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Kanadas Premier Justin Trudeau bei einem Wahlkampfevent. Im Oktober wird in Kanada gewählt.

© Shannon VanRaes/REUTERS

Rassismus-Vorwurf gegen Kanadas Premier: Trudeau die Eignung als Politiker abzusprechen, ist absurd

Kanadas Premier Justin Trudeau gerät wegen eines alten Kostüms unter Druck. Die Skandalisierung soll wohl vor allem seinen Rücktritt erzwingen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Tilman Schröter

Justin Trudeau ist in Schwierigkeiten. Der kanadische Premier will Ende Oktober erneut in den Regierungssitz in Ottawa einziehen. Das aber ist für ihn in der vergangenen Woche ungleich schwerer geworden. Seit Mittwoch ist Trudeau damit beschäftigt, sich bei der kanadischen Öffentlichkeit für ein kontroverses Foto zu entschuldigen. Es ist eine Episode, die viel über die moralischen Ansprüche sagt, mit denen Politiker konfrontiert sind.

Vor 19 Jahren wurde eben jenes Foto auf einer Kostüm-Party geschossen, am Mittwoch wurde es im Time-Magazin veröffentlicht. Motto der Party: Arabische Nächte. Trudeau hatte sich als Aladin verkleidet, mit weißem Turban – und schwarz geschminkter Haut. „Blackfacing“ nennt sich diese Art der Verkleidung und sie ist zurecht als rassistisch verpönt. Sie steht in einer Tradition der Degradierung dunkelhäutiger Menschen, das „Blackfacing“ sollte sie als minderwertig darstellen. Dass Trudeau sich zu so etwas hinreißen ließ, empört nun die kanadische Öffentlichkeit. Kritiker und Oppositionspolitiker fordern seinen Rücktritt. Als er sich vor Fernsehkameras entschuldigte, sagte der Premier, er habe viele Leute enttäuscht und sei sich auch nicht sicher, ob dieser Vorfall der einzige war, in dem er sich so geschminkt habe. Und tatsächlich tauchte auch ein Video auf, in dem er ebenso aussah.

Der Premier muss sich entschuldigen - dabei sollte man es dann bewenden lassen

Ja, es ist eine rassistische Verkleidung und ja, ein Premierminister muss sich dazu verhalten. Das hat er mit seiner Entschuldigung und dem Eingeständnis weiterer Vorfälle getan. Damit sollte man es bewenden lassen. Aus heutiger Sicht war das eine Verfehlung. Aber kulturelle Maßstäbe verändern sich. Was vor Jahren noch nicht als anstößig galt, kann später verletzend wirken – so auch in diesem Fall. Trudeau nun wegen eines Kostüms, das er vor 19 Jahren trug, – als Lehrer, nicht als Premier wohlgemerkt – mindestens unterbewussten Rassismus zu unterstellen und ihm seine Eignung als Politiker abzusprechen, ist absurd. Als Regierungschef hat er ein kulturell diverses Kabinett eingesetzt, im vergangenen Jahr wurde von seiner Regierung die kanadische 10-Dollar-Note mit dem Gesicht der schwarzen Bürgerrechtlerin Viola Desmond bedruckt.

Trudeau hat eine unglückliche Kostümwahl getroffen, die nun zu einer Staatsaffäre aufgepumpt wird. Wenn ihn das fürs Regierungsamt untauglich macht – wo hört der Anspruch dann auf?

Trudeau nun als Heuchler darzustellen, eine alte Unbedachtheit zu skandalisieren und so seinen Rücktritt zu erzwingen, scheint das vordergründige Interesse der Episode zu sein. Der Diskurs über Rassismus in einer Gesellschaft ist essentiell für zivilisatorischen Fortschritt. Für eine solche Instrumentalisierung ist er viel zu wichtig.

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