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Verhandlung im Amtsgericht Dresden: Zweiter von links ist Timo S., einer der führenden Köpfe der mutmaßlich rechtsterroristischen "Gruppe Freital"

© Arno Burgi/dpa

Rechter Terror und Bürgerwehr: Das braune Netzwerk von Freital

Widerstand Freital, Bürgerwehr, Frigida - im sächsischen Freital gibt es ein rechtsextremes Netzwerk. Politiker von CDU und AfD spielen dies herunter.

Von Matthias Meisner

"Eine Neonaziszene, wie man sie klischeehaft aus den 1990ern kennt, gibt es in Freital nicht", sagt der Freitaler Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU). Und sein Parteifreund Maximilian Krah, Kreisvorstandsmitglied in Dresden, pflichtet ihm bei. Es gebe diese Neonaziszene auch nicht, unterstützt Krah den Freitaler OB auf Twitter. Der Kreisvorstand fügt in Anspielung auf den Anti-Terror-Einsatz am Dienstag vergangener Woche gegen die "Gruppe Freital" hinzu: "GSG 9 wegen Böllern - überzogen!"

Entsetzt reagierte Henning Homann, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. "Unfassbar, wie zwei Monate nach Clausnitz das Verharmlosen neu beginnt."

Ein sächsischer Christdemokrat hatte sich auf AfD-Niveau begeben, und das nicht zum ersten Mal. Zuvor hatte sich zum Beispiel der thüringische AfD-Politiker Stefan Möller nach der Razzia gegen die mutmaßlichen Rechtsterroristen darüber amüsiert, dass der Rechtsstaat in Freital "aber mal seine Hauerchen gezeigt" habe. "Für die paar Skinheads mit ,Feuerwerkskörpern aus Osteuropa' hätten vermutlich früher auch ein paar Dorfpolizisten gereicht", schrieb der AfD-Landtagsabgeordnete auf Facebook. Es sei nun nur die Frage, wann man die GSG 9 gegen kriminelle ausländische Gewalttäter oder linksextreme Fanatiker in die Spur schicke.

Auch Norbert Mayer, AfD-Fraktionschef im Stadtrat von Freital, hatte nach dem Schlag der Bundesanwaltschaft am rechten Terror in seiner Stadt gezweifelt. "Passt bloß auf, dass bei Euch niemand Polenböller kauft, sonst kommt die GSG 9 auch zu Euch!", ermahnte er seine Anhänger. Straftaten müssten aufgeklärt werden, keine Frage, doch würden die Taten in Freital "hochgespielt, als würde hier eine neue ,rechte' RAF entstehen". Mayer weiter: "Dass in Freital eine große Mehrheit des Stadtrats und die Bürgermeister sich seit langem um Frieden in der Stadt und reales ,Miteinander reden' bemühen, wird ignoriert. Vermutlich, weil wir Frieden mit dem eigenen Volk und nicht gegen dieses anstreben."

Der "Gruppe Freital" werden Anschläge auf zwei Flüchtlingsunterkünfte in Freital und ein alternatives Wohnprojekt in Dresden vorgeworfen.

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Oberbürgermeister Rumberg sieht sich in seiner Einschätzung über Neonazis in der Stadt vom Staatsschutz bestätigt, wie er auf Tagesspiegel-Anfrage mitteilte. "Viel mehr wird davon ausgegangen, dass es sich um eine kleine Anzahl von Anhängern der neuartigen Szene subkultureller Nazis handelt", erklärte er. In der Stadt Freital sei kein Platz für Menschenfeindlichkeit, Extremismus, gewaltbereite Demonstranten und aggressive Auseinandersetzungen, "auch des Nachts ist es in Freital friedlich". Die ganz überwiegende Mehrheit in Freital "sind friedliebende, fleißige Bürger, die hier gern leben, hier gern arbeiten", versichert Rumberg. "Es macht uns sehr betroffen, dass eine Minderheit das Ansehen unserer Stadt in so hohem Maße nachhaltig beschädigt hat."

Verfassungsschutz: Neue strukturelle Vernetzungen in der Szene

Doch ist das mit der "nennenswerten Neonaziszene" wirklich nur ein "leider überregional bei manchen eingebürgertes Klischee", wie die Stadtverwaltung noch im März behauptet hatte? Der in dieser Woche vorgestellte sächsische Verfassungsschutzbericht spricht eine andere Sprache. In einem ausführlichen Kapitel zum Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, zu dem auch Freital und Heidenau gehören, wird die Vernetzung beschrieben - und die geht weit über die mutmaßlich rechtsterroristische "Gruppe Freital" hinaus. Mit mehr als 40 rechtsextremistischen Veranstaltungen im vergangenen Jahr mit fast 7000 Teilnehmern liegt der Landkreis nach Bautzen auf Rang zwei in Sachsen.

Von "massiven Anti-Asyl-Protesten" in Freital Ende Juni seit der Nutzung des ehemaligen Leonardo-Hotels als Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber ist im Bericht die Rede, "an denen sich auch Freie Kräfte aus der Region beteiligten". Erwähnt wird der Auftritt der Neonazi-Band "A3stus" mit rechtsextremistischem Liedgut. Infolge der Ereignisse hätten sich in Freital Nationalsozialisten als sogenannte "Vertreter der drei patriotischen Bewegungen" Bürgerwehr, Frigida und Widerstand Freital unter dem Motto "Gemeinsam für Freital, gemeinsam für Deutschland" verbündet, um einander zu unterstützen.

