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Rechtsextremismus: Neonazis in Hoyerswerda: Bloß keine Umstände

Plötzlich steht eine Gruppe Neonazis vor der Wohnungstür. Schlägt dagegen, brüllt. Bedroht wird ein Paar in Hoyerswerda, das rechtsradikale Aufkleber von Laternen gekratzt hat. Und der Staat zeigt sich überfordert. Kein Einzelfall in einer Stadt, in der 30 Radikale den Ton angeben dürfen.

Wie lange sie schon namenlos sind, können sie nicht genau sagen. Irgendwann in der Schulzeit muss das angefangen haben. Jetzt sind sie Mitte 20. Zwei junge Männer, ein langer, ein kurzer, jeder von ihnen trägt eine Kopfbedeckung, und mehr ist an Personalangaben nicht zu vermelden über sie, bitte.

Keine Namen also, und nein, bitte, ernsthaft jetzt. Zwei Männer, keine Namen.

Dafür hat die Stadt, in der sie aufgewachsen sind, der sie den Rücken gekehrt haben und über die es wieder einmal etwas zu erzählen gibt, gleich zwei. Die Stadt heißt Hoyerswerda und Wojerecy, beides steht auf den Ortseingangsschildern. Sie ist gelegen zwischen Cottbus und Dresden, existiert vermutlich seit 900 Jahren und ist nach der deutschen Wiedervereinigung bekannt geworden durch einen beispiellosen Bevölkerungsschwund. 1989 lebten 68 000 Menschen hier, mittlerweile sind es 30 000 weniger.

Noch berühmter indes hat sie ein Ereignis aus dem Jahr 1991 gemacht. Hoyerswerda war der Schauplatz eines tagelangen Großangriffs auf ein Wohnheim für Flüchtlinge und aus dem Ausland stammende, einstige DDR-Vertragsarbeiter. Der Angriff war erfolgreich. Er verbreitete Todesangst. Die Ausländer wurden aus der Stadt gebracht.

Die zwei namenlosen jungen Männer finden, beides, der Angriff von 1991 und der bis heute unentwegt stattfindende Wegzug eines jeden, der dazu in der Lage ist, habe miteinander zu tun. Sie sind selbst auch weggegangen und dies, so sagen sie, vor allem aus Gründen des Stadtklimas. Sie sind Linke und in Hoyerswerda genauso wenig erwünscht wie es die Ausländer vor 21 Jahren waren, und man habe es ihnen auf ähnliche Art und Weise klar gemacht.

Deshalb die Bitte: keine Namen. Die Eltern leben ja noch in Hoyerswerda. Die jungen Männer sagen, sie wollen nicht, dass die auch noch dran sind.

Jüngstes Beispiel dafür, was jemand tun muss, um in der Stadt nicht mehr leben zu können: Nazi-Aufkleber von Laternenmasten kratzen. Nazi-Plakate von Wänden reißen. Das hatten ein Mann und eine Frau, beide 33 Jahre alt, gewagt zu tun. Am Abend des 17. Oktober stürmten 17 oder 18 Neonazis in ein Treppenhaus in der Robert-Schumann-Straße, um sich für derlei Aufräumarbeiten zu rächen. Sie traten und schlugen gegen die Wohnungstür des Paares. Sie brüllten. Zwei Stunden lang. Kurz nach neun rief das Paar die Polizei.

Ein Streifenwagen kam, dessen Besatzung angesichts der Übermacht Verstärkung rief. Schließlich verschwanden die Nazis in Richtung einer Tankstelle, wo die Polizei die Personalien von elf Personen aufnahm.

