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RAF: Intaktes Weltbild

Wie Christian Klar von Kräften aus der PDS ideologisch aufgerüstet wird und damit seine letzte Chance auf eine Begnadigung gefährdet. Von Wolfgang Kraushaar

"Die Revolution sagt: ich war, ich bin, ich werde sein." Dieser pathetische, beinahe mit dem Anflug einer religiös anmutenden Heilsgewißheit ausgestattete Satz, eigentlich ein verbaler Fanfarenstoß, stammt bekanntlich von Rosa Luxemburg. Sie hatte mit diesen Worten, die wie ein aus Verzweiflung und letzten Hoffnungsresten gestiftetes Motto über ihrem eigenen, tragisch geendeten Leben standen, auf die Niederlage des Spartakus-Aufstandes reagiert. Nach ihrer Ermordung durch Freicorps-Schergen im Januar 1919 wurde diese Zeile unter Kommunisten zu einer Art Vermächtnis. Mit dem Verweis, daß die Revolution auch weiterhin eine unantastbare historische Notwendigkeit bleiben würde, sollte in aussichtslos erscheinenden Situationen, wie denen während der NS-Zeit, Zuversicht geboten und Trost gespendet werden. Kommunisten, Alt- und Jungstalinisten haben später nichts unversucht gelassen, um sich der Figur der Ermordeten zu bemächtigen und deren nie ganz verlorenes, auch über die Linke hinausreichendes Ansehen auszubeuten.

"Ich war, ich bin, ich werde sein." Eben dieses Motto findet sich auch am Ende jener Erklärung, mit der die "Rote Armee Fraktion" im April 1998 ihre Auflösung bekannt gegeben hat. Auflösung? Organisatorisch ja. Ideologisch betrachtet jedoch wohl kaum. Das Papier ist nicht nur von einem unerträglichen Pathos der Selbstgerechtigkeit getragen, in dem sich keinerlei Wort von Schuldeinsicht, Reue und Mitleid gegenüber den Opfern und deren Angehörigen findet, in ihm wird unter Berufung auf Rosa Luxemburg zugleich auch ein Kontinuitätsbegehren formuliert: Die RAF stehe - wer hätte bei ihrer Verbohrtheit je einen Zweifel daran haben können - zu ihrer Geschichte; ihre Mitglieder glaubten noch immer, daß sie einen "Bruch in der Kontinuität zum Nationalsozialismus" hergestellt hätten; sie hielten die Entscheidung, die RAF gegründet und an ihr mitgewirkt zu haben, auch nachträglich für grundsätzlich richtig; sie glaubten dabei trotz aller Bedrängungen, "Subjekt" geblieben zu sein, Durchhaltevermögen bewiesen und alles unkorrumpiert überstanden zu haben.

Indem das eigene Ende in dem Rosa Luxemburgs zurück gespiegelt wird, hat die RAF wie in einem Schlußakkord deren Ruf zu okkupieren und sich damit im Moment ihres endgültigen Scheiterns selbst noch einmal mythisch zu überhöhen versucht. Auf dreiste Weise demonstriert sie, daß eine linksterroristische Gruppe keinerlei Skrupel besitzt, sich des Opfers einer niederträchtigen rechtsterroristischen Mordaktion zu bemächtigen, deren Andenken sozusagen in Geiselhaft zu nehmen, um ihren eigenen Terrorakten im Nachhinein den Anstrich moralischer und historischer Legitimität zu verleihen.

Nun, zu Beginn des Jahres 2007, taucht diese Verbindung erneut auf. Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin ist am 13. Januar einstimmig eine von dem Hamburger Schauspieler Rolf Becker vorgetragene Resolution verabschiedet worden, in der pauschal die sofortige Freilassung aller noch einsitzenden RAF-Häftlinge gefordert wird. Becker sprach dort von der "Unnachgiebigkeit" der Justiz, die einen Gefangenen wie Christian Klar, der seit einem Vierteljahrhundert im Gefängnis ausharren müsse, den er seit sechs Jahren regelmäßig besuche und in seinen Freilassungsbemühungen unterstütze, und beklagte "das Bestehen auf einem Kniefall vor einer Gesellschaftsordnung", die sich "von Hartz IV über Kriegseinsätze" angeblich nur selbst diskreditiere.

Vor ihm hatte bereits ein anderer Klar-Unterstützer gesprochen, mit Jahrgang 1935 ebenfalls ein Älterer: der evangelische Theologe Heinrich Fink - seit 1979 Professor, zwischen 1990 und 1992 Rektor der Humboldt-Universität und von 1998 bis 2001 Bundestagsabgeordneter der PDS. Der Mann, der auch als Vorsitzender der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" fungiert, war vor Jahren als "IM Heiner" in die Schlagzeilen geraten. Nach Unterlagen der Gauck-Behörde soll der Theologe, was er trotz einer erdrückenden Aktenlage nie einzuräumen bereit war, zwischen 1968 und 1989 seine Studierenden systematisch bespitzelt und auch den Inhalt seelsorgerischer Gespräche an die Stasi weitergegeben haben. Dieser Mann, der nicht müde wird, sich in seiner Unterstützung von RAF-Häftlingen auf die Bibel zu berufen, schilderte nun, wie sich 29 ehemalige KZ-Häftlinge und Widerstandskämpfer - darunter Peter Gingold und Esther Bejerano - an den Bundespräsidenten gerichtet hätten, um Klars Gnadengesuch Unterstützung, man könnte auch sagen, den nötigen moralischen Anstrich, zu geben.

