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Rainer Brüderle

© Thilo Rückeis

Rainer Brüderle: "Wir müssen uns nicht neu erfinden"

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle spricht im Tagesspiegel-Interview über die Koalition, seine Partei, Steuersenkungen und die Sparklausur.

Herr Minister, Horst Köhler ist von seinem Amt als Staatsoberhaupt zurückgetreten, weil es ihm an Respekt gegenüber seiner Amtsführung fehlte. Verstehen Sie das?

Der Rücktritt hat mich sehr überrascht. Der Bundespräsident hat diesen Schritt begründet, ich habe das zu respektieren. Ich rate jetzt noch mehr dazu, das Amt des Bundespräsidenten aus der tagespolitischen Diskussion herauszuhalten.

Über Sie liest man auch nicht viel Erfreuliches. Fehlt es an Respekt vor Ihrem Amt?

Kritik – auch harte Kritik – in der Sache ist wesentlicher Bestandteil einer lebendigen Demokratie. Ich mache sehr lange Politik und weiß, dass manche sich dabei in schwierigen Zeiten im Ton vergreifen. Es würde der politischen Kultur guttun, ein bisschen Maß zu halten in der Auseinandersetzung.

Heute ändern sich die politischen Stimmungen schneller als noch vor ein paar Jahren?

Das mag auch an der Entwicklung der elektronischen Medien und der Kommunikationstechnik liegen. Ich selbst bin ein leidenschaftlicher Nutzer neuer Technologien. Bei aller Schnelligkeit dürfen wir aber nicht vergessen: Demokratie braucht Festigkeit und Orientierung über den Tag hinaus.

Zur Tagespolitik, Herr Brüderle: Der Start der Koalition war holprig. Hält sie weitere dreieinhalb Jahre?

Ja, dafür wurden wir gewählt. Wir stehen vor großen Herausforderungen und werden unserer Verantwortung gerecht werden, auch indem wir eine gemeinsame Melodie singen.

Singt die Kanzlerin schief, wenn sie, ohne auf den Koalitionspartner FDP einzugehen, die Steuersenkung absagt?

Die Steuersenkung ist nicht abgesagt. Angesichts der aktuellen Probleme im Finanzmarktsektor und der noch nicht überwundenen weltweiten Wirtschaftsabschwächung ist es geboten, dass man die Steuersenkung verschiebt. Aber noch in dieser Legislaturperiode müssen Schritte zur steuerlichen Entlastung folgen. Das ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

Ist es vorstellbar, dass die Steuersenkung über die Amtszeit hinaus verschoben wird?

Nein. Wir wollen die Gesellschaft entlasten und gehen fest davon aus, dass es in dieser Wahlperiode entsprechende Beschlüsse geben wird. Das ist eines der entscheidenden Projekte des bürgerlichen neuen Aufbruchs.

Wäre das für die FDP ein Grund, die Koalition zu verlassen?

Erfolgreiche Koalitionsarbeit zeichnet sich nicht dadurch aus, dass man sich öffentlich übereinander auslässt, sondern dass man gemeinsam handelt.

Ist es denkbar, dass die Mehrwertsteuersenkung für Hotels zurückgenommen wird?

Das ist eine Dreiparteienvereinbarung, und ich sehe nicht, dass es eine Basis zur Veränderung gibt.

Guido Westerwelle werden Führungsfehler vorgeworfen, weil er sich zu rasch der Absage von Steuersenkungen untergeordnet hat. Macht der Parteivorsitzende im Augenblick Fehler?

Nein, ich kann keine erkennen. Guido Westerwelle führt die Partei geschlossen durch eine schwierige Zeit.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gab zu, dass in der FDP- Führung Fehler gemacht wurden. Welche kreiden Sie sich an?

Vielleicht, dass wir nicht darauf gedrängt haben, gleich zu Beginn alle anstehenden Entscheidungen sofort auf die Tagesordnung zu setzen. Ob das die Steuerfragen waren oder auch die Energiepolitik. Um Menschen zu überzeugen, braucht man einen klaren Kurs. Wir müssen uns nicht neu erfinden, sondern nur deutlicher positionieren. Nur so können wir Vertrauen zurückgewinnen. Das gilt für die Koalition insgesamt.

Wie wollen Sie Steuersenkungen zum Ende der Legislaturperiode finanzieren?

Vor allem durch intelligentes Sparen.

Was heißt das?

Dass man zunächst unsere volkswirtschaftliche Situation im Blick hat. Die deutsche Wirtschaft wird durch zwei Dinge belastet: Zum einen sind etwa 25 Prozent der industriellen Kapazitäten zur Zeit nicht ausgelastet und viele Arbeitsplätze nicht wirklich sicher, da sie nur durch Kurzarbeit, betriebliche Bündnisse für Arbeit und Tarifzurückhaltung erhalten werden konnten. Zum anderen ist unser Potenzialwachstum, also das, was wir nachhaltig, dauerhaft erreichen können, mit 0,75 bis ein Prozent zu niedrig. Wir bräuchten 2,5 Prozent.

Die Amerikaner kritisieren, dass die Deutschen durch Sparen das Wachstum bremsen. Haben sie recht?

Nein, sie haben nicht recht. Wir haben 24 Milliarden Euro in die Konjunktur investiert, indem wir Entlastungen vorgenommen haben, vom Kindergeld über Kinderfreibeträge bis zum Steuernachlass bei der Krankenversicherung. Das sind alles nachfragestärkende und damit wachstumsfördernde Maßnahmen.