Einen Monat später wird die Sache öffentlich. Der Mitteldeutsche Rundfunk sendet einen Fernsehbeitrag, in dem der Vorwurf erhoben wird, die Polizei habe dem Paar geraten, die Stadt zu verlassen und sie dann auch tatsächlich herausgefahren. Man könne die beiden nicht schützen. Belegt wird der Vorwurf mit der Aussage eines Polizei-Pressesprechers. „Es ist einfacher, zwei Personen von einem Ort zu einem anderen sicheren Ort zu verbringen, als 30 Personen zu bewachen oder permanent fünf Funkstreifen vor ein Haus zu stellen.“

Sollte das zutreffen – was ist das hier in Hoyerswerda? Das ist Staatsversagen. Ein Staat ist nicht in der Lage, seine Bürger vor Gewalt zu schützen. Er verliert damit einen der gewichtigsten Gründe für seine Existenz.

Die beiden namenlosen jungen Männer sagen, sie wundere das nicht. Sie können minutenlang ähnliche Erlebnisse aufzählen. Schulfest, ein paar Jahre her, vor den Augen aller Feiernden treffen fünf Neonazis ein, brechen einem der Schüler die Nase, Polizei angerufen, erste Reaktion am Telefon: Na gehen Sie doch einfach weg. Zweiter Anruf, ein Streifenwagen kommt, hält und leuchtet den Schulhof mit seinen Scheinwerfern aus. Dann entfernt er sich wieder.

Die beiden erzählen haufenweise Geschichten von einer unwillig scheinenden Polizei, von gerufenen, aber nicht eintreffenden Beamten, von Wegsehen und Weghören und hochfahrenden Streifenwagen-Seitenfenstern. Sie erzählen vom immer wieder gehörten Rat an Bedrohte, doch besser wegzugehen. Nachprüfen lässt sich all dies nicht, denn entweder ist es schon zu lange her oder es war zu klein, zu alltäglich, um in Protokollen festgehalten zu werden.

„Da fehlt einfach krass Empathie“, sagt einer der beiden. „Und zwar in der Stadt überhaupt.“

Nun ist es im Fall des Paares aus der Robert-Schumann-Straße so, dass die Polizei eine Streifenwagenbesatzung bis zum nächsten Morgen das Haus bewachen ließ. Und der Wunsch, die Stadt zu verlassen, sei von den beiden ausgegangen. Es sei kein Ratschlag der Polizei gewesen, sagt die Polizei.

Die beiden haben bis heute Angst vor weiteren Angriffen, sie sind aus genau demselben Grund auch nicht zu sprechen. Sie halten sich versteckt, sie sind an einem sicheren Ort. Damit das auch so bleibt, lassen sie jemanden, der mit ihnen in Kontakt steht, mit der Bitte um Verständnis ausrichten, dass sie zum Abend des 17. Oktober erst einmal nichts mehr sagen möchten. Sie möchten, dass Ruhe einkehrt und keine Spuren legen zu ihrem Aufenthaltsort und zu den Leuten, die sie dort schützen. Außerdem müssen sie ihren Umzug in eine andere Stadt organisieren.

So bleibt es also fürs Erste dabei, Aussage steht gegen Aussage. Die Polizei hat entweder den Opfern zum Weggehen geraten, oder sie hat eben nicht dazu geraten, sondern die Opfer wünschten dies selbst. Doch auch, wenn die zweite Version stimmt, macht das irgendetwas besser?

Was sich in Hoyerswerda im Oktober ereignet hat, ist Schritt zwei auf dem Weg zur Schaffung eines kleinen Naziparadieses. „National befreite Zonen“ schaffen, wortwörtlich genommen also ausländerfreie Zonen, diese Arbeit ist vielerorts vollbracht. Viele Einwanderer sind weg, aus Hoyerswerda wurden sie 1991 mit Bussen befördert. Seit einiger Zeit sind offenkundig diejenigen dran, die irgendwie links sind wie die beiden namenlosen jungen Männer. Und nun also Leute, die Naziwerbung von Straßenlaternen kratzen. Wer kommt danach? Deren Freunde? Dann Krummgewachsene, dann Brillenträger und Sozialdemokraten? Irgendwann bleiben dann nur noch die übrig, die auf Kommando „Sieg heil“ sagen können.

