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Politik: Rechte Gewalt: 1996-1997

1996Der 23 Jahre alte Punk Sven Beuter wird am 15. Februar 1996 in Brandenburg/Havel von einem Skinhead so schwer geschlagen und getreten, dass er fünf Tage später stirbt.

1996

Der 23 Jahre alte Punk Sven Beuter wird am 15. Februar 1996 in Brandenburg/Havel von einem Skinhead so schwer geschlagen und getreten, dass er fünf Tage später stirbt. An dem schmächtigen, schon früher von Skinheads überfallenen Opfer lässt der 21-jährige Täter seinen Hass auf "Zecken" ab, wie Linke und Punks von der rechten Szene genannt werden. Der rechtsextreme Hintergrund der Tat wird von Polizeipräsidium und Staatsanwaltschaft Potsdam acht Monate lang verschwiegen. Das Landgericht Potsdam wertet das Verbrechen nicht als Mord, da dem Täter niedere Beweggründe "nicht mit der nötigen Sicherheit" nachgewiesen werden könnten. Der Skinhead erhält siebeneinhalb Jahre Haft wegen Totschlags.

Dieser Fall wird von der Bundesregierung 1999 genannt

Am 15. März 1996 wird der 26-jährige Martin Kemming in Dorsten-Rhade (Nordrhein-Westfalen) von dem Neonazi Thomas Lemke aus Gladbeck erschossen. Kemming gilt Lemke als "Verräter", weil der Aussteiger aus der rechten Szene ihn angezeigt und gegen ihn ausgesagt hat. Einen knappen Monat vorher ersticht Lemke die 23-jährige Patricia Wright aus Bergisch-Gladbach. Sie war ihm wegen eines "Nazis raus"-Aufnähers an ihrer Jacke aufgefallen. Mit den Worten "Linke haben kein Recht zu leben" begründet Lemke die Tat gegenüber einem anderen Neonazi. Gemeinsam mit seiner damaligen Lebensgefährtin hat Lemke sein erstes Opfer im Juli 1995 getötet, die 25-jährige Dagmar Kohlmann. Das Motiv: Der Odin-Jünger wird zu diesem Zeitpunkt bereits mit Haftbefehl gesucht, nun will er einem Verrat durch seine Freundin vorbeugen und zieht sie deshalb in ein Verbrechen hinein. Im März 1997 verurteilt die Schwurgerichtskammer des Essener Landgerichts Lemke wegen dreifachen Mordes zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung.

"Aus Lust und Spaß", so das Landgericht Leipzig in seiner Urteilsbegründung, töten drei junge Männer am 8. Mai 1996 den 43-jährigen Leipziger Bernd G. Die drei der rechten Szene zugerechneten Täter, 27, 24 und 21 Jahre alt, schlagen den Geschäftsmann nach einer Sauftour auf offener Straße in Leipzig-Wahren zusammen und erstechen ihn. Die Leiche versenken sie im Ammelshainer See, wo sie eine Woche später gefunden wird. Nach einem Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof wird der Haupttäter Rainer S. zu vierzehneinhalb Jahren wegen Mordes, die beiden Komplizen zu acht und zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Der 44-jährige Elektriker Werner Weickum wird am 19. Juli 1996 am Bahnhof von Eppingen (Baden-Württemberg) von einer rechtsgerichteten Jugendbande überfallen, ausgeraubt und zu Tode geprügelt. Im Juli 1997 verurteilt das Heilbronner Landgericht zwei 23 Jahre alte Mitglieder der Bande zu lebenslanger Haft. Die übrigen acht Angeklagten im Alter zwischen 16 und 21 Jahren erhalten Jugendstrafen bis zu achteinhalb Jahren wegen Mordes, Beihilfe oder unterlassener Hilfeleistung.

