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Die Statue von Ferdinand de Lesseps, dem französischen Baumeister, am Eingang zum Suezkanal in einer historischen Aufnahme. Seit 1956 liegt das Denkmal im Depot.

© imago/ZUMA/Keystone

Rassismus in der arabischen Welt: Der arabo-muslimische Sklavenhandel ist bis heute ein Tabuthema

Stattdessen diskutiert Ägypten über das Denkmal des Suezkanal-Baumeisters Lesseps. Was das eine mit dem anderen vielleicht zu tun hat. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Andrea Nüsse

Der erste Denkmalstreit, den ich hautnah miterlebt habe, ging um Ferdinand de Lesseps. Ferdinand de Lesseps? Den französischen Diplomaten und Unternehmer, der als Erbauer des Suezkanals zumindest in die westlichen Geschichtsbücher eingegangen ist (und beim ersten Panama-Kanals gescheitert war).

Ich habe ihn kennengelernt in einer Lagerhalle in Port Fuad Ende der 80er Jahre – oder besser: seine siebeneinhalb Meter hohe Bronzestatue, die einst an der Einfahrt des Suezkanals stand. Erbost über den Angriffskrieg der französisch-britischen Allianz mit Israel 1956, als Reaktion auf die Verstaatlichung des Kanals durch den ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, wurde die Statue von Lesseps, einem Repräsentanten des französischen Staates, vom Sockel geholt.

Verständlich in dieser Kriegssituation, die ein letztes Aufbäumen des Kolonialismus war. Und so lag der bronzene Lesseps jahrzehntelang in der Werft auf der anderen Kanalseite, gegenüber der Stadt Suez.

Bis Ende der 80er Jahre ein junger französischer Handwerker die Statue restaurierte, im Auftrag der französischen Botschaft in Übereinkunft mit Ägyptens Behörden. Er tat dies im Rahmen seines französischen Wehrersatzdienstes  - eine schöne Ironie der Geschichte.

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Wieso jetzt?

Wie ich jetzt darauf komme? In einer Zeit, in der alle Welt im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung die oft ambivalenten Botschaften von Denkmälern aus anderen Zeiten diskutiert, denkt Ägypten wohl darüber nach, die Lesseps-Statue wieder aufzustellen. Ergänzt durch ein Denkmal für die ägyptischen Arbeiter, die zunächst mit einfachen Handwerkzeugen den gigantischen Kanal aushuben und zu tausenden dabei starben. Diese Idee berichtete jedenfalls kürzlich die ägyptische Zeitung „As-Shorouk“.

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Heißt das, dass Ägypten ein bewundernswert souveräner und nuancierter Umgang mit seiner Geschichte und vor allem dem Erbe der Kolonialgeschichte gelingt? Man mag das nicht so recht glauben und es irritiert doch sehr, dass in Zeiten, wo weltweit über Rassismus in den eigenen Gesellschaften diskutiert wird, Ägypten darüber nachdenkt, ausgerechnet ein Lesseps-Denkmal wieder aufzustellen.

Vielleicht ist es einfacher, mit dem Erbe des erduldeten Kolonialismus umzugehen, da war man „Opfer“, als sich die hässlichen Seiten der eigenen Gesellschaft anzusehen, für die man selbst verantwortlich ist?

Rassimus ist Alltag, aber eine Debatte kommt nicht in Gang

Die Debatte um Rassismus wird in den arabischen Ländern von der Generation aufgeworfen, die hinter den Arabischen Frühlingen stand. Aber sie haben verloren, ihre Stimmen werden unterdrückt. Und so bleibt das Thema Rassismus wird weiter tabuisiert, dabei war und ist Rassismus in der arabischen Welt Alltag.

Das fängt beim Vokabular an: „Abid“- Sklave“- lange eine gebräuchliche Bezeichnung für Schwarze. Der orientalische Sklavenhandel dauerte etwa von 650 bis Mitte des 20. Jahrhundert – Millionen Afrikaner wurden in die islamische Welt und bis nach China verschleppt. Ägypter waren in Schwarzafrika als Sklavenjäger bekannt.

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Offiziell abgeschafft wurde der Sklavenhandel in einigen arabischen Ländern erst kürzlich könnte man sagen: 1962 in Saudi-Arabien, 1980 in Mauretanien, wo es aber noch immer sklavenähnliche Verhältnisse geben soll. Insbesondere den Golfstaaten werden zumeist asiatische Gastarbeiter und Hausangestellte in sklavenähnlichen Verhältnissen gehalten.

Nährboden für allgemeine Intoleranz gegenüber dem "Anderen"

Und in Ägypten wie anderswo in der Region ist der alltägliche Rassismus gegen Schwarze bis heute ausgeprägt. Der ägyptische Schriftsteller Khaled al-Khamissi sieht in dem historisch tief verwurzelten Rassismus die Ursache für die allgemeine  Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, Anderslebenden, Andersaussehenden: „Diese Art von Rassismus hat in der arabischen Welt den Nährboden bereitet für die Herausbildung einer aggressiv-ablehnenden Grundhaltung gegenüber allem, was von der herrschenden Norm oder dem als „natürlich“ Empfundenen abweicht.“

Umgedreht könnte man vermuten, dass in einem Land, in dem die Bürgerrechte und Menschenwürde des Einzelnen nicht respektiert werden, der Kampf für die gesellschaftliche Gleichberechtigung der Nubier noch keine Priorität hat. Aber die Generation des Arabischen Frühlings hat erkannt, dass es sich um ein und dasselbe Thema handelt.

Kolonialismus hat Assoziation zwischen "Weiß" und "Oberschicht" hinterlassen

Die ägyptische Historikerin  Amina Elbendary erkennt auch ein Fortwirken der Kolonialisierung: Sowohl die türkisch-osmanische Elite als später die europäischen Kolonialherren waren hellhäutig oder weiß. Die Assoziation zwischen Hellhäutig und Oberschicht habe sich bis heute gehalten.

Vielleicht liegt also doch hier die Erklärung für die gerade jetzt artikulierte Idee, die Statue des Franzosen Ferdinand de Lesseps wieder am Eingang des Suezkanals aufzustellen: Heute eher als Zeichen einer historischen Kooperation mit (dem weißen) Europa, aus der Großartiges hervorgegangen ist und die gleichzeitig die Ägypter als modern im Vergleich zum schwarzen Süden auszeichnet. Das sind Vermutungen angesichts der relativen Sprachlosigkeit.

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