeamte nicht mitspielen wollten. Diese hatten unter Leitung von Amtschef Othmer ihre Daten über die Kosten eines konventionellen Ausbaus der A7-Strecke den vom Bund beauftragten Gutachtern zur Verfügung gestellt. Aber als diese im August im Bonner Ministeriumssitz ihre Ergebnisse vorstellten, stellte Othmer zu seiner Verblüffung fest, dass Ramsauers Experten ganz andere Daten verwendeten. In der Folge erschien die konventionelle Beschaffung um mehr als 20 Millionen Euro teurer als von Othmers Behörde angesetzt.

Vor allem aber ließen die PPP-Förderer im Bundesauftrag den entscheidenden Vorteil der konventionellen Beschaffung einfach weg. Für die privaten Betreiber lohnt sich das Projekt erst, wenn der Bau über die ganze Strecke beginnen kann. Weil aber das Baurecht nur nach und nach erteilt wird, können sie frühestens 2016 beginnen. Bis dahin müsste die völlig marode Strecke darum immer wieder teuer ausgebessert werden. Der konventionell beauftragte Ausbau Stück für Stück könnte dagegen schon in diesem Jahr beginnen, so an die zehn Millionen Euro Erhaltungskosten einsparen und viel früher fertig werden, kalkulierte Othmer. Das ließen die Bundesgutachter jedoch unter den Tisch fallen. „Dieses Vorgehen wird hier als unseriös empfunden“, schrieb der erfahrene Autobahnbauer daher später in den Vermerk, für dessen Verbreitung er sich nun verantworten soll.

Dabei gehen Minister Bode und sein Apparat vermutlich deshalb so hart gegen den Kritiker vor, weil mit der Gegenrechnung aus der eigenen Behörde erstmals eines der PPP-Projekte im Autobahnbau infrage steht und bei einer Absage womöglich das ganze Modell nicht länger zu halten wäre. Immerhin hat die niedersächsische SPD sich ausdrücklich gegen die „Privatisierung“ des Autobahnbetriebs ausgesprochen, obwohl das Programm einst von den SPD-Ministern Peer Steinbrück und Wolfgang Tiefensee zu Zeiten der schwarz-roten Koalition in Gang gesetzt wurde.

Kommt es nach der Wahl am kommenden Sonntag zu einem Regierungswechsel in Hannover, müsste Udo Othmer das Disziplinarverfahren jedenfalls nicht länger fürchten.

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