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Politik: Rechtschreibung soll schon wieder geändert werden Experten schlagen Regelungen vor,

die den Kritikern der Reform entgegenkommen

Berlin - Die Regeln für die deutsche Rechtschreibung sollen offenbar noch einmal stark überarbeitet werden, bevor sie am 1. August für Schulen und Behörden verbindlich in Kraft treten. Der Rat für deutsche Rechtschreibung berät an diesem Freitag in München über einen Vorschlag seiner Arbeitsgruppe zur Getrennt- und Zusammenschreibung. Nach der Beschlussvorlage, die dem Tagesspiegel vorliegt, schlagen die Sprachexperten neue Regelungen vor, die den Kritikern der Rechtschreibreform weit entgegenkommen. So könnten Wortgruppen mit Verben, die nach der derzeit gültigen amtlichen Regelung getrennt sind, doch wieder zusammengeschrieben werden. Zwei Beispiele: auseinandersetzen und kennenlernen. Damit wären die nach der aktuellen Auflage des Dudens verbindlichen Schreibweisen auseinander setzen und kennen lernen aufgehoben. Nach dem Vorschlag der Arbeitsgruppe sollen auch Eis laufen und Leid tun ausschließlich klein und zusammengeschrieben werden.

Der Erlanger Sprachwissenschaftler Theodor Ickler schreibt nach Tagesspiegel-Informationen in einer Stellungnahme zum Vorschlag der Arbeitsgruppe, bei der Getrennt- und Zusammenschreibung werde die „sogenannte Rechtschreibreform nahezu vollständig zurückgenommen“. Das Papier der Arbeitsgruppe stelle einen „radikalen Neuansatz“ dar. Ickler gehört als Vertreter des reformfeindlichen Schriftstellerverbandes PEN dem Rat für Rechtschreibung an. Sollten diese neuen Regeln ab 1. August amtlich werden, hätte das weit reichende Folgen: Schulbücher müssten umgeschrieben werden, Schüler, Journalisten und andere, die bislang der Rechtschreibreform gefolgt sind, müssten wieder umlernen. Und Rechtschreibprüfungen im Computer müssten neu programmiert werden.

Die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Eva-Maria Stange, reagierte alarmiert auf die Vorschläge: „Wenn es zu so umfassenden Änderungen kommt, dass Schulbücher und der Duden umgeschrieben werden müssen, ist das eine absolute Verschleuderung von Ressourcen.“ Kleine Korrekturen am Regelwerk wären akzeptabel, aber eine erneute Reform der gerade an den Schulen durchgesetzten Rechtschreibreform lehne die GEW ab, sagte Stange. Die Lehrer hätten mit der mangelnden Lesefähigkeit ihrer Schüler und den Defiziten der Migranten andere Probleme.

Die Schulbuchverlage hoffen, dass sich der Rat für deutsche Rechtschreibung noch auf moderatere Änderungen einigt. Er gehe davon aus, dass es reiche, die neuen Regelungen in den Neuauflagen zu berücksichtigen, sagte der Geschäftsführer des Verbandes der Schulbuchverlage VDS-Bildungsmedien, Andreas Baer. Wegen der Lehrplanreformen müssten ohnehin etliche der rund 30000 deutschen Schulbuchtitel bearbeitet werden. Die Duden-Redaktion wollte sich nicht zu den möglichen Änderungen der Rechtschreibregeln äußern.

Der Rostocker Linguist Dieter Nerius, der Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung war, fürchtet, dass die Reform konterkariert werden könnte. Bei der Getrenntschreibung habe man an die Stelle semantischer Kritieren formale gesetzt. Jetzt scheine man zu Ad-hoc-Entscheidungen zurückkehren zu wollen.

Das letzte Wort hat die Kultusministerkonferenz. Sie hatte zuletzt eine „faire Prüfung“ der Vorschläge des Rats zugesagt. Das bedeute nicht, dass alle Anregungen eins zu eins übernommen würden. Außerdem sieht das zwischenstaatliche Abkommen über die deutsche Rechtschreibung vor, dass die Schreibweisen auch von Österreich und der Schweiz akzeptiert werden müssen.

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