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Aus der SPD gibt es auch Kritik am Umgang mit Andrea Nahles

© Tobias Schwarz/AFP

Update

Reaktionen auf Nahles-Rücktritt: „So brutal darf Politik nicht sein“

Für ihre Rücktrittsentscheidung erhält Andrea Nahles parteiübergreifend Respekt. Die Grünen fordern eine rasche Klärung der Personalfragen. Ein Überblick.

Nach der Rücktrittsankündigung von Andrea Nahles als SPD-Partei- und Fraktionschefin haben Politiker unterschiedlicher Parteien Respekt für diesen Schritt gezollt. "Hochachtung vor Andrea Nahles. So brutal darf Politik nicht sein. Vielleicht denken wir darüber alle einfach nur nach", sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch.

Auch FDP-Chef Christian Lindner mahnte, der Umgang mit Nahles solle "alle in Politik und Medien" zum Nachdenken bringen. Nahles sei "eine ehrliche und kompetente" Politikerin, schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Ihr Rücktritt beantworte keine Kursfrage der SPD, "sondern beschert uns nur eine instabile Regierung".

Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck äußerten Respekt, dass Nahles eine "klare Entscheidung" treffe. "Wir hoffen, dass die SPD rasch ihre Personalfragen klärt und sich dann mit neuer Kraft auf ihre Aufgaben konzentrieren kann", sagten die Parteichefs.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) bedauerte den Rücktritt. „Das Land und die SPD haben Andrea Nahles viel zu verdanken“, sagte Scholz. In schwierigen Zeiten habe sie die Verantwortung übernommen und den Erneuerungsprozess in der Partei begonnen. „Die SPD befindet sich nicht erst seit der Europawahl in einer schwierigen Lage - wichtig ist daher, dass wir zusammenbleiben und die nächsten Schritte gemeinsam gehen", sagte der Vizekanzler. Die rehinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sprach von einer "extrem ernsten Situation" für die Partei.

Ex-SPD-Chef Gabriel fordert "Entgiftung" seiner Partei

Der ehemalige Parteichef Sigmar Gabriel forderte eine „Entgiftung“ seiner Partei. „Solange die SPD sich nur mit sich selbst beschäftigt, solange es nur um das Durchsetzen oder Verhindern von innerparteilichen Machtpositionen geht, werden die Menschen sich weiter von uns abwenden“, sagte Gabriel der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Auch künftig dürfe in der SPD hart über inhaltliche Differenzen gestritten werden, sagte Gabriel. „Das gab es immer, und das ist auch nötig in einer Partei.“ Nötig sei aber ein ehrliches Interesse an Menschen und ein freundlicher und solidarischer Umgang „nach innen und außen“.

Umgang mit Nahles war "inakzeptabel"

In der SPD wird aber auch Kritik am parteiinternen Umgang mit Nahles laut. "Die Art und Weise, wie manche in den Tagen seit der für uns verlorenen Europawahl mit Andrea Nahles umgegangen sind, war inakzeptabel", sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel. In den internen, mehr noch aber in den öffentlichen Erklärungen um die Partei- und Fraktionsvorsitzende habe er "schmerzlich die wichtigsten Grundwerte der Sozialdemokratie vermisst: Respekt und Solidarität", sagte der hessische Landeschef.

Ähnlich argumentierte der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner. Der Umgangsstil innerhalb der SPD in den letzten Tagen und Wochen sei "überhaupt nicht vom sozialdemokratischen Grundwert der Solidarität geprägt" gewesen, kritisierte er. "Wenn wir neues Vertrauen gewinnen und diese gravierende Krise überwinden wollen, muss sich das grundlegend ändern", forderte Stegner. Von einer Partei verlangte er, es dürfe jetzt keine "Schnellschüsse oder Handeln aus der Ich-Perspektive" geben. Auch die Rheinland-Pfälzerin Dreyer sagte, es habe zuletzt "teilweise an Solidarität" gemangelt.

Juso-Chef Kevin Kühnert mahnte ebenfalls mehr Miteinander an: "Wer mit dem Versprechen nach Gerechtigkeit und Solidarität nun einen neuen Aufbruch wagen will, der darf nie, nie, nie wieder so miteinander umgehen, wie wir das in den letzten Wochen getan haben. Ich schäme mich dafür", schrieb er auf Twitter.

Der SPD-Politiker Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, bezeichnete den öffentlichen Umgang mit Nahles als schändlich. "Einige in der SPD sollten sich schämen", sagte er. Nahles habe sich "nach Kräften bemüht", manche Wunde der Vergangenheit endlich zu heilen, sagte Roth. Auch der hessische SPD-Landeschef Schäfer-Gümbel verwies darauf, dass Nahles in ihrer Amtszeit als SPD-Chefin die Partei mit den Sozialstaatsreformen aus der Ära Gerhard Schröder ausgesöhnt habe, indem sie ein neues Sozialstaatsverständnis angestoßen habe.

Nach Ansicht des früheren CDU-Politikers Ruprecht Polenz zeigt der vollständige Rückzug von Andrea Nahles aus der Politik, "dass etwas nicht in Ordnung ist". Auch er warf die Frage nach einem angemessenen Umgang in der Politik auf. "Scharfe Kritik, Wechsel und Neubeginn gehören zur Politik. Die Vernichtung politischer Gegner nicht", schrieb er auf Twitter.

Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow warnte vor einem grundlegenden Wandel in der Parteienlandschaft. „Häme ist wirklich nicht angebracht, aber Sorge“, schrieb er auf Twitter. Was passiere, wenn das Parteiensystem endgültig ins Rutschen komme, könne man in Italien besichtigen.

SPD vor einer "tiefgreifenden Umwälzung"

Der Chef der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, sieht seine Partei nach dem Rücktritt vor einer "tiefgreifenden Umwälzung". Die gesamte verantwortliche Führung sei nun zur Aufarbeitung und Kursneubestimmung aufgerufen, sagte der Vorsitzende des größten SPD-Landesverbandes. Das Land brauche eine selbstbewusste und zukunftsgewandte SPD. "Es wird ein langer Weg." Die zur Parteilinken zählende SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe fordert einen Neuanfang. "Wir brauchen einen klaren Richtungswechsel", sagt die Berliner Abgeordnete der Nachrichtenagentur Reuters. "Die Versager von gestern dürfen nicht die Alternative für morgen sein." Sie sprach Nahles ihren Respekt aus und fügte hinzu: "Sie darf nicht das Bauernopfer sein."

Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland bezeichnete Nahles' Rücktritt als konsequent. "Sie hat es nicht geschafft, die SPD zurück auf den Weg einer Volkspartei zu führen", sagte er. Personalkonsequenzen und Personaldebatten würden jedoch das Problem der SPD nicht lösen, dieses sei "struktureller und inhaltlicher Natur“. Die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag, Alice Weidel, sagte, nicht nur die SPD befinde sich in Auflösung. "Auch die GroKo wandelt nur noch als Untoter über die politische Bühne.“

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