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Repression

© ddp

Radikale: Aufbäumen gegen die Wirklichkeit

Extreme in Deutschland: Die linke Szene hat nach dem G-8-Gipfel in Heiligendamm keinen Schub bekommen. Die Rechten setzen derweil ganz auf den Osten. Die NPD scheint Schritt für Schritt auch Teile des Bürgertums zu erreichen.

Von Frank Jansen

Sie hatte nach langer Zeit mal wieder einen großen Auftritt. Die radikale Linke nutzte den G-8-Gipfel im Sommer in Heiligendamm, um sich selbst in allen Facetten zu präsentieren: als Sprachrohr der Globalisierungsgegner, als Bewegung zivilen Ungehorsams – und als vermummte Haudrauftruppe. Angesichts einer überforderten Polizei konnte die radikale Linke gemeinsam mit vielen angereisten Aktivisten aus dem Ausland den Protest als Powerplay inszenieren. Die Straßenschlacht in Rostock, der Vormarsch über die Felder zum Sicherheitszaun um Heiligendamm trotz massiver Polizeipräsenz und gerichtlich bestätigtem Demo- Verbot, die tagelange Blockade von Straßen zum Treffpunkt der Staats- und Regierungschefs – das war ein Erfolg, der dem linksradikalen Spektrum kaum zuzutrauen war. Doch die Hoffnung, nach Jahren der Stagnation wieder zu einer großen sozialen Bewegung heranzuwachsen, erfüllte sich nicht. „Heiligendamm“ blieb ein One-Hit-Wonder.

Daran ändert auch nichts, dass die Serie von Brandanschlägen auf vermeintlich symbolische Objekte von Staat und Wirtschaft, vor allem Fahrzeuge, auch nach dem G-8-Gipfel nicht endete. Inzwischen sind in Berlin über hundert Wagen in Flammen aufgegangen, doch die eher pubertäre als politisch motivierte Zündelei schadet nicht nur den Autobesitzern, sondern auch der radikalen Linken selbst. Die militante Kampagne kommt selbst bei den Bevölkerungsschichten nicht an, die unter Hartz IV stöhnen. Revolutionäre Massenproteste gegen Arbeitslosigkeit oder gar den Kapitalismus überhaupt bleiben aus, die Demonstrationen gegen Hartz IV sind längst Geschichte. Und im Frühjahr zeigte sich bei der breiten Debatte um die RAF, ihre ungeklärten Morde und die dann von Bundespräsident Horst Köhler abgelehnte Begnadigung des RAF-Mitglieds Christian Klar, dass linke Militanz vor allem eines bewirkt: Abscheu.

So erscheint die Gewalttätigkeit von Teilen der linken Szene wie ein Aufbäumen gegen die Realität. Außerdem ist es den Sicherheitsbehörden offenbar gelungen, die rabiateste Truppe, die sich „Militante Gruppe (MG)“ nennt, zu zerschlagen. Nach der Festnahme mutmaßlicher Mitglieder der MG Ende Juli in Brandenburg gab es keine weiteren Anschläge, zu denen sich die seit 2001 agierenden Feierabendpartisanen bekannt haben. „Wir haben wohl die Richtigen erwischt“, heißt es in Sicherheitskreisen.

Die Ermittlungen riefen allerdings reichlich Kritik hervor. Zahlreiche Wissenschaftler solidarisierten sich mit dem Berliner Soziologen Andrej Holm, einem der vier Festgenommen vom Juli. Tatsächlich erwiesen sich die Indizien für eine Mitgliedschaft Holms bei der MG als derart vage, dass der Haftbefehl im Oktober aufgehoben wurde. Und im November stufte der Bundesgerichtshof die MG „nur“ als kriminelle Vereinigung ein. Die Bundesanwaltschaft musste den Terrorismusvorwurf aufgeben. Zuvor war die Behörde schon unter Druck geraten, weil auf ihren Antrag hin der Bundesgerichtshof die Überprüfung von Briefen an den Tagesspiegel und andere Berliner Zeitungen angeordnet hatte. Beamte des Bundeskriminalamts suchten in einem Postverteilzentrum nach Bekennerschreiben der MG und fanden zwei. Die betroffenen Zeitungen empfanden die Briefkontrolle als Angriff auf die Pressefreiheit.

Linke Gewalt richtet sich auch weiterhin gegen Neonazis, die ihrerseits oft noch brutaler auf Gegner und andere Opfer einprügeln. Die Zahl der Opfer rechter Angriffe ist 2007 nach den vorläufigen Zahlen der Polizei enorm gestiegen. Parallel versuchte die NPD, immer mehr Neonazis zu integrieren. Doch ein zweiter Anlauf zu einem Verbotsverfahren erscheint fiktiv, trotz eindringlicher Appelle der SPD. In der Union ist die Sorge groß, nach dem Scheitern des ersten Verfahrens 2003 ein weiteres Desaster hinnehmen zu müssen. Unterdessen wühlt die NPD weiter, vor allem in der ostdeutschen Provinz. Offenbar mit Erfolg: Umfragen zeigten, dass die Partei in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wo sie in den Landtagen sitzt und rabiat agitiert, weiterhin mehr als fünf Prozent erreicht.

Der Aufschwung der NPD geht allerdings zu Lasten der mit ihr verbündeten DVU. Bei den Brandenburger Kommunalwahlen im Herbst 2008 will die NPD mit vollem Einsatz antreten – was die DVU, die hier im Landtag vertreten ist, in Bedrängnis bringt. Und es bleibt offen, ob die NPD in Thüringen bei den Landtagswahlen 2009, wie verabredet, der DVU den Vortritt lässt. Die Nationaldemokraten reklamieren den Osten unverhohlen für sich, zumal sie mit ihrer Strategie der Graswurzelrevolution Schritt für Schritt auch Teile des Bürgertums zu erreichen scheinen. Andererseits wächst gerade dort der Widerstand gegen Rechtsextremismus. Der Rauswurf zweier NPD- Funktionäre durch einen Hotelier in Dresden wurde überall als Ansporn zur Nachahmung empfunden. Auch in Sachsen-Anhalt, wo freilich die Serie von Pannen der Polizei bei der Bekämpfung rechter Kriminalität viel Vertrauen in die Wachsamkeit des Staates gekostet hat.

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