Wo soll gespart werden? Renten sind ausgenommen, Bildung ist ausgenommen …

Um die Konjunktur anzukurbeln, Wachstum zu erreichen und Innovationen anzuschieben, muss investiert werden. Wir sollten bei Schulbildung, Forschung und Entwicklung nicht die Ausgaben zurückfahren. Das zahlt sich langfristig für die Volkswirtschaft aus.

Jetzt haben wir immer noch keinen Sparvorschlag gehört.

Spielräume sehe ich zum Beispiel bei den Zuschüssen für die Bundesagentur für Arbeit. Hier brauchen wir unbedingt eine eigene Schuldenbremse. Und natürlich kann auch im Wirtschaftshaushalt eingespart werden.

Wo spart der Wirtschaftsminister?

Mein Ziel ist, etwas mehr als acht Prozent unseres Etats, der sechs Milliarden Euro umfasst, zu sparen. Das sind 500 Millionen Euro. Bei allem, was Wachstum fördert, will ich nicht sparen. Ausdrücklich ausgenommen sind Zukunftsinvestitionen in Forschung und Entwicklung.

Wo sonst?

Nach den Steinkohlesubventionen sind die Mittel für die regionale Wirtschaftsentwicklung der größte Posten in meinem Etat. Hier wird kein Weg daran vorbeiführen, die einzelnen Infrastrukturmaßnahmen nach Dringlichkeit und Priorität zu sortieren. Natürlich werde ich auch die Verwaltungsausgaben reduzieren, wo das möglich ist.

Ihr Ministerium investiert nach dem Gießkannenprinzip Milliarden in Existenzgründungen. Ließe sich das nicht auch einsparen – oder wenigstens besser kanalisieren?

Um Milliarden geht es da nicht, aber Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Fördermaßnahmen müssen zielgenau und effizient sein. Wichtig ist, dass gute Geschäftsideen und Risikobereitschaft unterstützt werden. Das verbessert das Gründungsklima in Deutschland.

Wirtschaftspolitiker kritisieren die zahlreichen „Notgründungen“: Jeder vierte Existenzgründer bundesweit kommt aus der Arbeitslosigkeit. Werden die Gründerzuschüsse da nicht zur Sozialhilfe?

Ich sehe es in jedem Fall positiv, wenn man selbstständig einen Weg aus der Arbeitslosigkeit findet. Jeder Arbeitslose, der durch eine Existenzgründung versucht, nicht mehr arbeitslos zu sein, ist mir herzlich willkommen.

Um den Haushalt aufzubessern, muss man nicht nur über Sparen, man kann auch über Einnahmen reden, etwa durch die Besteuerung von Kerosin.

Von Steuererhöhungen halte ich gerade in dieser Situation nichts.

Sie planen die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken – und dann doch eine Steuer, auf Brennelemente.

Die Kernenergie ist für uns eine Brückentechnologie, bis regenerative Energien die Energieversorgung zuverlässig gewährleisten können. Um diesen Übergang zu beschleunigen, werden wir einen Teil der Gewinne, der durch eine Laufzeitverlängerung entsteht, abschöpfen.

Durch eine Atomsteuer?

Man kann das durch eine privatrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung erreichen. Oder eben durch eine Steuer. Das ist noch nicht entschieden. Das werden wir in unserem Energiekonzept festlegen.

Zum Schluss noch zu Opel: Haben Sie die Kanzlerin überzeugen können, dass staatliche Bürgschaften nicht erforderlich sind?

Ich habe aus meiner Haltung nie einen Hehl gemacht. Die Analyse der Experten bestätigt mich darin.

Besorgt Sie die Aussicht, bei den Opelanern einen Proteststurm auszulösen?

Ich habe für jeden Opelaner Verständnis. Deshalb habe ich auch immer an die Verantwortung von GM für seine Tochter Opel appelliert. Der Bundeswirtschaftsminister muss die Volkswirtschaft insgesamt im Blick haben, verantwortungsvoll mit dem Geld der Steuerzahler umgehen und auf die Einhaltung der Verfahrensregeln und Kriterien achten.

Das Gespräch führten Marion Hartig, Moritz Döbler und Antje Sirleschtov.

ZUR PERSON

PFALZ

Rainer Brüderle brüstet sich, dass niemand in seiner Pfälzer Heimat mehr Weinköniginnen geküsst habe. Dabei ist er streng genommen kein Pfälzer: Er wurde 1945 in Berlin geboren, wuchs aber in Landau auf, wo seine Eltern ein Textilgeschäft hatten. Mainz ist sein Lebensmittelpunkt: Dort hat er studiert, bei der Stadt Karriere gemacht und elf Jahre lang als Wirtschaftsminister von Rheinland- Pfalz regiert. Er lebt dort bis heute mit seiner Frau.

BERLIN

1998 zog er in den Bundestag ein und machte sich große Hoffnungen auf das Bundeswirtschaftsministerium. Doch es kam ganz anders: Schwarz-Gelb wurde abgewählt, Brüderle musste elf Jahre warten und machte sich als umtriebiger Mittelstandsfreund einen Namen.

CHINA

Von Wirtschaft und Lebensart in Fernost ist er angetan. Mehr als ein Dutzend Mal war er schon in China. Unvergessen sind die Fotos, die ihn im asiatischen Kampfkunstanzug am Strand von Sylt zeigen.

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