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Gemeinsame Trauer: Vor dem Restaurant La Carillon im 10. Arrondissement, einem der Tatorte in Paris, versammelten sich nach den Attentaten viele Menschen.

© Benoit Tessier/Reuters

Reaktion auf den Terror des IS: Offenheit und Besonnenheit sind keine Schwächen

Trotz Terrorgefahr dürfen Freiheitsrechte nicht leichtfertig geopfert werden, meint Juli-Chef Konstantin Kuhle. Sonst lassen wir Terroristen über die Art und Weise unseres Lebens entscheiden. Ein Gastkommentar.

Vor gut 38 Jahren stand der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt vor einer schweren Entscheidung. Die terroristische Vereinigung Rote Armee Fraktion (RAF) hatte die Lufthansa-Maschine Landshut entführt. Wenige Wochen zuvor war Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer als Geisel genommen worden. Mit diesen Aktionen sollten inhaftierte RAF-Mitglieder freigepresst werden. Die Bundesregierung blieb hart und ging nicht auf die Forderungen der Terroristen ein. Das entführte Flugzeug wurde in Mogadischu gestürmt. Wenig später wurde Schleyer von seinen Kidnappern erschossen. Zeit seines Lebens hat Schmidt mit den Konsequenzen seiner Entscheidung gerungen. Heute steht fest: Seine Härte hat die Demokratie gestärkt.

Kein Opfer der Anschläge von Paris wird durch das Ziehen historischer Parallelen wieder lebendig. Trauernden Angehörigen ist es egal, dass die Bedrohung durch Terrorismus vor nicht allzu langer Zeit eine wesentlich größere Rolle in Europa gespielt hat, als in diesen Tagen. Niemand verlangt von den Betroffenen, dass sie ihrer Wut nicht laut und deutlich Ausdruck verleihen. Trägt man jedoch als Politiker Verantwortung, sollte man sich nicht von diesen Gefühlen leiten lassen. „Die Anschläge in Paris ändern alles“, sagte der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU). Er hat Unrecht.

Wenn wir die freiheitlich-demokratische Grundordnung nach einem Terroranschlag außer Kraft setzen, erlauben wir es den Terroristen über die Art und Weise zu entscheiden, nach der wir leben wollen. Statt das Grundgesetz zu ändern, um einen Einsatz der Bundeswehr im Innern zu vereinfachen, sollten wir Polizei und Sicherheitsbehörden besser ausstatten. Statt an der Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung festzuhalten, sollte die Auswertung jener Daten verbessert werden, die bereits ohne neue Gesetze erhoben werden können. Statt gegenseitiger Schuldzuweisungen und nationaler Egoismen sollten Europas Sicherheitsbehörden verstärkt zusammenarbeiten.

Auch in Zeiten des Terrors bleibt das Volk der Souverän

Die Bürger haben großes Verständnis für die erhöhte Polizeipräsenz im Straßenbild, für Eingangskontrollen an Bahnhöfen oder bei Großveranstaltungen und sogar für abgesagte Länderspiele. Wenn solche Maßnahmen den Eindruck vermitteln, tatsächlich für mehr Sicherheit zu sorgen, werden sie von den Menschen akzeptiert. Aber Freiheitsrechte dürfen nicht in einem Zustand des rhetorischen Ausnahmezustandes geopfert werden. Auch in Zeiten des Terrors bleibt das Volk der Souverän. Die Menschen haben es verdient, von der Erforderlichkeit einer Sicherheitsmaßnahme im Einzelfall überzeugt zu werden.

Konstantin Kuhle ist Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen.
Konstantin Kuhle ist Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen.

© R/D

Ähnlich wie Deutschland haben andere europäische Länder bewiesen, dass sie gegen den Terror bestehen können. Die Bedrohungen durch ETA und IRA in Spanien und Großbritannien haben mitunter jahrzehntelang angehalten und jährlich hohe Opferzahlen gefordert. Trotzdem stand am Ende ein Sieg des Friedens in demokratischer Verfasstheit. Westliche Demokratien gewinnen ihre Wehrhaftigkeit nicht nur aus Sonntagsreden, sondern auch aus Unnachgiebigkeit und Härte gegenüber politischer Gewalt. Aber die Gewissheit, dass ein pluralistisches und offenes System stärker ist als die Phantasien der Terroristen, muss von den Verantwortlichen aktiv vermittelt werden. Wehrhaftigkeit nach innen ist eine Frage der politischen Führung.

Angesichts der Anschläge von Paris mahnen uns manche Feinde der offenen Gesellschaft, „endlich aufzuwachen“. Doch Demokratie ist kein Tagtraum für rosige Zeiten. Wer davor warnt, Flüchtlinge pauschal für die Terroranschläge in Paris verantwortlich zu machen, sieht sich schnell dem Vorwurf der Naivität ausgesetzt. Wer herausfinden will, warum sich auch Menschen mit europäischen Staatsangehörigkeiten radikalisieren, wird als Sozialromantiker verlacht. Humanitäre Hilfe, aktive Integrationspolitik und religiöse Toleranz schließen ein robustes militärisches Eingreifen gegen die Terrororganisation Islamischer Staat aber nicht aus. Offenheit und Besonnenheit sind keine europäischen Schwächen. Sie müssen Eckpfeiler unserer Strategie gegen Terror, Gewalt und Extremismus sein.

Konstantin Kuhle (26) ist seit 2014 Bundesvorsitzender der FDP-Jugendorganisation Junge Liberale (Julis). Er ist Rechtsreferendar in Hamburg.

Konstantin Kuhle

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