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Im Fall Edward Snowden hat Putin einen Coup gelandet der einem Meisterintriganten wie Machiavelli würdig gewesen wäre.

© AFP

Putin und der Fall Edward Snowden: Der Meisterintrigant aus dem Hintergrund

Moskau wartet noch auf ein Asylgesuch von Snowden. Doch der Umgang mit dem US-Flüchtling gilt schon jetzt als guter Schachzug des russischen Präsidenten: Putin gibt seinen Gegnern eine Bühne und lässt sie mit Snowden verhandeln. So kann ihm Washington nichts vorwerfen. Ein Coup, der seinesgleichen sucht.

In Russland werden über den Whistleblower Edward Snowden bereits Witze gemacht. Ein Journalist verglich ihn mit dem Armen aus einer Anekdote, der den lieben Gott um den Hauptgewinn im Lotto bittet. „Gern“, sagt der Herr, „aber dazu musst du erst einmal einen Tippschein ausfüllen.“ Auch auf Snowdens Tippschein warten das russische Konsulat im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo, wo Snowden nach seinen Enthüllungen vor drei Wochen strandete, und die Föderale Migrationsbehörde bisher vergeblich. Obwohl Staranwälte ihm am Freitag bei einem Treffen Hilfe bei der Abwicklung der dazu nötigen Formalitäten anboten und Präsident Wladimir Putin über das Gesuch schnell entscheiden will, wie dessen Pressesprecher sagte.

Snowden hatte am Freitagabend dreizehn Juristen und Vertreter von Menschenrechtsgruppen in den Transitbereich des Flughafens eingeladen, um mit diesen „weitere Schritte für meine Zukunft zu erörtern“, und nach Worten der Teilnehmer erklärt, er wolle Russland um zeitweiliges politisches Asyl ersuchen, dann jedoch in ein Drittland ausreisen.

Beobachter versuchen sich derweil an Einschätzungen über den möglichen Schaden und Nutzen, sollte Russland Snowden tatsächlich Asyl gewähren. Snowden, so der Politikwissenschaftler Wjatscheslaw Nikonow, der für die Kremlpartei „Einiges Russland“ in der Duma sitzt, sei für Moskau keine Gefahr. Auch der Nutzen sei überschaubar. Russische Geheimdienste sehen das offenbar ähnlich: Sie haben bisher kein Interesse an dem prominenten Gast erkennen lassen. Sie fürchten offenbar, der „Landesverräter“ treibe ein doppeltes Spiel, außerdem tendiert der nachrichtendienstliche Wert eines Renegaten, der Topessentials bereits an die Medien verriet, gegen null.

Putins Coup - einem Meisterintriganten wie Machiavelli würdig

Kritische Experten dagegen bescheinigen Putin mit zusammengebissenen Zähnen, er habe mit Snowden einen Coup gelandet, der einem Meisterintriganten wie Machiavelli würdig gewesen wäre und seine innenpolitische Gegner blass aussehen lasse. Die Kritiker hatten in der Tat als erste und am lautesten Schutz für Snowden verlangt und damit „in die Hand gebissen, die sie füttert“. So jedenfalls beschrieb Putin die Abhängigkeit der russischen Zivilgesellschaft vom Ausland bereits 2006, als die Duma erstmals ein Gesetz verabschiedete, das nichtstaatliche Organisationen (NGO) kriminalisiert. Sie würden „wie Schakale um ausländische Botschaften streunen und schnorren“. In der Tat arbeiten die meisten russischen NGO mit Fördergeldern von Partnern in den USA oder werden sogar von US-Regierungsagenturen alimentiert. Durch ein im vergangenen Sommer erlassenes Gesetz sind sie nun dazu verdammt, sich als „ausländische Agenten“ auf den Index setzen zu lassen.

Von dorthin bis zum Begriff „Landesverräter“ ist es für einfache Gemüter nur ein kleiner Schritt. Und das war aus Sicht von kremlnahen Politikanalysten gewollt. Mit dem Treffen im Transitraum des Flughafens am Freitagabend, das ohne Einwilligung von ganz oben nicht möglich gewesen wäre, schob Putin dennoch der russischen Zivilgesellschaft die tragende Rolle beim Krisenmanagement in der Causa Snowden zu. Damit verschaffte er seinen schärfsten, aber bis dato marginalisierten Opponenten nicht nur Öffentlichkeit, sondern auch einen positiven Resonanzboden. Allein schon, um Wiederholungen nicht zu gefährden, dürften diese ihm gegenüber gewisse Beißhemmungen haben – und damit das System, das sie demontieren oder wenigstens reformieren wollen, zumindest mittelfristig stabilisieren.

Auch kann Putin, sollte der Druck aus den USA stärker werden, alle Verantwortung der russischen Zivilgesellschaft zuschieben: Als lupenreiner Demokrat habe er sich deren Bedenken, Snowden könnte nach der Auslieferung auf dem elektrischen Stuhl enden, nicht verschließen können, könnte er sagen. Zumal die Vereinten Nationen Snowden, wie dieser bei dem Treffen selbst erklärte, bereits offiziell als Asylbewerber anerkannt haben.

Der Schaden für das bilaterale russisch- amerikanische Verhältnis dürfte trotz des rhetorischen Getöses in Washington ohnehin minimal sein. Das hatte schon der Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“, Fjodor Lukjanow, gleich zu Beginn der Affäre gemutmaßt. Wegen Snowden würden die USA weder gemeinsame Bemühungen mit dem Ziel der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen noch Kooperationen bei der Terrorismusbekämpfung aufs Spiel setzen. Hinzu kommt, dass der geordnete Rückzug der Nato aus Afghanistan, der 2014 beginnen soll, nur mit logistischer Unterstützung Moskaus und der von Russland nach wie vor extrem abhängigen zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken möglich ist.

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