Der 34-jährige Andreas Götz wird am 1. August 1996 in Eisenhüttenstadt von sechs Jugendlichen zu Tode getrampelt. Die Täter im Alter von 17 bis 21 Jahren, darunter zwei Frauen, haben sich wahllos ein Opfer ausgesucht. Unter Schlägen, Tritten und mit einem Sprung auf den Kopf des Vaters einer elfjährigen Tochter erpressen sie 90 Mark und eine EC-Karte mit Geheimnummer. Andreas Götz stirbt an den Folgen der Misshandlungen. Zwei der Täter sind wegen rechtsextremer Propagandadelikte gerichtsbekannt. In zweiter Instanz verurteilt das Landgericht Frankfurt (Oder) den 18-jährigen Haupttäter Rico B. im April 1998 wegen erpresserischen Menschenraubs und räuberischer Erpressung mit Todesfolge zu siebeneinhalb Jahren Jugendhaft. Das Gericht bewertet die Tötung von Andreas Götz als "Spontantat". Strafverschärfend wertet das Gericht bei Rico B. die "gewaltbereite Grundeinstellung". In der Untersuchungshaft hat B. einen Mitgefangenen geschlagen. Die Mittäter erhalten Jugendhaftstrafen zwischen drei und vier Jahren.

Der 30-jährige Asylbewerber Achmed Bachir wird am 23. November 1996 in Leipzig vor einem Gemüsegeschäft erstochen. Er will deutschen Kolleginnen beistehen, die von zwei Skinheads attackiert und als "Türkenschlampen" beschimpft werden. Als der Syrer die Randalierer aus dem Laden drängt, sticht ihm der 20-jährige Daniel Z. mit einem Messer ins Herz. Trotz der von Verkäuferinnen bezeugten rassistischen Drohungen kann die Staatsanwaltschaft "keinen ausländerfeindlichen Hass" erkennen. Im November 1997 verurteilt das Landgericht Leipzig Daniel Z. wegen Mordes und schwerer Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von neuneinhalb Jahren. Sein 19-jähriger Mittäter erhält wegen Beihilfe zum Totschlag eine Jugendstrafe von viereinhalb Jahren.

1997

Der Vietnamese Phan Van Toau wird am 31. Januar 1997 am Bahnhof von Fredersdorf (Brandenburg) von einem Deutschen hochgehoben und mit dem Kopf nach unten auf den Betonboden geworfen. Das 42-jährige Opfer stirbt drei Monate später in einer Rehabilitationsklinik. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) klagt den 30 Jahre alten Täter wegen Mordes an und bescheinigt ihm "Ausländerhass" als Motiv. Im Prozess am Landgericht Frankfurt (Oder) äußert der Schläger auch rassistische Parolen wie "Fidschis raus aus Deutschland". Dennoch ist die Tat nach Ansicht der 5. Strafkammer "nicht von Ausländerfeindlichkeit getragen". Der Angeklagte wird wegen Totschlags zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt, ein Mitangeklagter (37) erhält ein Jahr auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung.

Der 17-jährige Punk Frank Böttcher wird am 8. Februar 1997 in Magdeburg von einem Gleichaltrigen mit Springerstiefeln getreten; als das Opfer am Boden liegt, stößt ihm der Täter mehrmals ein Butterfly-Messer in den Rücken. Böttcher stirbt im Krankenhaus. Das Magdeburger Landgericht verurteilt den 17-jährigen Täter, der zur rechtsextremen Skinhead-Szene in Magdeburg zählt, im Juni 1997 zu sieben Jahren Jugendstrafe wegen Totschlags.

Der 37 Jahre alte Italiener Antonio Melis wird am 13. Februar 1997 in Caputh (Brandenburg) von einem 18-jährigen Deutschen in der Havel ertränkt. Zuvor hat dieser gemeinsam mit einem 25 Jahre alten Kumpan das Opfer durch Schläge und Tritte schwer misshandelt. Polizei, Staatsanwaltschaft und Landgericht Potsdam können kein fremdenfeindliches Motiv erkennen, obwohl mehrere Zeugen den Medien von rassistischen Sprüchen des älteren Täters berichten - die noch zugenommen hätten, als seine Freundin zu einem ausländischen Kollegen von Antonio Melis wechselte. Das Gericht verurteilt den älteren Schläger zu 13 Jahren Haft, der jüngere erhält acht Jahre Jugendstrafe.

