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Aufmärsche, Drohungen, Gewalt - Experten warnen vor immer größeren Gefahren, die von Rechtsextremisten ausgehen.

© Jan Woitas/pa/dpa

Rechtsextremer Terror: Alarmzeichen für die Demokratie

Politiker und Experten warnen: Rechte Gewalt hat in Deutschland eine neue Qualität erreicht. Was macht die Extremisten so bedrohlich? Fragen und Antworten.

Von Frank Jansen

Der Mord an Walter Lübcke, mutmaßlich von einem Rechtsextremisten verübt, ist das erste tödliche Attentat auf einen Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach von einem „Alarmzeichen“ und warnte vor der Gefahr, der die Demokratie durch rechten Terror ausgesetzt ist. Dass weitere Anschläge bevorstehen können, belegen zudem die aktuellen Morddrohungen gegen zwei Politiker, die rassistische Attentate überlebten, Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Andreas Hollstein, Bürgermeister der westfälischen Stadt Altena.

Wie groß ist das Potenzial gewaltbereiter rechter Extremisten?

Der Verfassungsschutz registriert mit wachsender Sorge, dass im rechtsextremen Spektrum die Gewaltbereitschaft dominiert und sich weiter verfestigt. Mehr als die Hälfte der 24.100 Neonazis und sonstigen rechten Extremisten in Deutschland, insgesamt 12.700, werden vom Nachrichtendienst als „gewaltorientiert“ eingestuft. Das sind Täter, die mit Prügeleien, Messerattacken, Brandstiftung, Totschlag oder auch Mord aufgefallen sind, das sind Mitglieder von Kampfsportbünden und Terrorgruppen sowie die vielen Rechten, die im Internet, auf der Straße, bei Rechtsrockkonzerten ihren Gewaltfantasien freien Lauf lassen.

Zu den gewaltorientierten Rechten, die der Verfassungsschutz kennt, kommen jedoch auch Leute hinzu, die nie als Extremisten aufgefallen sind, aber plötzlich eine Flüchtlingsunterkunft angreifen. Dieser Trend nahm vor allem während der sogenannten Flüchtlingskrise im Herbst 2015 zu.

Wie sind sie vernetzt, welche Strukturen sind erkennbar?

Viele rechte Gewalttäter handeln wortwörtlich auf eigene Faust. Der Rassist Frank S., der im Oktober 2015 in Köln Henriette Reker in den Hals stach und vier weitere Personen verletzte, zählte zum Typus „einsamer Wolf“. Frank S. wollte Reker töten, weil sie sich in Köln als Beigeordnete für Soziales um Flüchtlinge kümmerte. Erkenntnisse über Hintermänner der Tat gibt es nicht.

Nur ein Teil der gewaltbereiten Rechtsextremisten ist organisiert. Das sind beispielsweise Mitglieder der Kleinpartei „Die Rechte“, die aus der Konkursmasse verbotener „Kameradschaften“ hervorging. Die Neonazis terrorisieren vor allem in Dortmund linke Gegner. Im Mai 2014 stürmten Mitglieder der Partei eine Wahlparty im Rathaus. Mehrere Personen wurden verletzt.

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Die NPD hingegen ist vielen gewaltorientierten Rechten zu lasch, die neonazistische Kleinpartei „Der III. Weg“ zu elitär. Angesichts vieler Vereinsverbote versuchen Rechtsextremisten, sich in losen Strukturen als „Freie Kräfte“ zu vernetzen. Zahllose informelle Verbindungen gibt es zudem im Internet in Foren und Chats. Kontakte geknüpft werden auch bei Demonstrationen, Kampfsportveranstaltungen und Rechtsrockkonzerten. Im Juli 2017 kamen 6000 Rechte ins thüringische Themar, um auf einem größeren Privatgrundstück ihre Kultbands wie „Stahlgewitter“ zu feiern.

Trotz der teilweise diffusen Vernetzung kann die Szene allerdings schnell viele „Kameraden“ für Aufläufe mobilisieren. Bei den Demonstrationen und Ausschreitungen im Spätsommer 2018 in Chemnitz gelang es über Messengerdienste, Facebook und weitere soziale Netzwerke, in kurzer Zeit bundesweit Rechtsextremisten in die Stadt zu holen.