Hoyerswerda würde dann aus schätzungsweise 30 Leuten bestehen. 30 Leute ungefähr, bestätigen die, die sich damit auskennen, das sei die Zahl der offen neonazistisch auftretenden Stadtbewohner. Das sei vergleichsweise wenig. Auch wenn der Verfassungsschutz davon ausgeht, dass diese 30 in kurzer Zeit hunderte andere aus der Umgebung für Aufmärsche mobilisieren könnten, ist Hoyerswerda damit noch längst keine der sächsischen Nazi-Hochburgen.

Aber diese 30 haben eben mittlerweile die Stadt im Griff. Das zu Hause aufgesuchte Paar wird nicht zurückgehen nach Hoyerswerda, die beiden namenlosen jungen Männer auch nicht. Gelegentlich besuchen sie aber ihre Eltern hier. „Ich versuche das dann immer so kurz wie möglich zu halten“, sagt einer der beiden.

„Die Nazis testen aus, wie weit sie gehen können, seit Jahren. Und weil sie keiner aufhält, gehen sie dann eben immer weiter.“ Die beiden waren dabei, als es im vergangenen Jahr eine Gedenkdemonstration zum 20. Jahrestag des Sturms auf die Ausländerheime zu organisieren galt. „Pogrom 91“ heißt die Initiative, der sie angehören, sie umfasst ungefähr ein Dutzend Ex-Hoyerswerdaer, die mittlerweile in Dresden, Leipzig und Berlin ansässig sind. Sie betreiben eine Webseite, auf der sie rechte Anschläge und rechtes Danebenbenehmen in Hoyerswerda dokumentieren und die Gründe für ihre Unzufriedenheit mit den Reaktionen der Stadtoffiziellen darlegen.

Das Hoyerswerdaer Muster - das Terrain den Nazis überlassen

Damals, nach der Demonstration zum Jahrestag, schwiegen die beiden und ihre Mitstreiter bei einer anschließenden Gedenkminute, während die Polizei etwa drei Dutzend Neonazis in Sichtweite gewähren ließ. „Die durften sich austoben.“ In diesem Jahr, beim selben Anlass, passierte das gleiche. Diesmal allerdings sangen die Neonazis dabei eines ihrer Lieder, für das man andernorts ohne Weiteres eine Volksverhetzungs-Anzeige bekommen kann. Nicht aber hier, man ließ sie gewähren.

„Mich wundert das alles überhaupt nicht“, sagt auch Caren Lay, eine Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, zu deren Wahlkreis Hoyerswerda gehört. Sie hat vor ein paar Jahren, als sie noch sächsische Landtagsabgeordnete war und das hiesige Wahlkreisbüro übernahm, gleich an ihrem ersten Arbeitstag, eine ähnliche Szenerie erlebt. Lays Büro in Hoyerswerda wird seither ständig angegriffen, manchmal gibt es im Wochentakt kaputte Scheiben, beschmierte Scheiben, Hakenkreuze, Wurfgeschosse, Versuche, das Büro zu stürmen.

Caren Lay sagt auch, dass Hoyerswerda damit kein Einzelfall ist, dass die Stadt nicht herausrage. Aus Bautzen – da hat Caren Lay auch ein Büro –, aus Bautzen kennt sie das schon länger. Aber auch sie kann eben minutenlang aufzählen, was ihr und ihren Mitarbeitern so passiert ist in den letzten Jahren. Und dann, es ist erst ein paar Monate her: „Es gab abends eine Veranstaltung in meinem Büro, draußen standen 20 Nazis, die drohten. Als die Polizei gerufen wurde, riet die, die Veranstaltung solle doch besser beendet werden.“

Das Hoyerswerdaer Muster, wenn man so will. „Es gibt aber noch eins“, sagt Lay. „Ich werde immer wieder gebeten, nicht jeden Anschlag an die große Glocke zu hängen.“ Lay hält sich nicht daran, sie erntet zumindest Skepsis dafür, „Nestbeschmutzerproblematik“, sagt sie.

„Wir gelten als Nestbeschmutzer“, sagen auch die beiden jungen Männer. Es gebe eine Mauermentalität in Hoyerswerda, viele fühlen sich von allem, was von außen kommt und kritisch ist, angegriffen.