Fink ist es auch, der Klar mit Geschenken wie einem Abo des ehemaligen FDJ-Zentralorgans "junge Welt" und ideologisch aufbauendem Lesestoff wie dem von Heinz Dietrich verfaßten Buch "Sozialismus im 21. Jahrhundert" zu beglücken versucht. Für den aus der Frankfurter Studentenbewegung stammenden, seit Jahren an einer Universität in Mexiko-City lehrenden und als Chefberater lateinamerikanischer Linkspopulisten wie Hugo Chávez ("Heinz Dieterich ist ein eminenter Denker") auftretenden Marxisten ist die Welt noch in Ordnung. Mauerfall, Implosion der DDR, Zusammenbruch des Ostblocks und das Ende der Sowjetunion - alles nur vorübergehende Niederlagen. Dagegen komme es darauf an, in Richtung Sozialismus ungebrochen weiter Kurs zu halten. In Lateinamerika zeige sich von Kuba, über Venezuela und Bolivien schließlich, wie man gegen den US-Imperialismus und seine Vasallen nicht nur bestehen, sondern den antiimperialistischen Kampf erneut aufnehmen könne. In einem vor zwei Jahren vom "Spiegel" veröffentlichten Dietrich-Porträt hieß es: "In Venezuela gilt der Altlinke als Chefideologe des Präsidenten Chávez und bastelt mit ihm an Bündnissen gegen die Vorherrschaft der USA." Dietrichs Werk, für dessen Werbung selbst Fidel Castro mit dem Satz "Ich würde dieses Buch gerne lesen" zu hören ist, wird im Umfeld der PDS begierig aufgenommen und offenbar nicht weniger begeistert von einem RAF-Häftling wie Klar gelesen.

Von dem 54jährigen, der mit seinem an den Bundespräsidenten gerichteten Gnadengesuch nun schon seit Wochen in der Öffentlichkeit für Schlagzeilen sorgt, verlas Fink auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz eine "Botschaft". Was in der "jungen Welt" nun unter der Überschrift "Das geht anders" nachzulesen ist, stellt nichts anderes als ein Bekenntnis zum antiimperialistischen Kampf dar. Klar macht darin offenbar Anleihen bei den von Dietrich formulierten Konzepten und stellt Lateinamerika und Europa diametral entgegen. Während es in dem einen Erdteil verschiedenen Ländern gelungen sei, "nach zwei Jahrzehnten sozial vernichtender Rezepte der internationalen Besitzerklasse endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben" zu haben, rolle in dem anderen ein "imperiales Bündnis" weiter, das sich ermächtige, "jedes Land der Erde, das sich seiner Zurichtung für die aktuelle Neuverteilung der Profite widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen und seine ganze gesellschaftliche Daseinsform in einen Trümmerhaufen zu verwandeln." Die in Europa "ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche" müßten "den chauvinistischen 'Rettern'" entrissen werden. Wie bitte? Genau so hätte es auch in irgendeiner Kommandoerklärung der RAF stehen können. Das jedenfalls ist der Sound, der in den achtziger Jahren nach den Mordanschlägen auf Beckurts, von Braunmühl und Herrhausen zu hören war.

Der Schulterschluß zwischen einem RAF-Hardliner wie Klar und Betonköpfen der PDS kommt andererseits vielleicht gar nicht so überraschend. Schließlich gab es vor über einem Vierteljahrhundert ja ein überaus praktisches Bündnis zwischen Linksterrorismus und SED, die sogenannte "RAF-Stasi-Connection". Die Stasi ließ es sich damals jedenfalls nicht nehmen, Exponenten der zweiten RAF-Generation auf eigenem Territorium an Sprengstoff und Waffen auszubilden. Warum in den Nahen Osten zu den Palästinensern fliegen, mag man sich damals gedacht haben, wenn doch alles im eigenen Lande vorhanden ist. Angehörige der Terrorismus-Abwehr (sic!) des MfS steckten die offiziell als "anarchistische Wirrköpfe" abgelehnten Terroristen in Uniformen der Nationalen Volksarmee und trainierten sie im Umgang mit Panzerfäusten. Unter anderem wurde auf diese Weise ein Symbol des Klassenfeindes, eine Mercedes-Limousine, nicht ohne zuvor darin einen Schäferhund eingesperrt zu haben, "geknackt"; dem verendenden Tier mußte schließlich der "Gnadenschuß" verpaßt werden. Mit von der Partie auch Christian Klar. Er erhielt seinen letzten Schliff als Terrorist sozusagen von Ausbildern der Staatssicherheit. Das geschah - in der Frage des Zeitpunktes widersprachen sich vor Gericht einige Zeugen - entweder 1981 oder 1982.

Und nun bieten ihm maßgebliche Kräfte aus der SED-Nachfolgepartei ein ideologisches Zuhause. Klar könnte mit einer Durchhalteerklärung wie der vom 13. Januar, die zeigt, wie wenig er sich aus dem politischen Koordinatenrahmen seiner aktiven Zeit gelöst hat, vielleicht seine letzte Chance auf Begnadigung durch den Bundespräsidenten verspielt haben. (Tsp)

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