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Pro-Erdogan: Schon während des Umsturzversuches demonstrieren Anhänger des türkischen Präsidenten.

© Andreas Rosar/dpa

Putsch gegen Erdogan: Die Türkei - ein Unruheherd

Der Putsch der türkischen Militärs scheint gescheitert. Doch die Gefahr ist groß, dass Erdogan nun mit allen Mitteln gegen jeden Gegner vorgeht. Und den Riss durchs Land vertieft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Der Putsch gegen den türkischen Präsidenten Tayip Erdogan ist gescheitert – das ist eine gute Nachricht. Niemand in Europa kann ernsthaft ein Interesse daran haben, dass ein Schlüsselstaat des Nordatlantikpaktes, der Nato, an der Grenze zwischen der EU und dem unruhigen Mittleren Osten, in die Hände putschender Militärs gerät. Erdogan ist ein schwieriger und in seinen Handlungen oft unberechenbarer Gesprächspartner, aber er ist, genauso wie das Parlament, demokratisch gewählt. Was geschieht, wenn zum Islamismus neigende Regierungen durch Militärputsche aus dem Amt gedrängt werden, kann man zur Zeit in Ägypten erfolgen: eine Quasi-Diktatur wurde etabliert.

Man muss also der Türkei wünschen, dass sie die Folgen dieses Putsches schnell überwindet. Aufständisches Militär hat in dem Land eine unheilvolle Tradition. Schon immer fühlte es sich als Erbverwalter der laizistischen, durch Kemal Atatürk begründeten Türkei und rechtfertigte daraus eine selbst erteilte Ermächtigung, in die Regierungsgeschäfte einzugreifen. Dass Erdogan deshalb von Beginn an alles tat, um die Macht des Militärs zu brechen, war  nur logisch.

Ungezügelter Verfolgungswillen

Fraglich ist aber, ob er in seiner verständlichen Empörung über den Putschversuch nun nicht alle legalen und auch ungesetzlichen Möglichkeiten nutzt, um jeden Widerstand politisch Andersdenkender zu brechen. Schon die prompte Verdächtigung, hinter dem Militärputsch stecke der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen, spricht für ungezügelten Verfolgungswillen. Warum ausgerechnet ein islamistischer Prediger das laizistische Militär zum Putsch gegen einen ebenfalls streng gläubigen Staatspräsidenten aufstacheln sollte, erschließt sich keiner Logik.

Die Gefahr ist groß, dass Erdogan jetzt unter dem Vorwand, die Wurzeln des Aufstandes ausreißen zu müssen, brutal gegen alles vorgeht, was sich ihm in der Vergangenheit auch nur gedanklich oder verbal in den Weg gestellt hat. Für die Meinungs- und die Pressefreiheit wird es in der Türkei künftig noch schwieriger werden, noch mehr Menschen werden unter fadenscheinigen Gründen inhaftiert werden. Das wird den Riss durch das Land noch vertiefen – den Riss zwischen der modernen, prowestlichen Türkei und dem durch Erdogan repräsentierten eher islamisch geprägten Weg in die gegenteilige Richtung. Abwendung von Europa also, Hinwendung in den arabischen Raum, wo Erdogan ja schon seit langem einen Führungsanspruch unter den muslimischen Nationen angemeldet hat.

Dass der Putsch gescheitert ist, ist eine gute Nachricht. Mit ihr verbindet sich die Hoffnung, dass Tayip Erdogan daraus nicht das Recht zu einer Abkehr von demokratischen Prinzipien ableitet und seinem Land damit der Weg in eine pluralistische Zukunft für lange versperrt wird.

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