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Diese irakische Demonstrantin fordert Rache für den Tod des iranischen Militärkommandanten Qasem Soleimani.

© AHMAD AL-RUBAYE/AFP

Rache, Rache, Rache: Wie der Iran auf die Tötung Suleimanis reagieren könnte

Nach der Tötung Suleimanis durch die USA kündigt der Iran massive Vergeltung an. Wie könnte die Reaktion ausfallen und wer könnte ins Visier genommen werden?

Die iranischen Behörden haben nach dem US-Mordanschlag auf Generalmajor Qassem Soleimani eine blutrote Fahne als Zeichen einer bevorstehenden Schlacht hissen lassen. Das Staatsfernsehen zeigte, wie die Flagge an einem Mast auf der Spitze einer Moschee in der heiligen Stadt Qom hochgezogen wurde. Teherans Führung demonstriert damit ihre Entschlossenheit, einen harten und demütigenden Vergeltungsschlag gegen die Supermacht Amerika zu führen. Die USA hatten Soleimani, den Vordenker der iranischen Expansionspolitik im Nahen Osten, in der Nacht zum Freitag auf Befehl von Präsident Donald Trump mit einem Drohnenangriff in Bagdad getötet. Revolutionsführer Ali Chamenei kündigte massive Vergeltung an.

Wie ist die Situation für den Iran?
Trotz der Emotionen wird der Iran die Ziele für den angekündigten Racheakt sorgfältig auswählen. Denn einen offenen Krieg mit den USA will der Iran vermeiden. Zu groß ist die militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten. Die iranische Reaktion dürfte den gleichen Leitlinien folgen wie das bisherige Vorgehen Teherans im eskalierenden Streit mit Washington. Die Mullahs wollen Trump von seiner Politik des „maximalen Drucks“ auf Teheran abbringen und der US-Regierung klarmachen, dass die Kosten dieser Haltung höher sind als der Nutzen. Das Kalkül: Je mehr ein iranischer Vergeltungsschlag den Präsidenten vor der Wahl bloßstellt und der US-Wirtschaft schadet, desto besser für Teheran.

Wie könnte der Iran Vergeltung üben?
General Gholamali Abuhamzeh, Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden in Soleimanis Heimatprovinz Kerman, brachte einen Angriff auf die Straße von Hormus in die Diskussion. Die enge Wasserstraße im Persischen Golf ist für die Ölschifffahrt und damit für die Weltwirtschaft von großer Bedeutung. Mit Angriffen auf mehrere Öltanker im Golf hatten die Iraner im Sommer gezeigt, dass sie in der Lage sind, den Schiffsverkehr in der Gegend empfindlich zu treffen. In einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik zum militärischen Potenzial des Iran schreiben die Autoren Sascha Lange und Oliver Schmidt: „Im schlimmsten Fall“ seien die Marineverbände der Islamischen Republik in der Lage, den Schifffahrtsverkehr im Persischen Golf für einige Tage zu unterbrechen. Länger aber wohl auch nicht. Denn dies könne der Iran nur durchhalten, „bis es zur Intervention durch moderne Verbände wie etwa der amerikanischen oder britischen Marine kommen würde“.

Wie gefährdet sind die US-Militärs im Nahen Osten?
In einem CNN-Interview sagte Irans oberster Militärberater Hossein Dehghan: „Die Antwort wird mit Sicherheit eine militärische sein und sich gegen Militäreinrichtungen richten.“ Die US- Streitkräfte haben mehrere Zehntausend Soldaten sowie starke Luftwaffen- und Marineverbände in Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait stationiert. Sie liegen in Reichweite iranischer Raketen. Teheran hat in den vergangenen Jahren sehr viel Aufwand betrieben, um auf diesem Gebiet die militärische Schlagkraft des Landes zu verbessern. Experten gehen davon aus, dass vor allem die Präzision der Geschosse enorm zugenommen hat. Nach eigenen Angaben hat der Iran mehr als 30 potenzielle Ziele für Vergeltungsangriffe in der Region des Nahen und Mittleren Ostens ausgemacht.