Haben sie übergeordnete Ziele?

Rechtsextremisten und viele Rechtspopulisten sind sich einig, Deutschland sei vom „Volkstod“ bedroht. Das ist eine zentrale Vokabel für Neonazis, Identitäre, Pegida-Anhänger und radikale Mitglieder der AfD. Die Rechten behaupten, die etablierten Politiker, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel, wollten die Republik mit Migranten fluten. Als Merkel im September 2015 die Grenze für Flüchtlinge offen ließ, wurde sie für Rechte jeder Couleur zur Hassfigur. Neonazis, Hooligans und Rechtspopulisten demonstrierten gemeinsam bei den in Serie stattfindenden Aufläufen mit dem Motto „Merkel muss weg!“

Der Hass gilt auch der „Lügenpresse“. Das rechte Spektrum, von Neonazis bis weit hinein in die AfD, hält bürgerliche und auch linke Journalisten für Lohnschreiber des bösen „Systems“.

Wie weit sind rechte Gesinnungen in staatliche Strukturen gesickert?

Im Unterschied zur Weimarer Republik ist eine weitreichende rechte Indoktrination von Polizei und Militär heute nicht zu erkennen. Doch es gibt Einzelfälle, die beunruhigen. Bei der Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz gingen seit August 2018 Faxe ein, in denen sie und ihre Familie bedroht werden. Der Absender nennt sich „NSU 2.0“. Basay-Yildiz vertritt im NSU-Verfahren Angehörige eines Mordopfers. Für die Drohungen sind möglicherweise Polizisten aus Frankfurt am Main verantwortlich. Bei den Ermittlungen stießen Beamte auf Kollegen, die in einer Whatsapp-Gruppe rassistische Parolen, Hitler-Bilder und Hakenkreuze austauschten. Außerdem hatte eine Frankfurter Polizistin ohne dienstlichen Anlass im Melderegister Einträge zu Basay-Yildiz abgefragt.

Vergangene Woche nahm die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern drei ehemalige und einen aktiven Beamten des Spezialeinsatzkommandos fest. Die Elite-Polizisten sollen Munition abgezweigt haben, die womöglich für rechte, terrorverdächtige Prepper gedacht war.

Ein spektakulärer Fall bei der Bundeswehr ist der des Oberleutnants Franco A. Er soll einen Anschlag auf prominente Politiker geplant haben, darunter den heutigen Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Der Offizier hatte sich zudem als syrischer Flüchtling registrieren lassen, um vermutlich bei einem Anschlag den Verdacht auf Asylbewerber zu lenken.

In Medien wird zudem nach der Rolle des früheren Verfassungsschützers Andreas T. gefragt. Er ist im Regierungspräsidium von Kassel tätig, das der ermordete Walter Lübcke leitete. Als der NSU im April 2006 in Kassel den türkischstämmigen Halit Yozgat in dessen Internetcafé erschoss, saß T. im hinteren Raum. Er behauptet bis heute, vom Mord nichts mitbekommen zu haben. Das gilt als wenig glaubhaft. Belege, dass T. an der Tat beteiligt war, gibt es allerdings nicht. Genauso wenig wie Hinweise auf eine Verstrickung in den Mord an Lübcke.

Wie hat sich die rechte Gefahr seit den 1990er Jahren verändert?

Das Internet macht den Unterschied. In den Jahren nach der Wiedervereinigung organisierten sich Rechtsextremisten per Telefon, Fax, Brief oder bei Aufmärschen und anderen Treffen. Heute geht alles schnell über Facebook, WhatsApp und weitere Netzwerke. Außerdem ist die Reichweite von Hetze und Drohungen viel größer. Hinzu kommt, dass Ressentiments und Verschwörungstheorien über Pegida und die AfD in das Bürgertum eingedrungen sind. Rechtsextremismus ist anschlussfähig geworden. Das zeigen schon die Wahlergebnisse für die AfD, auch im Westen. Die Partei hat eine Zustimmung erreicht, die weit über das hinausgeht, was für die NPD selbst in ihren besten Zeiten jemals möglich war.

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