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Politik: Rasender Stillstand Von Harald Schumann

Jetzt schachern sie wieder, die überzeugten Europäer aus den Kanzlerämtern, Präsidentenpalästen und Pre mierministerbüros der Europäischen KrisenUnion. Der Beitragsrabatt für die Briten in Höhe von fünf Milliarden Euro jährlich müsse fallen, fordert da der Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker völlig zu Recht.

Jetzt schachern sie wieder, die überzeugten Europäer aus den Kanzlerämtern, Präsidentenpalästen und Pre mierministerbüros der Europäischen KrisenUnion. Der Beitragsrabatt für die Briten in Höhe von fünf Milliarden Euro jährlich müsse fallen, fordert da der Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker völlig zu Recht. „Wahnvorstellungen“ heißt es dazu bei der Regierung des britischen Premiers Tony Blair. Stattdessen mahnt er die Kürzung der Agrarsubventionen an, ebenfalls zu Recht. Niemals, kündet daraufhin Frankreichs Präsident Jacques Chirac und verweist – ganz legitim – auf die bereits vor drei Jahren geschlossene Rahmenvereinbarung. Und zu alldem spielt Deutschlands Kanzler den Vermittler, der mit milliardenschweren Zugeständnissen winkt. Absehbar ist: Das Gefeilsche um den EU-Haushalt wird einmal mehr mit einem windelweichen Kompromiss enden, der alle Fehler der Vergangenheit fortschreibt und vermutlich ein paar Milliarden Euro mehr kosten wird. Alles wie gehabt also, im Europa der Regierungen. War da noch was?

Ach ja, soeben haben an die 16 Millionen Franzosen und viereinhalb Millionen Niederländer mit ihrem Nein bei den Referenden das große Projekt einer EU-Verfassung in die Abstellkammer der Geschichte befördert. Die Bürger zweier Gründungsnationen der Union haben unmissverständlich klar gemacht, dass sie den bisherigen Weg der europäischen Integration nicht länger mitgehen wollen. Von Enttäuschung war seitdem allenthalben die Rede, von einer notwendigen Denkpause und dem Auftrag, bei den EU-Bürgern um Vertrauen zu werben.

Doch offenkundig sind Europas Regenten noch immer nicht willens, das Bürgervotum ernst zu nehmen. Denn es ist genau diese Politik des Kuhhandels im Hinterzimmer, mit der sie und ihre Vorgänger die europäische Agonie herbeigeführt haben. Die vielfach erhobene Klage, Franzosen und Niederländer hätten nur ihre Regierungen abstrafen wollen und den Schaden für die EU billigend in Kauf genommen, erzählt ja nicht mal die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist die Schwäche der nationalen Regierungen vielfach eine direkte Folge der hoffnungslos unbeweglichen EU-Gesetzgebungsmaschine, wo die nationalen Regierungsapparate fast alle, aber die gewählten Parlamentarier fast gar keine Macht haben.

Weil in diesem Europa der Regierungsbeamten das europäische Gemeinwohl noch stets in das Konzept der nationalen Karos gepresst wird, herrscht seit Jahren in zentralen Politikfeldern rasender Stillstand. Nur so konnte es dazu kommen, dass zwar der große EU-Binnenmarkt geschaffen wurde, aber kein EU-Gesetz, das Steuerflucht und -dumping verhindert. Nur darum gibt es bis heute keine ernst zu nehmende europäische Außenpolitik, keine konsistente EU-Forschungspolitik, keine zukunftsgerechte EU-Energiepolitik und vieles mehr. Und nur deshalb können groteske Konstruktionen wie die Agrarsubventionen zum Schaden der Entwicklungsländer oder der absurd unfaire Briten-Rabatt überhaupt jahrzehntelang Bestand haben.

So ist die europäische Integration nicht deshalb in der Krise, weil die Bürger zu dumm sind, die Absichten ihrer Regierungen zu verstehen. Sondern umgekehrt ist es richtig: Die Regierungen weigern sich, die nötigen Lektionen aus der Ablehnung ihres Beamtenprojekts in der Bevölkerung zu ziehen. Stets betonen Europas politische Führer aller Couleurs, für die großen Probleme unserer Zeit könne es nur europäische Lösungen geben. Aber ebenso hartnäckig halten sie daran fest, in allen wesentlichen Fragen die nationale Kontrolle nicht aus der Hand zu geben. Daran sollte auch die neue Verfassung im Grundsatz nichts ändern. Weder sollten die Bürger die EU-Kommission selber wählen dürfen, noch hätten die EU-Parlamentarier das Recht erhalten, selbst Gesetze einzubringen. Es sind diese grundsätzlichen Mängel der Union, die nun auf die Tagesordnung in Brüssel gehören. Die Zeit der europäischen Technokraten-Lösungen ist zu Ende. Nur mit voller Demokratisierung der EU-Gesetzgebung wird sich die Zustimmung zum europäischen Projekt zurückgewinnen lassen.

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