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Politik: Rasen mähen und Windeln wechseln Israels Siedler versuchen, trotz der Räumung ihr Alltagsleben im Gazastreifen aufrecht zu erhalten

Es ist der „Tag der harten Nüsse“. Am zweiten Tag der Räumung des Gazastreifens müssen die israelischen Polizisten und Soldaten die Besetzer zweier Synagogen zum Aufgeben bewegen.

Es ist der „Tag der harten Nüsse“. Am zweiten Tag der Räumung des Gazastreifens müssen die israelischen Polizisten und Soldaten die Besetzer zweier Synagogen zum Aufgeben bewegen. Außerdem steht ihnen ein bewaffneter Rechtsextremist gegenüber. Der Siedler, der am Mittwoch vier Palästinenser erschoss, gab zu Protokoll, er bereue nichts und hoffe, „dass jemand Ministerpräsident Ariel Scharon ermordet“.

Die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice lobt Scharon in der „New York Times“ als „ungemein mutigen Politiker“. Dennoch reicht es ihr nicht, dass Israel den Gazastreifen aufgibt. Israel müsse bald im Westjordanland die Bewegungsfreiheit der Palästinenser vergrößern. Dafür müsse die palästinensische Autonomiebehörde aber die Hamas entwaffnen.

Kfar Darom am Morgen. Alarm: Armee und Polizei sind im Anmarsch. Keine der 45 Familien hat die isolierte Siedlung mitten im Gazastreifen verlassen. Die rund 320 Siedler ignorieren den Räumungsbeschluss so gut sie können: Zwar geht niemand zur Arbeit, aber nach dem Morgengebet in der Synagoge, dem Frühstück im Familienkreis werden Blumen gegossen, Rasen gemäht, Windeln gewechselt, das Mittagessen vorbereitet. Auch die kinderreiche Familie Schabasi tut so, als sei dies ein Tag wie jeder andere. Mit einer Ausnahme: die jüngste Tochter, Emuna (Glauben) hat Geburtstag, sie ist ein Jahr alt.

Als Soldatinnen an die Türe klopfen, bleibt sie verschlossen. Ein unfruchtbarer Dialog durch die geschlossene Sicherheitstür beginnt. Vater Bensi Schabasi öffnet die Tür einen Spalt breit. Er ist bereit, die Soldatinnen hereinzulassen: „Aber nur um uns zu unterhalten, nicht zur Räumung.“ Man einigt sich: Der Geburtstag wird gefeiert, dann ist Schluss. Soldatinnen verweigern wortlos angebotene Backwaren vom Geburtstag, warten, bis der letzte Teller abgewaschen ist.

Am Nachmittag meldet die Armee: Alle Häuser in Kfar Darom sind geräumt. Nicht aber die Synagoge. 400 militante jugendliche Räumungsgegner haben sich in und auf ihr verbarrikadiert. „Kfar Darom fällt kein zweites Mal“, steht auf dem riesigen Spruchband. Flaschen, Farbbeutel, Eier fliegen auf die anrückenden Truppen. Die Synagoge wird geräumt. Um 15 Uhr 30 ist auch das Ende der letzten Synagoge in Neve Dekalim gekommen. Soldaten stürmen das Gotteshaus.

In Kfar Jam haben sich etwa 1000 Jugendliche unter dem rechtsextremen Anführer Arie Jitzchaki verbarrikadiert. Dann erscheint er mit einem M-16-Gewehr und Revolver im Gürtel auf dem Dach. Jitzchaki schickt die Presse „aus der Schusslinie“, doch gibt er vom Dach aus freizügig Live-Interviews per Mobiltelefon. „Nein, ich werde nicht auf Soldaten oder Polizisten schießen. Das Gewehr dient nur unserem Schutz vor den Palästinensern. Nur wenn ich angegriffen werden sollte, werde ich zurückschießen.“

In einem benachbarten Haus trifft General Jiftach Ron-Tal, Oberkommandierender der Bodentruppen, ein. Drinnen wartet sein 27-jähriger Sohn Omri, vor kurzem mit Frau und Baby hierher gezogen „um den Siedlern in ihren schwierigsten Momenten beizustehen“. Vater und Sohn umarmen sich. Der Vater fordert den Sohn auf, das Haus zu verlassen. So haben sie es bei ihrem gemeinsamen Sabbat-Mahl besprochen, und so fügt sich Omri dem väterlichen Befehl.

Die Kommandanten von Armee und Polizei können nach dem zweiten Tag einen großen Haken hinter ihre Operationspläne machen. Es geht schneller als erwartet voran. Zum Wochenende wird der Gusch-Katif-Siedlungsblock geräumt sein. Spätestens Mitte kommender Woche wird es keine Siedler mehr im Gazastreifen geben. Am Sonntag werden die ersten Häuser in der geräumten Siedlung Kerem Asmona abgerissen.

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