Polizei sichert im Juni 2015 das ehemalige Leonardo-Hotel in Freital, das damals zur Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge wurde.
Polizei sichert im Juni 2015 das ehemalige Leonardo-Hotel in Freital, das damals zur Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge wurde.

© Oliver Killig/dpa

Aus einer Erklärung auf der Facebook-Seite Widerstand Freital vom September zitiert der Verfassungsschutz: "Wir freuen uns sehr, dass wir Leute dazu bewegt haben, sich dem Widerstand anzuschließen. (...) Wir alle gemeinsam zeigen, dass der Kampf gegen Antideutsche und Parasiten immer weitergeführt wird." Und auch für Gewaltaufrufe im Netz hat der Geheimdienst Beispiele aus Freital. "Kann nicht jemand auf den Tank vom Bus schießen?", hieß es demnach im Juni auf der Facebook-Seite "Freital wehrt sich - Nein zum Hotelheim" im Zusammenhang mit der Ankunft von Flüchtlingen im Leonardo-Hotel.

Die Schlussfolgerung des Verfassungsschutzes: Am Beispiel Freital "wird deutlich, wie gemeinsame Anti-Asyl-Aktionen von Rechtsextremisten zu neuen strukturellen Vernetzungen in der Szene führen können".

Bewährungsstrafen nach Baseballschläger-Attacke

Die Vernetzung wird auch deutlich an der Baseballschläger-Attacke gegen die Teilnehmer einer Willkommensdemo Ende Juni in Freital. Sie waren auf dem Heimweg nach Dresden von Mitgliedern der Bürgerwehr FTL/360 überfallen worden. Das Trio hatte die fünf Flüchtlingsunterstützer, unter ihnen der Sohn des sächsischen SPD-Chefs Martin Dulig, mit Autos gejagt. An einer Tankstelle blockierten sie den Wagen der Opfer mit zwei Autos.

Am Dienstag verurteilte das Amtsgericht Dresden die drei Täter zu Bewährungsstrafen zwischen zehn und vierzehn Monaten. Es sah es als erwiesen an, dass einer von ihnen mit einem Baseballschläger mehrfach auf die Scheiben des Autos eingeschlagen hatte, wobei der Dulig-Sohn durch Glassplitter an Händen und Gesicht verletzt wurde. Zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung wurde der 27-jährige Timo S. verurteilt - es ist der Busfahrer, der von der Bundesanwaltschaft beschuldigt wird, einer der beiden Rädelsführer der "Gruppe Freital" zu sein.

CDU-MdB Wanderwitz: Wir dürfen nicht relativieren

Derweil wird in der Sachsen-CDU weiterhin lebhaft diskutiert, wie mit dem Rechtsextremismus in Sachsen umzugehen ist. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich hatte nach der Bus-Blockade in Clausnitz und dem Anschlag auf auf eine noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft in Bautzen im Februar im Landtag erklärt: "Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus. Es ist größer, als viele - ich sage ehrlich: auch ich - wahrhaben wollten."

Der sächsische CDU-Fraktionschef Frank Kupfer schrieb nach der Razzia in Freital auf der Tagesspiegel-Debattenseite Causa, eine Zunahme von fremdenfeindlicher Gewalt sei in ganz Deutschland zu beobachten. "Doch nur, wenn in Sachsen ein Haus brennt, lohnt es sich offenbar, eine Schlagzeile daraus zu basteln. Ich bin ein Sachse und ich bin stolz auf mein Land und darauf, was wir hier gemeinsam in den letzten 26 Jahren aufgebaut haben. Und das lasse ich mir von niemandem schlecht reden." Sachsen habe ein Problem mit Rechtsextremismus, "aber dieses wird auch gern instrumentalisiert".

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Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz twitterte anschließend: "Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus, aber"-Sätze kann ich nicht mehr hören - müssen das lösen und dürfen nicht relativieren!" Wanderwitz versicherte, "Quell seiner Verärgerung" sei allerdings nicht Kupfer gewesen, mit dem er sich erst am Wochenende gut unterhalten habe. Wer dann? "Da gibt es leider viele in den letzten Monaten."

Zum Dresdner CDU-Kreisvorstandsmitglied Maximilian Krah ging die Stadtpartei auf Distanz. Christian Hartmann, Vorsitzender des CDU-Kreisvorstandes, sagte dem Tagesspiegel: ""Es handelt sich um eine Einzelmeinung, die nicht die des CDU-Kreisverbandes Dresden widerspiegelt." Hartmann verwies auf eine Erklärung, die er als innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion zu Freital abgegeben hatte: "Wer in Sachsen Asylheime anzündet, muss damit rechnen, von der Polizei geweckt zu werden!"

Die Frage "Warum Sachsen?" wird aktuell im Tagesspiegel-Debattenportal Causa debattiert. Zu den Diskussionsbeiträgen geht es hier.

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