Anschläge iranischer Verbündeter gehören ebenfalls zu den Möglichkeiten. Rund 150 000 schiitische Milizionäre im Irak hören auf Befehle aus Teheran. Auch in Syrien kämpfen pro-iranische Gruppen. Die rund 5000 US-Soldaten im Irak und Hunderte amerikanische Soldaten in Syrien sind deshalb besonders gefährdet. Die teherantreue Miliz Kataib Hisbollah im Irak, deren Gründer Abu Mahdi al Muhandis zusammen mit Soleimani bei dem US-Drohnenangriff starb, rief die irakischen Sicherheitskräfte auf, die Umgebung amerikanischer Stützpunkte ab sofort zu meiden.

Aggressive Trauer. Tausende begleiteten den Trauerzug mit dem Sarg von Qassem Soleimani und riefen „Tod den USA“. Fotos: Sawaf/AFP; Al Rubaye/AFP
Aggressive Trauer. Tausende begleiteten den Trauerzug mit dem Sarg von Qassem Soleimani und riefen „Tod den USA“. Fotos: Sawaf/AFP; Al Rubaye/AFP

© AFP

Wie groß ist die Gefahr für US-Bürger?
Auch amerikanische Zivilisten könnten ins Visier der Iraner geraten. Am Samstagabend schlugen mehrere Raketen in Bagdads sogenannter Grünen Zone ein, in der sich auch die US-Botschaft befindet. Vor einigen Tagen gab es den Versuch pro-iranischer Gruppen, die diplomatische Vertretung zu stürmen. Aydin Selcen, ein ehemaliger türkischer Generalkonsul in Erbil, verwies im amerikanischen Sender VOA zudem auf die Vertretungen amerikanischer Ölfirmen im Nordirak, die als potenzielle Ziele iranischer Racheaktionen infrage kämen. Manche Experten halten auch Cyber-Angriffe des Iran für möglich, um den amerikanischen Privatsektor über das Internet zu attackieren..

Drohen auch Angriffe auf Israel und Saudi-Arabien?
Raketenangriffe auf die amerikanischen Verbündeten Israel und Saudi-Arabien gehören ebenfalls zu Teherans Optionen. General Abuhamzeh von den Revolutionsgarden erwähnte ausdrücklich, dass Tel Aviv in der Reichweite iranischer Raketen liege. In Israel nimmt man derartige Drohungen sehr ernst. Die Armee wurde bereits nach dem Tod Soleimanis in Alarmbereitschaft versetzt, die Sicherheitsvorkehrungen an den Botschaften des Landes erhöht.

Aus Israels Sicht war Soleimani einer der gefährlichsten Todfeinde. Der General galt als Mastermind vieler Attacken auf den jüdischen Staat. Der Mossad soll immer gewusst haben, wo sich Soleimani gerade aufhielt. Seit Langem führt Israel vor allem in Syrien eine Art Schattenkrieg gegen den Iran.

Saudi-Arabien dürfte ebenfalls gewarnt sein. Ein Drohnen- und Raketenangriff im September, der aus dem Jemen kam und von den USA dem Iran zugeschrieben wurde, legte vorübergehend einen Großteil der saudischen Ölproduktion lahm – für das Königreich war das ein Realität gewordener Albtraum. Die Attacke machte deutlich, wie verwundbar das Land trotz aller anderslautender Bekundungen des Königshauses tatsächlich ist. Weitere

Angriffe wären für Kronprinz Mohammed bin Salman – ein erklärter, wenn nicht gar fanatischer Gegner der Mullahs in Teheran – ein Desaster. Er hat erst jüngst den zig milliardenschweren saudischen Erdölkonzern Aramco an die Börse gebracht.

Wie wird in den USA auf Trumps militärischen Alleingang reagiert?
Amerika ist gespalten – meist entlang der parteipolitischen Linien, immerhin ist ja Wahlkampf. Nachdem das Weiße Haus den Kongress erst im Nachhinein offiziell über den Tod Soleimanis informiert hatte und diese gesetzlich vorgeschriebene Mitteilung auch noch als geheim einstufte, warf ihm die oberste US-Demokratin Nancy Pelosi Vertuschung vor. Die Führung von Trump wolle die Öffentlichkeit offenbar über die Hintergründe des Militäreinsatzes gegen den Iran im Dunkeln lassen, erklärte die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses. Der unverhältnismäßige Einsatz bringe US-Soldaten, Diplomaten und US-Bürger in Gefahr.

