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Schon jetzt eine historische Aufnahme: Erdogan im Facetime-Gespräch mit CNN Türk.

© CNN Türk/Reuters

Putschversuch in der Türkei: Erdogans Facetime-Konterrevolution

Ausgerechnet Erdogan, der die Freiheit von Journalisten brutal unterdrückt und den Zugang zu digitalen Netzwerken sperrt, nutzt die moderne Kommunikation, um den Putsch niederschlagen zu lassen.

Dieses Bild wird eine Ikone der Revolutionsgeschichte: Präsident Erdogans Gesicht auf dem Display eines iPhones, gehalten von einer Moderatorin des Senders CNN Türk. Per Facetime, einer Videotelefonie-Anwendung von Apple, spricht der Präsident: „Ich rufe unser Volk auf, sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln.“

Es ist der entscheidende Moment dieser Nacht. Die Putschisten hatten wohl gedacht, mit der Erstürmung des staatlichen Senders TRT, dem eigentlichen Sprachrohr Erdogans, die Kommunikationsgewalt übernommen zu haben. Von hier aus hatten sie ihre Machtübernahme und die Ausgangssperre verkündet, vorgetragen unter Zwang von einer Journalistin.

Der Effekt ist gewaltig: Kaum jemand weiß bis dahin, wie groß der Aufstand ist und wo Erdogan steckt – Verunsicherung ist ein strategischer Vorteil. Doch der bizarre Auftritt von Erdogan verändert alles: Von einer kleinen Gruppe Aufständischer spricht er und macht so seinen Anhängern Mut, sich ihnen entgegenzustellen.

Kurz darauf rufen überall im Land die Muezzine per Lautsprecher die Gläubigen zum Widerstand auf – zwei Stunden vor dem Morgengebet. Als die Putschisten später in der Nacht auch den Sender CNN Türk stürmen, kommen sie auf den Straßen schon nicht mehr durch.

Erdogan wusste erstaunlich genau Bescheid

Erst später fällt auf, wie erstaunlich genau Erdogan zu diesem frühen Zeitpunkt seiner Ansprache Bescheid wusste über die Stärke der Putschisten; und wie sicher er sich trotz der Beteiligung von Luftwaffeneinheiten am Aufstand war, schon bald seinen Urlaubsort verlassen und in Istanbul landen zu können, wo Lautsprecherwagen seiner Partei und eine Bühne auf ihn warteten, geschützt von den Menschen, die er dorthin gerufen hatte.

Die Ironie dieses improvisiert wirkenden TV-Auftritts erschließt sich dagegen unmittelbar: Ausgerechnet Erdogan, der die Freiheit von Journalisten brutal unterdrückt und den Zugang zu digitalen Netzwerken sperrt, nutzt einen der letzten halbwegs kritischen Sender und die Möglichkeiten moderner Kommunikation zur weltweit ersten Facetime-TV-Konterrevolution.

Ganz analog krönt der Präsident, der fortan Führer genannt werden will, die Seltsamkeiten dieses Aufstands per Ansprache vor seinen Anhängern am Flughafen: Als „Geschenk Gottes“ preist er den Putsch, der ihm hilft, „die Streitkräfte zu säubern“. Ein Teil des Geschenks war die Telefonnummer der Moderatorin von CNN Türk.

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