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Politik: Putin darf alles

RUSSLANDS WAHL

Von Claudia von Salzen

Kurz vor der Wahl hat die russische Wirklichkeit den schönen Schein zerstört: mit einem neuen Selbstmordanschlag im Kaukasus. Wochenlang hatten die Parteien Wahlkampf gemacht, als gebe es weder Krieg noch Terror im eigenen Land. Für Präsident Putin ist Tschetschenien längst auf dem Weg zur Normalität. Und wer legt sich schon offen mit Putin an? Kaum jemand traut sich noch – das ist das Erschreckende.

Russland liegt heute in einer Grauzone zwischen autoritärem Staat und Demokratie. Die Parlamentswahl am Sonntag ist ein Gradmesser für Fortschritt und Rückschritt. Die wahrscheinliche Wahlsiegerin, die Partei „Einiges Russland“, hat nur ein Ziel: den Präsidenten zu unterstützen. Sie gilt als „Partei der Macht“, Minister, Gouverneure und Beamte haben dort das Sagen. Sie erinnert stark an die überwunden geglaubte Einheitspartei, die KPdSU. Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen. Seltsam vertraut wirken die Bilder im Staatsfernsehen, die den Spitzenkandidaten Gryslow in Kindergärten, bei Parteiveranstaltungen und in Fabriken zeigen. In den entlegenen Regionen des Landes sollen parteitreue Gouverneure für das richtige Ergebnis sorgen. Notfalls, das befürchten viele, wird nachgebessert.

Der Wahlkampf verlief nicht nach den westlichen Regeln der Demokratie. Der Opposition wurden Steine in den Weg gelegt, sie hatte kaum Zugang zu den Medien, denn die werden zum Großteil vom Kreml gelenkt. Die heiße Phase des Wahlkampfs begann mit der Festnahme des Öl-Magnaten Chodorkowskij – der die Opposition unterstützte. In dieser „Jukos“-Affäre hat der russische Staat gezeigt, wozu er noch immer fähig ist. Die Hoffnungen auf Demokratie und Rechtsstaat wurden enttäuscht. Der Schlag gegen Chodorkowskij hat den Wahlkampf der demokratischen Kräfte erschüttert. Die beiden kleinen liberalen Parteien müssen um den Wiedereinzug in die Duma bangen. Auf den Plätzen eins bis drei in der Wählergunst liegen Parteien, die vieles andere, nur nicht die Demokratie im Sinn haben: die Partei der Macht „Einiges Russland“, die Kommunisten – und Schirinowskijs Nationalisten. Düstere Aussichten für die neue Duma. Die Kommunisten lagen in den Umfragen zeitweise sogar in Führung.

Doch Wladimir Putin überlässt bei dieser Wahl nichts dem Zufall. Der parteilose Präsident machte den Wählern unmissverständlich klar, bei welcher Partei sie am Sonntag ihr Kreuzchen machen sollen. Das Parlament spielt in Russland ohnehin keine große Rolle, der Kreml hält alle Fäden in der Hand. Aber anders als sein Vorgänger Jelzin gibt sich Putin damit nicht zufrieden. Seine „gelenkte Demokratie“ soll den demokratischen Schein wahren. Er will die Mehrheit im Parlament. Doch selbst wenn nun „Einiges Russland“ siegt und erstmals die stärkste Fraktion den Regierungschef stellen würde (den bisher der Präsident einsetzte): Mehr Demokratie bringt das noch nicht. Es wäre nach wie vor ein Premier von Putins Gnaden – auf dem Umweg über den Wahlsieg einer Partei von dessen Gnaden. Die Schlüsselministerien sind ihm ohnehin direkt unterstellt.

Gestärkt durch diese Wahl wird der Präsident, nicht die Demokratie. Sie soll das Meisterstück für Putins „gelenkte Demokratie“ werden. Nur, warum ist der Westen so nachsichtig mit diesem Russland? Zum Fall Jukos gab es kaum ein kritisches Wort in Deutschland, obwohl rechtsstaatliche Prinzipien verletzt wurden. Wer erregt sich noch laut über die Angriffe auf die Pressefreiheit? Und die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien? Wenn dem Westen an einem demokratischen Russland liegt, darf er nicht länger schweigen. Weder zu dieser Wahl noch zu dem, was danach kommt.

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