Die wahlkämpfenden demokratischen Präsidentschaftsbewerber reagierten noch schärfer. Die Senatorin Elizabeth Warren warf Trump angesichts seiner Warnung an den Iran, 52 auch kulturell wichtige Ziele attackieren zu können, vor, mit Kriegsverbrechen zu drohen. Der ehemalige Vizepräsident Joe Biden bescheinigte dem Präsidenten zunehmend irrationales Handeln. Senator Bernie Sanders regte an, Mittel des Verteidigungsministeriums zu blocken, um Trump von Alleingängen ohne Beteiligung des Kongresses abzuhalten. Wie Warren erklärte er, die Tötung Soleimanis sei ein „Mordanschlag“. Dagegen verwahrte sich der frühere New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg gegen solch „ungeheuerliche“ Kritik. Soleimani sei ein „Feind Amerikas“ gewesen, der Amerikaner getötet habe.

Häufig haben US-Präsidenten im Wahljahr von einer wachsenden Kriegsgefahr in Umfragen profitieren können. Unterstützer von Trump argumentieren, dass sich die Demokraten gegen die öffentliche Meinung stellten, da der Iran sich schon so lange feindlich gegenüber Amerika verhalte und Terrormilizen wie die Hisbollah unterstütze. Aber Trump hat seinen Anhängern auch versprochen, die „endlosen“ Kriege zu beenden und US- Soldaten heimzuholen. Dass er die Entscheidung, Soleimani zu töten, offenbar überstürzt getroffen hat, wie US-Medienberichte nahelegen, könnten ihm die Wähler ebenfalls übelnehmen. Die Stimmung der Bevölkerung wird zudem davon abhängen, wie der Iran reagiert.

Was unternimmt die Bundesregierung?

Auch in Berlin wird die Zuspitzung mit Sorge verfolgt. Telefonisch verständigte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag mit Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Außenminister Heiko Maas (SPD), Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU). „Der Irak darf nicht im Chaos versinken“, mahnte Kramp-Karrenbauer. Maas sagte der „Bild am Sonntag“: „Allen muss bewusst sein, dass jetzt jede Provokation zu einer unkontrollierbaren Spirale der Gewalt führen könnte, mit unabsehbaren Folgen für die ganze Region und auch unsere Sicherheit in Europa.“ Während der Außenminister alle Seiten vor einer Eskalation warnte, hob Kramp-Karrenbauers Ministerium hervor, dass der Iran die Region „mit der aktiven Unterstützung von Terrorismus und Gewalt“ destabilisiere und auch Israel bedrohe. „Es liegt jetzt vor allem in den Händen der iranischen Führung, die Konflikte in der Region nicht weiter eskalieren zu lassen.“ Maas kündigte Gespräche mit dem Iran und anderen Staaten sowie innerhalb der EU und den UN an, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Doch die Handlungsspielräume der Europäer sind begrenzt. Gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien hat die Bundesregierung versucht, das Atomabkommen mit dem Iran zu retten, aus dem die USA ausgestiegen waren. Teheran rückte dennoch immer weiter von dem Vertrag ab.

Wie gefährdet sind deutsche Soldaten?

Im Rahmen des internationalen Einsatzes gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ bildet die Bundeswehr im Irak Sicherheitskräfte aus. Etwa 90 deutsche Soldaten halten sich im nordirakischen Kurdengebiet in der Stadt Erbil auf. Im zentralirakischen Tadschi sind etwa 30 Deutsche stationiert, fünf Bundeswehrsoldaten befinden sich im Hauptquartier in Bagdad. Nach dem tödlichen Angriff auf Suleimani setzten die Bundeswehr und die gesamte Anti-IS-Koalition vorerst ihre Aktivitäten im Irak aus. Der „größtmögliche Schutz für die Truppe“ müsse sichergestellt werden, heißt es im Verteidigungsministerium. Grüne und Linke fordern einen sofortigen Abzug der Soldaten. So weit geht die SPD bisher nicht, allerdings hatten sich die Sozialdemokraten im vergangenen Jahr nur mühsam zu einer Verlängerung des Mandats durchringen können. Von einem Abzug der Bundeswehr will Kramp-Karrenbauer aber nichts wissen. Sie betonte, der Irak dürfe nicht „unter die Kontrolle von Extremisten geraten“. Deshalb sei es wichtig, im Kampf gegen den IS jetzt nicht nachzulassen, erklärte ihr Ministerium. Doch die Entscheidung könnte den Deutschen abgenommen werden: Das irakische Parlament stimmte am Sonntag überraschend für einen Abzug der ausländischen Truppen.

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