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Politik: Ratlos in der Lokomotive

Ein „Zugunglück“ sei der türkisch-europäische Krach um Zypern, sagen EU-Politiker – ob Merkel hilft?

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird sich bei ihrem Besuch in der Türkei am kommenden Donnerstag und Freitag mit der derzeit härtesten Nuss der europäisch-türkischen Beziehungen auseinandersetzen müssen: dem Zypern-Problem. Die EU verlangt von der Türkei, bis Ende des Jahres ihre Häfen für Güter aus der griechischen Republik Zypern zu öffnen, die seit 2004 zur EU gehört. Da Ankara sich bisher weigert, drohen Konsequenzen bis hin zum Abbruch der vor einem Jahr begonnenen EU-Beitrittsverhandlungen. Von einem absehbaren „Zugunglück“ sprechen EU-Vertreter.

Tatsächlich erscheint die Lage hoffnungslos verfahren. Auf der einen Seite will die EU es nicht hinnehmen, dass der Bewerberstaat Türkei das EU-Mitglied Zypern nicht anerkennt. Auf der anderen Seite beklagt die Türkei als Schutzmacht des international nicht anerkannten türkischen Sektors auf Zypern, die Haltung der EU sei ungerecht. Als vor zwei Jahren über die Wiedervereinigung der seit 1974 geteilten Insel nach einem UN-Plan abgestimmt wurde, votierten die türkischen Zyprer für die Einheit. Die griechischen Zyprer lehnten ab, wurden aber trotzdem in die EU aufgenommen.

Damals versprach die EU, das internationale Handelsembargo gegen den türkischen Sektor zu lockern, doch das scheitert bisher am Widerstand der griechischen Zyprer. Deshalb will die Türkei ihre Häfen für den griechischen Inselsüden nur öffnen, wenn die Isolierung des türkischen Nordens aufgehoben wird. Brüssel pocht aber darauf, dass die Türkei ihre Verpflichtungen gegenüber allen EU-Mitgliedern einhalten muss: Die Positionen sind bisher unvereinbar.

Trotzdem versuchen Diplomaten und Politiker aller Seiten, das Unglück zu verhindern. Noch vor Merkel kommt EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn nach Ankara, und der türkische Verhandlungsführer bei den EU-Beitrittsgesprächen, Ali Babacan, sprach in Helsinki mit der finnischen EU-Ratspräsidentschaft. Babacan war es auch, der erstmals die Möglichkeit einer Einigung andeutete. Seine Regierung sei für neue Vorschläge offen und bereit, sich zu bewegen, sagte er.

Einzelheiten nannte Babacan nicht, aber nach Angaben aus EU-Kreisen zeichnet sich eine Konstruktion ab, bei der alle Beteiligten das Gesicht wahren könnten. Demnach soll mindestens ein Hafen im türkischen Teil Zyperns unter UN-Kontrolle gestellt und der dortige Handel mit UN-Dokumenten abgewickelt werden. Mit dieser Öffnung für den internationalen Handel würde es, so die Überlegung, für die türkische Regierung innenpolitisch vertretbar, mindestens einen Hafen für griechisch-zyprische Schiffe zu öffnen; das „Zugunglück“ wäre verhindert. Beschlossen ist allerdings noch nichts. „Man muss weiter dran arbeiten“, sagt ein europäischer Diplomat in Ankara.

Europäer und Türken suchen deshalb so verbissen nach einer Lösung, weil niemand ein Interesse an dem „Zugunglück“ hat: Die Türkei will ihre EU-Chancen wahren. Die EU will das wichtige Brückenland Türkei nicht verstoßen. Selbst die griechischen Zyprer wollen keinen Abbruch der EU-Verhandlungen mit Ankara, weil sie dann jeden Einfluss auf die Türkei verlieren würden. Und Deutschland will für seine EU-Präsidentschaft ab Januar keinen Gau in den türkisch-europäischen Beziehungen. Auch deshalb wird die türkische Regierung aufmerksam registrieren, was Merkel zu dem Thema zu sagen hat.

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