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Die Überbleibsel der Abstimmung.

© dpa

Reaktionen auf das Brexit-Referendum: "Weckruf für die europäische Politik"

Die Politik streitet darüber, welche Konsequenzen ein Brexit wirklich hat. Was denken Europa und die Welt?

Von Katrin Schulze

Der Rest Europas reagiert höchst unterschiedlich auf die Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu verlassen. Während die Rechtspopulisten anderer Länder das Referendum als Vorbild sehen, prognostizieren andere dem Vereinigten Königreich eine problematische Zukunft. Einige sehen gar die europäische Idee verraten. "Es sieht nach einem traurigen Tag für Europa + Großbritannien aus", twitterte das Auswärtige Amt kurz nachdem das Ergebnis offiziell bestätigt worden ist. Die Nachrichten aus Großbritannien bezeichnete Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) als "wahrlich ernüchternd".

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Mit dieser Ansicht ist er nicht allein. Der europäische Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sogar: "Der 23. Juni wird als tiefschwarzer Tag in die Geschichte Europas eingehen." Er forderte aber auch, Lehren aus dem Tag zu ziehen und ruft zu einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf: "Dass in der EU nicht immer alles gemeinsam vorangetrieben wird, die Nachzügler aber die Vorwärtsbewegung nicht blockieren dürfen, muss viel stärker zur Praxis werden." Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault ist der Meinung, dass es nun vor allem darum geht, weiter für die europäische Idee zu werben. Das Ergebnis sei traurig für Großbritannien, sagte er. Europa bestehe fort, "aber es muss reagieren und das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen".

"Chance für einen Neuanfang"

Wolfgang Schäuble (CDU) forderte die anderen EU-Mitgliedsstaaten auf, jetzt noch stärker zusammenzuhalten. "Gemeinsam müssen wir das Beste aus der Entscheidung unserer britischen Freunde machen", sagte der Bundesfinanzminister. Zum Verfahren für einen Austritt aus der Europäischen Union sagte er, dies sei eindeutig geregelt und werde angewendet. "Das schafft Verlässlichkeit."

Auch Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel schaut nach vorne. Europa müsse die Brexit-Entscheidung nicht als Untergang, sondern als "Chance für einen Neuanfang" begreifen. "Der Austritt des Vereinigten Königreichs ist ein schriller Weckruf für allem für die europäische Politik", sagte Gabriel dem Tagesspiegel. "Wer den überhört oder sich in die üblichen Rituale flüchtet, fährt Europa gegen die Wand. Entrückte Politik, die nichts erklärt und immer nur angebliche Sachzwänge vorschiebt, landet in der Sackgasse." Der SPD-Vorsitzende forderte ein demokratischeres, sozialeres, solidarischeres und unbürokratischeres Europa mit einer "aktiven Bürgerbeteiligung".

Es ist davon auszugehen, dass die EU mit den Folgen des britischen Votums zu kämpfen hat. Doch die Veränderungen in Großbritannien dürften, glaubt man Experten, noch viel schwerwiegender sein. "Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien", sagt zum Beispiel Henrik Enderlein, der Direktor des Jacques Delors Instituts und Professor an der Hertie School of Governance. Die Folgen eines Brexit sieht er weniger dramatisch: "Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften."

"Warnschuss für die anderen"

Anders sieht das der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, der den Ausgang der Volksabstimmung als "Warnschuss" für die 27 anderen EU-Mitgliedsländer wertet. "Wir müssen endlich ein Europa bauen, das liefert, was die Bürger von Europa erwarten" sagte er am Freitag im ZDF-"Morgenmagazin". Brok sprach sich für ein hartes Vorgehen bei den wahrscheinlich bevorstehenden Trennungsgesprächen mit Großbritannien aus. " Das war eine Fehlentscheidung, für die bitter bezahlt werden muss. Draußen ist draußen", sagte der CDU-Mann. Jetzt müssten "Nachahmer-Effekte" verhindert werden.

Genau diese deuten sich aber schon an. Europas Rechtspopulisten jedenfalls fordern bereits, dem Beispiel Großbritanniens zu folgen. So will Marine Le Pen, die Chefin von Frankreichs rechtsextremer Front National, nach dem Brexit-Votum weitere Abstimmungen in den EU-Mitgliedsstaaten sehen. "Sieg der Freiheit!", schrieb Le Pen auf Twitter. "Wie ich es seit Jahren fordere, brauchen wir jetzt dasselbe Referendum in Frankreich und in den Ländern der EU." Ihr Kollege von der niederländischen Partei für die Freiheit, Geert Wilders, hatte sich schon zuvor beim Kurznachrichtendienst zu Wort gemeldet. "Bye bye Brüssel", schrieb er. "Und die Niederlande werden die Nächsten sein!"

Nach Einschätzung des republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump habe mit dem Votum der Briten vermutlich der Zerfall der EU begonnen. Trump war einer der ersten US-Bürger, der sich nach dem britischen Votum zu Wort meldete. An den Beziehungen zwischen Großbritannien und den USA werde sich dadurch nichts ändern, teilte er weiter mit.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) fürchtet allerdings keine weiteren Austritte aus der EU. "Die Kettenreaktion wird es nicht geben", sagte er am Freitag im "Morgenmagazin" des ZDF. Zur Begründung verwies er unter anderem auf die negativen Reaktionen von Wirtschaft und Börse. "Ich glaube nicht, dass andere Länder dadurch ermutigt werden, diesen gefährlichen Weg zu gehen."

52 Prozent sprachen sich für einen Austritt aus.
52 Prozent sprachen sich für einen Austritt aus.

© AFP

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