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© ddp

Randerath: Sexualstraftäter: Die Hölle, das sind die anderen

In Randerath in NRW lebt ein Sexualstraftäter bei seinem Bruder. Vor dem Haus demonstrieren täglich Bürger – die Polizei hält Wache.

Es ist zu einem Ritual geworden: Erst nach Einbruch der Dunkelheit, zwischen 18 und 20 Uhr, zieht das Häuflein der aufrechten Protestierer in Randerath los. Wenig später kann es passieren, dass die Polizei den mit Transparenten bewaffneten Bürgern aufgibt, nicht allzu nah an das Grundstück heranzurücken, vor dem sie seit bald einem Jahr demonstrieren. Hier ist der Sexualstraftäter Karl D. nach seiner Haftentlassung bei seinem Bruder untergekommen.

Seit Anfang März des vergangenen Jahres lebt das beschauliche Dorf Randerath in Nordrhein-Westfalen in einem Ausnahmezustand. Die 1245 Einwohner zählende Gemeinde wurde damals durch den Landrat Stephan Pusch aufgeschreckt, welcher im Kommunalwahlkampf der Öffentlichkeit plötzlich berichtete, dass ein entlassener Sexualstraftäter in die Gemeinde gezogen ist und bei seinem Bruder Unterschlupf gefunden hat. „Ich fühlte mich genötigt, das zu tun“, erzählt Pusch heute und natürlich weist er jeden Verdacht zurück, er habe das Thema für seine anstehende Wiederwahl instrumentalisiert.

Als dann auch noch Details aus den Vorstrafen des Sexualtäters bekannt wurden, der zweimal junge Mädchen auf sadistische und brutale Weise missbraucht hatte, geriet die Welt in der kleinen Gemeinde aus den Fugen. „Wir wollen Sicherheit für unsere Kinder“, malten die Bürger auf ihre Transparente, andere forderten plakativ: „Lebenslange Haft für Vergewaltiger“. Zu Hunderten zogen sie in der Anfangszeit vor das Haus des Bruders von Karl und skandierten vielstimmig: „Kinderschänder: Nein“.

„Wir haben Angst um unsere Kinder“, erzählt Gabriele Hesterkamp, die natürlich gehört hatte, was die Experten über Karl D. berichteten. „Da wird das Rückfallrisiko sehr hoch eingeschätzt“, urteilte etwa Michael Krüger aus der benachbarten Justizvollzugsanstalt Euskirchen, wo man überwiegend mit weniger schweren Fällen arbeitet. In der Tat hatten die Randerather längst nicht nur in allen Details davon erfahren, dass Karl D. bei seinen Überfällen auf die drei jungen Mädchen äußerst brutal vorgegangen ist, er weder die Verantwortung übernommen, noch in seinem langen Gefängnisaufenthalt eine Therapie gemacht hat. In seinen Akten befand sich im Übrigen eine schlechte Prognose. „Hohe Rückfallgefahr“, stand dort geschrieben, der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hat dies der Öffentlichkeit mitgeteilt, nachdem Karl D. im vergangenen Jahr nach 15 Jahren aus der Haft entlassen wurde, weil er seine Strafe abgesessen hatte.

So lebt Karl D. nun in dem Haus seines Bruders, das inzwischen einer Festung gleicht, denn auf der anderen Straßenseite stehen rund um die Uhr Polizisten. „Führungsaufsicht“ heißt das in Juristendeutsch und soll dafür sorgen, dass Karl D. keinen Schritt unbewacht vor die Tür setzt. Einzelheiten nennen die Behörden nicht, aber es sollen insgesamt 24 Beamte sein, die Karl und dessen Familie beobachten. Die Kosten liegen pro Monat bei geschätzten 100 000 Euro, das Land zahlt.

In der Hochphase der Proteste versammelten sich ein paar hundert Demonstranten in der Nähe seines Grundstückes, das er längst mit Planen vor den Blicken der Neugierigen geschützt hat. Erst als sich rechte Agitatoren in die Proteste einschalteten, dämmerte einigen Bürgern, welch gefährliches Spiel hier begonnen hatte. Auch der Landrat war plötzlich aufgeschreckt und suchte nach Wegen der Deeskalation. Doch da war es längst zu spät.

„Was sollte ich denn machen, er ist mein Bruder", hat Helmut D. einmal in einem der wenigen Interviews öffentlich gesagt. Inzwischen ist er genauso zermürbt, wie viele andere in der kleinen Gemeinde. Denn die Totalüberwachung und die Demonstrationen vor der Haustür haben auch für die Familie des Bruders Folgen. Die Behörden hatten – erfolglos – versucht, den neunjährigen Sohn in einem Heim unterzubringen, weil ihm die Präsenz des Sexualtäters und die ständigen Demonstrationen nicht zuzumuten seien.

Die täglichen Proteste hält auch Helmut D. für unzumutbar, er möchte sie genauso verbieten lassen wie die Observation durch die Polizei. „Das ist durch das nordrhein-westfälische Polizeigesetz nicht gedeckt“, zeigt sich Helmuts Anwalt überzeugt. Der Aachener Jurist Wolfram Strauch hat deshalb jetzt eine Klage gegen den Landrat vor dem Verwaltungsgericht Aachen eingereicht und hofft darauf, dass die nicht erst wie sonst üblich in mehr als sechs Monaten beschieden wird. Dem Landrat macht er im Übrigen heftige Vorwürfe: Der habe sich nicht um Moderation bemüht und nie versucht, Ängste abzubauen. „Obwohl er es besser weiß, behauptet er ständig, Karl verweigere sich einer Therapie“, sagt Strauch, „dabei nimmt er längst an einer ambulanten Therapie teil“.

Der Rechtsstaat hat bisher keinen wirklichen Ausweg gewiesen. Viele Anwohner hatten auf den Bundesgerichtshof gesetzt, der kürzlich darüber urteilen musste, ob Karl D. möglicherweise doch wieder in Haft muss. Sicherungsverwahrung lautete das Zauberwort, doch die obersten Richter blieben hart und versperrten den Weg, diese nachträglich anzuordnen, weil keine neuen Erkenntnisse aufgetaucht waren, die einen solchen Schritt rechtfertigen könnten. Die Richter hatten bei ihrem Spruch 1995 darauf verzichtet, obwohl man die besondere Rücksichtslosigkeit des Täters kannte.

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