Letztes Jahr zum Beispiel, vorm Jahrestag. Drei der 1991 Vertriebenen kamen noch einmal zurück in die Stadt, in Begleitung eines Fernsehteams des WDR. Der Bürgermeister sprach den dreien seine Bitte um Entschuldigung aus und versicherte ihnen, dass sie sich heutzutage ohne Angst in der Stadt bewegen könnten. Sie gingen dann noch einmal zum einstigen Vertragsarbeiterheim. Und dort passierte was? Sie wurden beschimpft, angeschrieen, bedroht.

Ein paar Tage später stand in der Lokalzeitung folgender Kommentar: „Liebe Hoyerswerdaer, Ihr müsst damit rechnen, dass dieser Tage Journalisten überregionaler Medien in die Stadt kommen, um nach der Gewalt vom Herbst 1991 zu fragen. Am Sonnabend war schon ein Kamerateam samt dreier ehemaliger Asylbewerber da.“ Auf diese Warnung folgt ein Ratschlag: „Augenzeugen berichten von Pöbeleien. Das Kamerateam rief jedenfalls die Polizei. ... Alles vielleicht nicht dramatisch, aber unschön. Denn die Kollegen werden berichten, was sie erlebt haben – aus ihrer Sicht. Also, bitte: Selbst, wenn es mal schwer fallen sollte: Seid nett zu ihnen! Es fällt sonst todsicher auf die Stadt zurück. Man kennt das ja… .“

Man kennt es. Drei Afrikaner schauen ein Haus an. Ihnen gegenüber stehen etwa zehn, fünfzehn Leute, die zu schreien anfangen, versuchen, handgreiflich zu werden. Das Harmloseste ist folgender gebrüllter Satz: „Meine Scheiße ist so braun wie du!“ Das Ganze lief im Fernsehen.

Es war tatsächlich unschön. Vor allem aber traurig.

Es ist nicht zu sagen, wie viele jener Hoyerswerdaer, die keine Nazis sind, sich beim Lesen des „Seid-nett“-Aufrufs nun auch noch von Presse verlassen gefühlt haben. Sie wollen da schlicht leben und entgegen der Annahme des Kommentarschreibers keine Stadtsprachrohre sein. Es sind Menschen, die gern oder ungern in Hoyerswerda zuhause sind. Die sich den Nazis entweder entgegenstellen oder sie zu ignorieren versuchen. Die ein halbwegs gutes und rechtschaffenes Leben dort führen wollen, ohne Hetze, ohne Gewalt.

Genauso wenig ist zu sagen, wann es damit los ging, dass auf die Beschreibungen Hoyerswerdaer Zustände vor allem mit Abschottung und Beleidigtsein reagiert wurde.

1963 aber, das ist festzustellen kann es noch nicht so weit gewesen sein. Da schrieb die damals in Hoyerswerda ansässige Schriftstellerin Brigitte Reimann an den Großarchitekten Hermann Henselmann: „Lieber Herr Professor Henselmann, ... Mir bereitet es physisches Unbehagen, wenn ich durch die Stadt gehe.“

Genauso liest sich dann auch Reimanns in Hoyerswerda spielender Roman „Franziska Linkerhand“. Dennoch ist Reimann bis heute eine Stadtheilige. Die Bibliothek trägt ihren Namen, es gibt Veranstaltungen in ihrem Namen, die offizielle Webseite der Stadt erwähnt sie prominent.

Es war auch 1988 noch nicht so weit. Gerhard Gundermann, Liedermacher und mindestens genauso unantastbar in Hoyerswerda wie Reimann, sang über die Stadt: „Du blasse Blume auf Sand / Heiß, laut, staubig und verbaut“. Er sang über graue Frauen, graue Kinder und graue Häuser.

Dann aber, irgendwann kurz nach 1988, muss etwas passiert sein, mit dem Hoyerswerda bis heute nicht fertig geworden ist.

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