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Politik: Putins Korea (Gastkommentar)

Eine Legende geht um in Europa: die Legende des polnischen Hasses auf Russland. Angeblich wolle Polen Russland ausschließen und den Westen gegen Moskau aufhetzen.

Eine Legende geht um in Europa: die Legende des polnischen Hasses auf Russland. Angeblich wolle Polen Russland ausschließen und den Westen gegen Moskau aufhetzen. Das Gegenteil ist richtig: Kaum ein Land hat ein größeres Interesse, dass Russland demokratisch wird und ein verlässlicher Kooperationspartner. Deshalb verfolgte Polen Putins Wahl zum Präsidenten sehr aufmerksam. Außenminister Geremek äußerte die Hoffnung, Moskau werde Warschau künftig nicht mehr als Objekt behandeln oder als Befehlsempfänger wie zu Sowjetzeiten, sondern als Subjekt und Partner.

Vorerst aber haben die Experten der Kreml-Astrologie, die man vor Jahren aufs Altenteil geschoben hatte, wieder Konjunktur. Wie in den siebziger und achtziger Jahren versuchen sie aus russischem Kaffeesatz und ähnlichen Quellen zu lesen, welche Politik Moskau künftig verfolgt. Mit Putin hat ein Mann gewonnen, der im Wahlkampf unmissverständlich klargemacht hat, dass ... - dass er nichts über seine Absichten verrät. In Moskau ist jetzt die These populär, Korea sei Putins Vorbild. Fragt sich nur, welches Korea: der Süden oder der Norden?

In Polen gibt sich niemand der Illusion hin, dass wir die Richtung, die der neue Mann im Kreml einschlägt, beeinflussen können. Das Bild, das Russland bietet, sieht aus Warschauer Perspektive wenig anders aus als aus dem Blickwinkel der Berliner oder Pariser. Die russischen Bürger hatten die Wahl zwischen dem Kommunisten Sjuganow und dem KGB-Mann Putin. Der Sieger hatte, neben seinem Talent, eine professionelle Medien-Show zu organisieren, zwei entscheidende Vorteile für ein Volk, das unter Armut, Korruption und weit reichender Anarchie leidet: Erstens versprach er, dem Land Stolz und Größe wiederzugeben - und hatte durch sein entschlossenes Handeln auf Kosten des tschetschenischen Volkes samt seiner Hauptstadt Grosny demonstriert, was er darunter versteht. Zweitens glich der Stimmzettel für Putin, der ja kein konkretes Programm verkündet hatte, einer Blankovollmacht, auf die jeder Wähler seine Hoffnungen projizieren konnte.

Auch die polnischen Hoffnungen bezüglich Russland gleichen denen der Westeuropäer: Demokratie, Marktwirtschaft, Rechtsstaat, Öffnung. Nicht nur deutsche, auch polnische Geschäftsleute warten nur darauf, dass sich langjährige Geschäftsverbindungen wieder beleben lassen. Und wenn man Moskau dazu bringen könnte, die Öffnung von EU und Nato nicht allein mit "Njet" zu beantworten, sondern als einen Stabilitätsgewinn für ganz Europa zu begreifen, wer könnte darüber glücklicher sein als Polen?

Denn einen Unterschied gibt es eben doch noch: Wenn die Hoffnungen sich nicht erfüllen, wenn Putin statt Kooperation die Konfrontation sucht und den - politischen wie ökonomischen - Druck auf die Ukraine oder das Baltikum wieder verstärkt, dann bekämen wir Polen das weit mehr zu spüren als Deutsche oder Franzosen. Wir nämlich sind und bleiben die direkten Nachbarn.Der Autor ist Deutschland-Korrespondent der rechtskonservativen polnischen Zeitung "Zycie".

Przemyslaw Konopka

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