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Politik: Putsch zum Abgang

Der scheidende ukrainische Präsident will die Verfassung ändern

Seit Tagen blockieren sie in Kiew den Sitzungssaal des Parlaments. So protestieren die ukrainischen Oppositionspolitiker gegen die geplante Verfassungsänderung. Die Abschaffung der Direktwahl des Präsidenten diene nicht der Stärkung des Parlaments, sondern sei ein „Verfassungsputsch“, mit dem die herrschende Kaste ihre Macht absichern wolle, kommentiert Andrej Shkil, Rechtsberater der Opposition, den Widerstand gegen den Schachzug des scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma: „Wir schließen nicht aus, dass sich der Kampf um die Verfassung auf die Straßen verlagert und georgische Zustände unvermeidbar werden könnten."

Im Oktober muss der seit 1994 amtierende Kutschma laut Verfassung nach zwei Legislaturperioden seinen Posten räumen. Die besten Aussichten, den umstrittenen Staatschef zu beerben, hat der Expremier Viktor Juschtschenko: In Meinungsumfragen liegt der populäre Chef des Oppositionsbündnisses „Unsere Ukraine“ weit vor der Konkurrenz. Doch mit der von ihm forcierten Verfassungsänderung nur zehn Monate vor dem geplanten Urnengang müht sich Kutschma, die Karten noch einmal neu zu mischen – und den Rivalen auszubremsen.

Kutschmas Vorlage sieht vor, die direkte Wahl 2006 abzuschaffen und stattdessen dem Parlament die Kür des Staatschefs zu überlassen. Selbst bei einem Wahlsieg im Herbst müsste Juschtschenko in diesem Fall schon nach zwei Jahren seinen Posten für einen Kandidaten räumen, der dem mächtigen Wirtschaftsclan gefällig ist – oder sich eben mit seinem Vorgänger arrangieren. Nicht nur die Opposition argwöhnt, dass Kutschma eine Änderung der Verfassung auch dafür nutzen könnte, seine Amtszeit noch einmal um zwei Jahre zu verlängern. Danach könnte er das Parlament einen ihm gefälligen Statthalter wählen lassen.

Dass es Ränkeschmied Kutschma wie kein anderer versteht, sich im Parlament die nötigen Mehrheiten zu verschaffen, bewies die erste Lesung der geplanten Verfassungsänderung. In einer turbulenten Sitzung stimmte ihr eine Mehrheit der Abgeordneten mit Unterstützung der sich selbst zur Opposition rechnenden Kommunisten mit 276 zu 226 Stimmen zu. Bei der zweiten Lesung ist zwar eine Mehrheit von 300 Stimmen erforderlich. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass sich mit Stimmenkauf, Fraktionswechsel und Intrigen die Mehrheitsverhältnisse im ukrainischen Parlament ändern lassen.

Thomas Roser[Warschau]

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