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Rechte Tendenzen im Klassenzimmer: „Bei vielen Lehrern herrscht Ratlosigkeit“

Äußerst rechte Positionen tauchen auch bei Schülern auf. Der Thüringer Schulamtsleiter Ralph Leipold erklärt, wie Lehrer damit umgehen.

Herr Leipold, in Thüringen wird Ende des Monats gewählt, in Umfragen steht die AfD bei etwa 25 Prozent. Ist das auch in Schulen und Klassenzimmern zu spüren?
Politik wirkt über die Elternhäuser stark in die Schule hinein. Die Umfragewerte legen nahe, dass jeder vierte Jugendliche aus einem Haushalt mit Affinität zu äußerst rechten Positionen kommt. Oft übernehmen Jugendliche in Haltung und Wahlverhalten das, was sie in der Familie erleben. Das macht sich auch im Unterricht bemerkbar.

Vor welche Herausforderungen stellt das die Lehrer?
Ich erlebe engagierte Kolleginnen und Kollegen, die sagen, dass es sehr schwer ist, damit umzugehen. Sie können diesen Jugendlichen ja nicht einfach sagen: „Was eure Eltern erzählen, ist falsch. Ich sage euch jetzt mal, wie es aussieht.“ Bei vielen Lehrern herrscht Ratlosigkeit. Ein Kollege, mit dem ich sprach, hat sich über Jahre reingekniet bei einer Klasse, und jetzt gibt es dort drei Jugendliche, die finden, unser größtes Problem seien Ausländer, die endlich das Land verlassen müssten.

Lehrer sollen Schülern ihre politische Meinung nicht aufzwingen, sondern sie in die Lage versetzen, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Das besagt der sogenannte Beutelsbacher Konsens. Wie stark können sich Lehrer da überhaupt im Unterricht politisch positionieren?
Natürlich gilt der Beutelsbacher Konsens. Aber wenn von Schülern der substanzielle Kern von Demokratie in Frage gestellt wird, dürfen Lehrer nicht neutral sein. Beamte schwören bei ihrer Vereidigung, das Grundgesetz zu wahren. Dieser Verpflichtung müssen sie gerecht werden. Das passt scheinbar einigen AfD-Vertretern nicht. Die Partei hat den Thüringer Schulen und Schülern einen offenen Brief geschrieben, in dem sie vor angeblicher politischer Indoktrination durch Lehrer warnt. Mit solchen Aktionen sollen Lehrer unter Druck gesetzt werden.

Dürfen Lehrer denn vor der Partei AfD warnen?
Am besten ist, man erklärt Heranwachsenden, was demokratisch ist und was nicht. Dann können sie selbst ihre Schlüsse ziehen.

Das betrifft aber vor allem den Sozialkunde- oder Geschichtsunterricht – und nicht den Mathelehrer.
Nein, das betrifft alle Lehrer. Man kann sich nicht einfach auf sein Schulfach zurückziehen. Dass es bei einigen Lehrern diese Haltung gibt, hat im Osten vielleicht etwas mit der Wende zu tun. Viele Lehrer hier empfanden die friedliche Revolution als einen Befreiungsschlag, weil sie sich jetzt auf ihr Schulfach konzentrieren konnten und sich nicht mehr genötigt fühlten, die Interessen einer politischen Kraft zu vertreten. Aber wenn Schüler heute im Matheunterricht einen rassistischen oder menschenverachtenden Kommentar machen, dann darf das nicht so stehen bleiben. Dann muss darüber gesprochen werden – das ist dann in dem Moment auch wichtiger als die Bruchrechnung.

Wie groß ist der Einfluss der Schule darauf, dass Heranwachsende zu demokratisch denkenden Bürgern werden?
Er kann sehr groß sein. Lehrer fragen oft: „Was sollen wir denn noch alles machen?“ Aber es geht ja auch um den Umgang mit den Schülern. Dazu gehört, dass alte Kommunikationsmuster wie Bloßstellung oder Gängelung – Sprüche wie „Du gehörst eben nicht ans Gymnasium“ – endgültig aus den Klassenzimmern verschwinden. Wenn Schüler Angst vor Versagen oder vor dem Abstieg haben, dann sind das keine guten Voraussetzungen für die Ausbildung einer empathischen Persönlichkeit. Schüler sollten die Erfahrung machen, dass sie auch etwas erreichen können, wenn sie sich dafür einsetzen. Man nennt das Selbstwirksamkeit.

Wird von staatlicher Seite genug dafür getan, dass Lehrer demokratiepädagogisch gut ausgebildet sind?
Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten mit diesem Thema und ich sehe, dass wir noch Luft nach oben haben. Es reicht auch nicht, dass einzelne Lehrer eine Fortbildung machen. Es braucht einen kollektiven Lernprozess für das gesamte Kollegium. Derzeit werden sehr viele junge Lehrer reingeholt und die alten, erfahrenen gehen raus. Gerade bei diesem Generationenwechsel sollten wir über hausinterne Fortbildungen nachdenken. Denn das nötige Wissen bringen junge Lehrer vom Studium her nicht mit.

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