Der Berliner Neonazi Kay Diesner erschiesst am 23. Februar 1997 auf dem Autobahn-Parkplatz Roseburg (Schleswig-Holstein) den Polizisten Stefan Grage. Sein Kollege wird von dem Rechtsextremisten schwer verletzt. Diesner befindet sich auf der Flucht, nachdem er vier Tage zuvor in Berlin-Marzahn den Buchhändler Klaus Baltruschat angeschossen hat. Das Landgericht Lübeck verurteilt den Neonazi in zwei Verfahren jedes Mal wegen Mordes zu lebenslanger Haft und bescheinigt ihm eine besondere Schwere der Schuld. Die Strafkammern sagen in ihren Urteilen, in den Taten des Neonazis komme die "niedrigste Stufe menschlicher Gesinnung" beziehungsweise eine "grundsätzlich menschenfeindliche Gesinnung" zum Ausdruck.

Nach einem Polterabend der rechten Szene ersticht ein Neonazi in der Nacht zum 17. April 1997 in Berlin-Treptow die zwei "Kameraden" Chris Danneil (31) und Olaf Schmidke (26). Dem Gewaltexzess geht ein banaler Streit voraus: Der aus Berlin stammende Täter und ein Kumpan können sich mit den beiden Neonazis aus Sachsen-Anhalt nicht einigen, wann die rechtsextreme FAP vom Bundesinnenminister verboten worden ist. Das Landgericht Berlin verurteilt den 33-jährigen Messerstecher zu 14 Jahren Haft, der 27 Jahre alte Mittäter bekommt zweieinhalb Jahre.

Vier junge Männer entführen am 22. April 1997 in Sassnitz (Mecklenburg-Vorpommern) den Arbeitslosen Horst Gens. Der 50 Jahre alte Mann wird geschlagen und in einen Straßengraben geworfen. Die Täter kommen später nochmal vorbei und erschlagen G. mit einem 30 Kilogramm schweren Stein. Der Staatsanwaltschaft Stralsund berichten die 18 bis 29 Jahre alten Täter, sie wollten "Assis klatschen". Das Landgericht Stralsund verurteilt die Schläger wegen Mordes zu Jugendstrafen zwischen sechs und zehn Jahren.

Der arbeitslose Augustin Blotzki wird am 8. Mai 1997 in Königs Wusterhausen (Brandenburg) von einer Clique junger Rechtsextremisten zu Tode geprügelt. Die Täter überfallen den 59-Jährigen zwei Mal innerhalb weniger Stunden in seiner Wohnung. Der Mann wird geprügelt und wegen seines Namens als "Bulgarensau" und "Ausländerschwein" beschimpft. Das Landgericht Potsdam verurteilt drei Täter wegen Mordes zu Haftstrafen zwischen achteinhalb und 14 Jahren. Zwei Jugendliche erhalten vier beziehungsweise sechseinhalb Jahre wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Die Strafkammer bescheinigt den Tätern Hass, Menschenverachtung und eine diffuse Ausländerfeindlichkeit.

Der 39-Jährige Mathias S. wird am 23. September 1997 in Cottbus von dem 19-jährigen Skinhead Reinhold K. erstochen. S. hatte seinen Mörder als "Nazi-Sau" bezeichnet. Vier Tage später tötet der Skin den 46-jährigen Georg V.; das Motiv sind geringfügige Geldschulden. Der Verfassungsschutz nennt K. einen "extrem aggressiven Einzelgänger, der seine rechtsextremistischen Ansichten offen kundtat". Das Landgericht Cottbus sieht keinen rechtsradikalen Hintergrund. K. wird am 24. März 1998 wegen zweifachen Totschlags zu acht Jahren Jugendhaft verurteilt.

Der Rentner Josef Anton Gera stirbt am 17. Oktober 1997 mit 59 Jahren an schweren inneren Verletzungen. Der 26-jährige Skinhead Patrik K. und der 35-jährige Uwe K. haben dem Rentner drei Tage zuvor mit einem Stahlrohr tödliche Verletzungen zugefügt. Vor seinem Tod beschreibt Gera seine Mörder: "Vier Rechtsradikale"" Vor der Tat sind die beiden durch "Sieg Heil-Rufe" aufgefallen. Das Landgericht Bochum verurteilt die Täter im Frühjahr 1998 zu fünf und sechs Jahren Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Einen rechtsextremen Hintergrund schließt der Staatsanwalt mit Verweis auf die schwere Alkoholabhängigkeit der Täter aus.

Diese Chronik wurde zusammengestellt von Karl-Hein

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