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Argentiniens ehemaliger Präsident Raúl Alfonsín

© Foto. AFP

Raúl Alfonsín: Verfechter der Rechtsstaatlichkeit

Raúl Alfonsín führte sein Land aus Militärdiktatur in die Demokratie. Jetzt ist Argentiniens ehemaliger Präsident gestorben. Ein Nachruf von Michael Schmidt.

Von Michael Schmidt

Raúl Alfonsín war mehr als nur ein Ex-Präsident. Er gehört vielmehr, neben Maradona, Evita Peron und der Tangolegende Carlos Cardel zu den zweifellos am meisten respektierten Persönlichkeiten seines Landes. Nun ist Raúl Alfonsín tot. Die Symbolfigur schlechthin der Rückkehr Argentiniens zur Demokratie nach langen Jahren einer brutalen Militärdiktatur erlag 82-jährig in seinem Haus in Buenos Aires einem Lungenkrebsleiden.

Alfonsin kam aus dem Provinznest Chascomus, an dem er lange hing: Er selbst betonte wiederholt, noch als Präsident, dass er sich die Haare nur in seinem Heimatort schneiden lasse.

Seine Mutter hatte für ihren Erstgeborenen eigentlich die militärische Laufbahn vorgesehen. Doch es kam anders. Schon vor seinem 18. Geburtstag gründete der Sohn eines spanischen Einwanderers, der es vom kleinen Ladenbesitzer zum wohlhabenden Mann gebracht hatte, eine politische Studiengruppe. Dann studierte er Jura, wurde Rechtsanwalt, verteidigte während der Militärherrschaft Regimegegner und gründete die "Ständige Versammlung der Menschenrechte", die sich der systematischen Menschenrechtsverletzungen annahm.

Als die Militärjunta immer mehr an Zustimmung verlor und geschwächt aus dem verlorenen Krieg gegen Großbritannien um die Falkland-Inseln hervorging, wurden für 1983 Wahlen ausgerufen: Alfonsin gewann mit rund 50 Prozent und begann als erster ziviler Präsident nach dem Ende einer der grausamsten Diktaturen des lateinamerikanischen Kontinents, das Land zu demokratisieren.

Kompromissloser Verfechter der Rechtsstaatlichkeit

Mit dem Politiker der linksliberalen Radikalen Bürgerunion UCR verband sich die Hoffnung auf ein neues Zeitalter. "Se va acabar, esta costumbre de matar" - "Es ist vorbei mit der Schlachterei" -, sangen Hunderttausende in der Wahlnacht auf den Straßen der Hauptstadt. Und er enttäuschte sie zunächst nicht. Mit seinen ersten Entscheidungen begründete er seinen Ruf als kompromissloser Verfechter der Rechtsstaatlichkeit.

Drei Tage nach seiner Amtseinführung machte Alfonsín als den Weg frei für die Prozesse gegen die Angehörigen der Streitkräfte wegen Menschenrechtsverbrechen während der Diktatur. Unter seiner Regierung mussten sich die bis dahin allmächtigen Militärs für zehntausendfachen Mord, Folter und Entführung von Regimegegnern verantworten. 1985 wurden die führenden Vertreter der Militärkaste in einem Aufsehen erregenden Prozess zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Verfahren, die in ganz Südamerika ohne Gleichen waren, endeten mit der Verurteilung und Inhaftierung von fünf Juntamitgliedern, darunter zwei Expräsidenten.

Alfonsín setzte auch eine Kommission ein, die die Fälle tausender Verschwundener - zumeist Oppositioneller - aufarbeitete und das brutale Regime der Militärherrscher dokumentierte. All das provozierte, wie kaum anders zu erwarten, den Widerstand der bisher Mächtigen. Drei Mal versuchte das Militär zwischen 1987 und 1988, den demokratisch gewählten Präsidenten abzusetzen, mehrere Aufstände von Soldaten drohten, diese Prozesse zu unterbinden und die Macht wieder an sich zu reißen. Mehr als einmal stand Argentinien am Rande eines Bürgerkrieges.

Staatsverschuldung, Hyperinflation, Kapitalflucht, Korruption

Um das Land zur Ruhe zu bringen, verabschiedete das Parlament Amnestiegesetze. Doch die Immunität für niedere Ränge sollte nicht ewig währen: Im Jahr 2005 hob der Oberste Gerichtshof die Amnestiegesetze endgültig auf, nachdem das Parlament schon 2003 in gleichem Sinne entschieden hatte. Damit war die Möglichkeit geschaffen, Hunderte von Verfahren gegen die Schergen der früheren Militärjunta wieder aufzunehmen.

Das zweite große Thema seiner Präsidentschaft war die Wirtschaftskrise, die ihn 1989 vorzeitig aus dem Amt scheiden ließ. Alfonsin wurde der Probleme nicht Herr: Staatsverschuldung, Hyperinflation, Kapitalflucht, Korruption und soziale Verwerfungen kosteten ihn den Rückhalt der Bevölkerung. Bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen 1989 setzte sich der peronistische Kandidat Carlos Menem klar durch.

Alfonsin hinterlässt sechs Kinder, 13 Enkelkinder und ein Land in Trauer. Nach Bekanntwerden seines Todes versammelten sich Hunderte vor seinem Haus und entzündeten Kerzen. Präsidentin Cristina Kirchner ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.

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