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Raymond Moussalli.

© Martin Gehlen

Raymond Moussalli, Irakischer Pfarrer: "Es gibt keinen Schutz für die christliche Minderheit"

Raymond Moussalli, Pfarrer der zentralen chaldäischen Flüchtlingspfarrei in Amman, spricht mit dem Tagesspiegel über Christen im Irak, die Bedrohung durch Al Qaida und die Flucht nach Europa.

Ein Al Qaida-Kommando hat in Bagdad die Sayidat al-Nejat Kathedrale überfallen und ein Blutbad unter den Gläubigen und ihren Priestern angerichtet. Was bedeutet das für die Lage der Christen im Irak?

Das ist die schlimmste Katastrophe für uns seit der amerikanischen Invasion. So etwas hat es noch nie gegeben in unserer Heimat. Ausgerechnet während der Sonntagsmesse sind bewaffnete Terroristen in unser Gotteshaus eingedrungen und haben Betende und Priester ermordet. Es gibt keine Sicherheit und Stabilität im Irak. Es gibt keine stabile Regierung und keinen Schutz für die christliche Minderheit.

Mehr als zwei Drittel aller Christen sind in den letzten Jahren bereits aus Mesopotamien geflohen. Werden die Übrigen jetzt auch aufgeben?

Ich fürchte ja. Jede Woche kommen neue Flüchtlinge in Jordanien und Syrien an. Ich rechne damit, dass die Zahl der christlichen Flüchtlinge rapide zunehmen wird. Zahllose Christen werden von Al Qaida bedroht – am Arbeitsplatz, in ihren Wohnungen, sogar in ihren Gotteshäusern. Wir wollen unser Land nicht verlassen. Wir Christen leben seit vielen hundert Jahren hier und sind tief verwurzelt. Wir lieben den Irak, wir beten, dass wir irgendwie einen Weg finden können zu bleiben. Denn unsere Heimat ist auch die Heimat von Abraham, dem Urvater von Judentum, Christentum und Islam.

Letzte Woche ging in Rom die Sondersynode über die Kirchen des Orients zu Ende, ein Krisentreffen, was sich in erster Linie mit dem Schicksal der irakischen Christen beschäftigt hat. Ist dieser Überfall die Antwort von Al Qaida an die katholische Kirche?

Die Synode hat an die muslimische Welt appelliert, wir wollen mit euch zusammenleben. Wir wollen keine Konflikte, wir wollen Frieden und Miteinander. Die Geiselnahme war jetzt eine total brutale Antwort – wir verstehen das alles nicht mehr. Die Terroristen wollen der ganzen Weltkirche demonstrieren – wir möchten die Christen im Irak nicht mehr haben. Al Qaida sagt zu uns, ihr seid die Brüder der Amerikaner, ihr seid die Feinde der Muslime. Ihr habt hier nichts mehr zu suchen.

Was können Deutschland und Europa tun?

Wir appellieren eindringlich an Europa, macht eure Türen nicht zu, nehmt mehr Flüchtlinge als bisher auf. Ich wende mich mit dieser Bitte vor allen auch an Deutschland. Die Christen können nicht zurück in den Irak. Wir können uns zu Hause nicht mehr schützen. Wir haben keine andere Wahl mehr, als in der Fremde weiterzuleben.

Raymond Moussalli (44) stammt aus Mossul im Norden des Irak. Der chaldäische Geistliche hat in Syrien und Rom studiert und leitet seit sieben Jahren die irakisch-christliche Flüchtlingspfarrei in der jordanischen Hauptstadt Amman. Seiner Notgemeinde gehören über 5000 Gläubige an.

Die Fragen stellte Martin Gehlen

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