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Wo alles begann: Ein Mann mit Maske im chinesischen Wuhan.

© Ng Han Guan/AP/dpa

Quarantäne-Tagebuch aus Wuhan: Schriftstellerin Fang Fang beschreibt, wie die Pandemie begann

Die chinesische Schriftstellerin Fang Fang hat ein packendes Tagebuch über den Beginn der Pandemie geschrieben. Erst bewundert, gilt sie jetzt als Verräterin.

Tagebucheintrag, Wuhan, 4. Februar: „Nicht nur das Virus ist der Feind. Wir sind auch unsere eigenen Feinde oder Komplizen in einem Verbrechen. Es wird gesagt, dass viele Menschen erst jetzt aufwachen und begreifen, dass es sinnlos ist, jeden Tag leere Slogans darüber zu brüllen, wie fantastisch unser Land doch ist.“ Das schreibt die chinesische Schriftstellerin Fang Fang. Wuhan ist ihre Heimatstadt, als sie zwei Jahre alt war, zog ihre Familie in die Millionenmetropole.

Am 23. Januar verhängte die Regierung in Peking wegen der Lungenkrankheit Covid-19 eine totale Ausgangssperre über Wuhan. Zwei Tage später begann die 64-jährige Fang Fang mit ihrem Tagebuch. Es endet am 24. März, unmittelbar nach der Ankündigung, dass die Abschottung der Stadt bald aufgehoben werden würde. Rund 60 Einträge hat sie verfasst, einige wurden zensiert, die meisten aber konnte sie über das Internet verteilen und in sozialen Netzwerken veröffentlichen. Sie hat vier Millionen Follower. „Die größte Verantwortung einer Autorin angesichts einer Katastrophe ist es, Zeugnis abzulegen“, sagt Fang Fang im Gespräch mit der „New York Times“.

Sie trifft auf Ablehnung, ja Hass

Viele Millionen Chinesen lasen die Tagebucheinträge. Offen, spontan, authentisch wirkten die Berichte der Frau aus der geschlossenen und eingeschlossenen Stadt. Doch das änderte sich. Aus Bewunderung für Fang Fang, die vor zehn Jahren mit dem renommierten Lu-Xun-Literaturpreis ausgezeichnet worden war, wurde Ablehnung, ja Hass. Insbesondere jüngere, nationalistische Chinesen werfen ihr vor, dem Land zu schaden. Mit ihren Texten, die auch Vorwürfe an die verantwortlichen Behörden enthalten, würde sie Chinas Feinden in die Hände spielen.

Als bekannt wurde, dass am 9. Juni eine deutsche (Arbeitstitel: „Wuhan Diary, Tagebuch“, bei Hoffmann & Campe) und am 18. August eine englische Ausgabe der „Quarantine Diaries“ (HarperCollins, New York) veröffentlicht wird, wurde gar über eine bewusste Inszenierung, ein abgekartetes Spiel spekuliert. Anders ließe es sich nicht erklären, dass in so kurzer Zeit ein Vertrag abgeschlossen und eine autorisierte Übersetzung angefertigt werden könne.

Sie idealisiere den Westen, heißt es

Der Stimmungsumschlag in der chinesischen Öffentlichkeit gegenüber Fang Fang resultiert unmittelbar aus der zugespitzten politischen Großwetterlage. In den USA sprechen manche vom „Wuhan-Virus“, fordern Reparationszahlungen, glauben an ein im Labor gezüchtetes Virus. China reagiert mit dem Fingerzeig auf die Situation etwa in New York, kontrastiert diese mit den eigenen Erfolgen im Kampf gegen Covid-19, verschickt weltweit Schutzanzüge und Atemschutzmasken, um sich als wohltätige Soft-Power-Macht zu etablieren.

Fang Fang, so heißt es, idealisiere den Westen und blende aus, dass sie dort von einer „Anti-China-Industrie“ vereinnahmt würde. Unversehens ist die Schriftstellerin in das Zentrum einer Propagandaschlacht geraten, in der alles, was gesagt wird, sowohl Schild als auch Schwert sein kann. Und in der Kritik automatisch als Verrat gewertet wird.

"Du erhältst Antwort auf deinen Unglauben"

Im März antwortete Fang Fang auf den Offenen Anklage-Brief eines 16 Jahre alten Schülers. Sie erinnerte ihn an Maos Kulturrevolution, als ältere Menschen von kommunistischen Eiferern denunziert, erschlagen und ermordet worden waren.

Tagebucheintrag, Wuhan, 18. März: „Früher oder später wirst du eine Antwort auf deinen Unglauben erhalten. Aber diese Antwort wird von dir selbst kommen müssen. (…) Wenn du statt dessen den Weg dieser Ultra-Linken gehen willst, wirst du wahrscheinlich niemals deine eigene Antwort erhalten.“

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