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Politik: Rechnen mit dem Tod

DIE OPFER DES KRIEGES

Von Bernd Ulrich

Was ist mehr wert, ein Leben oder zwei? Darf man ein Leben opfern, um zwei zu retten? Diese Fragen sind zynisch, sie sind Zumutungen. Weil jedes Leben einen absoluten, unverrechenbaren Wert hat. Der Krieg, jeder Krieg stellt diese Fragen. Dafür hassen wir ihn: Er nimmt uns eine Schicht unserer Humanität, er ist eine Sünde der Anmaßung, weil Kriegsherren tun, was nur dem Herrn oder niemandem zusteht – über Leben und Tod zu entscheiden.

Nun herrscht Krieg im Irak, und das große Rechnen beginnt. Wird der Krieg zum Sturz Saddams mehr Opfer fordern, als der Diktator zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft Jahr für Jahr sowieso „braucht"? Wie viele zivile Opfer sind zu rechtfertigen, wenn der Krieg am Ende zu einer zivilen Gesellschaft führte? Man kann diese Fragen nicht objektiv beantworten, subjektiv bestimmen sie das moralische Urteil über den IrakKrieg.

In den Augen vieler in Deutschland gehen alle Opfer dieses Krieges auf das Konto der USA, weil sie ihn ohne akute Not angezettelt haben. Wer es so sieht, der ist moralisch gewissermaßen fein raus mit seinem absoluten Nein. Dabei wollten Frankreich und Deutschland die Inspektionen weiter laufen lassen und die Drohkulisse aufrecht erhalten. Auch sie, auch wir also, wären möglicherweise vom tricksenden Saddam gezwungen worden, genau demselben Krieg zuzustimmen. So aber begehen die Amerikaner dort höchstwahrscheinlich einen Fehler – für den bezahlen sie mit ihrem eigenen Blut und mit irakischem, nicht mit deutschem, nicht mit französischem.

Trotzdem müssen sich die weltregierenden Amerikaner verzweifelte, auch wütende Fragen gefallen lassen. Hat der Hochmut ihrer Diplomatie nicht den unerwartet starken Widerstand, auf den sie nun treffen, mit erzeugt? Die Truppen des irakischen Diktators können das Gefühl haben, fast die ganze Welt stünde hinter ihnen. Das mag zum Teil eine Propagandalüge sein, ein bisschen wahr ist es aber auch. Und das gibt ihnen Kampfesmut, der wiederum immer mehr sinnlose Opfer fordert.

Und findet sich derselbe fahrlässige, zusätzliche Opfer fordernde Hochmut nicht auch in der Art, wie der Krieg militärisch geplant wurde? Im Weißen Haus und im Pentagon hat man offenbar geglaubt, das irakische Volk werde schnell abfallen von seinem Diktator. Dabei haben George W. Bush und Donald Rumsfeld offenbar – und das überrascht besonders – die luzide Grausamkeit von Saddam Hussein übersehen. Dass der in seiner letzten Schlacht alles tun würde, um Aufstände blutig zu unterdrücken, dass er Soldaten in Zivil kämpfen lässt, darf doch die nicht verwundern, die gegen ihn Krieg führen, weil sie ihn für so eminent gefährlich halten.

Die allermeisten unnötigen Opfer ergeben sich allerdings aus der moralischen Asymmetrie dieses Krieges. Während die Amerikaner zivile und eigene Opfer so weit wie möglich vermeiden müssen, hat Saddam nur ein Ziel: Egal ob amerikanisch, irakisch, zivil oder soldatisch – für ihn ist jeder Tote ein Sieg. Denn er untergräbt in den Augen der Weltöffentlichkeit die Legitimität des Krieges und damit die der USA. Darin könnte am Ende die amerikanische Tragödie bestehen: dass Saddam genauso böse ist, wie sie immer gesagt haben.

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