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Politik: Rechtsextremismus: Der alltägliche Skandal: Kein Ende der rechten Gewalt im Osten - und die Politiker sind hilflos (Kommentar)

Im Osten gibt es Regionen, in denen alle, die nicht deutsch aussehen, ihres Lebens nicht sicher sind. Das ist nicht neu, es ist schon seit ein paar Jahren so.

Im Osten gibt es Regionen, in denen alle, die nicht deutsch aussehen, ihres Lebens nicht sicher sind. Das ist nicht neu, es ist schon seit ein paar Jahren so. Auch deshalb ist die rechtsextreme Gewalt im kollektiven Bewusstsein vom Ereignis zum Zustand geworden - zu etwas, das unerfreulich, aber leider, trotz aller Anstrengung, nicht zu ändern ist. So wie Verkehrstote: bedauerlich, im Einzelfall tragisch, aber eben ein Skandal, der ins Alltägliche gerutscht ist.

Neu ist, dass das Thema nach dem Terror in Dessau, Wismar und Ludwigshafen bei den Politikern angekommen ist: bei Johannes Rau, Otto Schily, Joschka Fischer. Sie rufen nach der Härte des Gesetzes, klagen an und ermuntern die Bürger, sich zu engagieren. Es gibt offenbar einen neuen common sense: das, was man bisher oft routiniert überging, nicht mehr hinzunehmen. Das ist richtig. Weil die Gesellschaft, vor allem im Osten, zu schwach ist, um das Selbstverständliche durchzusetzen, muss die Politik eingreifen.

Warum klingen manche dieser Donnerworte trotzdem so papiern? Joschka Fischer hat der "taz" ein Interview gegeben, in dem es um die Frage geht, welchen Sinn die Grünen noch haben. Antwort: Die Grünen werden Kampagnen gegen rechte Gewalt starten. "Wir müssen unsere Fähigkeit zur Mobilisierung wiedergewinnen." Wenn einer Partei gar nichts Identitätsstiftendes mehr einfällt, wird gegen Rassismus mobilisiert. Last exit Rechtsextremismus.

Bei Otto Schily klingt das auch nicht besser. "Wer Rassismus predigt, gehört vor Gericht, und wir werden ihn lehren, was eine demokratische Gesellschaft ist." Der Innenminister inszeniert sich als Law-and-order-Mann. Mehr nicht. Drohungen mit Repression, auf die nichts folgt, Bekenntnisse und Aktionismus nutzen wenig.

Rechtsradikalismus ist ein konjunkturabhängiges Thema: mal Skandal, mal eine Notiz. Anfang der 90er wurden Mölln, Hoyerswerda und Rostock zu Chiffren. Die Bilder brennender Asylbewerberheime beschädigten das deutsche Selbstbild. Die wiedervereinigten Deutschen wollten nach 1990 normal sein - doch in diesen Bildern schien das hässliche, böse Deutschland, das seine Vergangenheit nicht los wird, wiederzukehren.

Heute, zehn Jahre später, ist die Frage beantwortet. Es ist normal geworden, dass wir normal sind. Gleichzeitig ist die Nazivergangenheit historisiert worden - sie ist nicht vergessen, nicht verdrängt, aber als Folie aktueller Politik verblasst. Ein Staat, der nicht mehr von Altnazis, sondern von Joschka Fischer repräsentiert wird, lässt sich schlecht unter latenten Faschismusverdacht stellen.

Weil Deutschland so sicher weiß, dass es normal geworden ist, schockiert der Rassismus nicht mehr so wie vor zehn Jahren. Rechtsextreme Gewalt bringt das deutsche Selbstbild nicht mehr ins Wanken.

Was tun? Gerade weil die öffentliche, mediale Aufmerksamkeit höchst schwankend ist, tut nachhaltiges Engagement Not. So wie es Wolfgang Thierse praktiziert, der sich im Osten die Dinge konkret vor Ort anschaut. Und nicht nur einmal. Thierse hat in der "Zeit" Bemerkenswertes gesagt. Dass es im Osten "Fremdenhass fast ohne fremde Kulturen gibt." Dass die Lage im Osten viel dramatischer ist als im Westen, dass es bei Kommunalpolitikern dort eine "Mischung aus Blindheit, Nicht-wahrhaben-wollen und Beschönigung" gibt. Wer sich erinnert, wie moderat Stolpe über das Thema redet, versteht, dass dies ungewohnte Töne für einen ostdeutschen Politiker sind. Und sie treffen das Problem im Kern. Denn rechte Gewalt kann um sich greifen, wenn die Mitte der Gesellschaft ihr nichts entgegenzusetzen hat. Wenn der Bäcker nebenan zwar den Terror der Rechten nicht gut findet, aber eigentlich die Ausländer für das wahre Problem hält. Und der Bürgermeister nicht widerspricht.

Es gibt Mittel dagegen. EKO-Stahl in Eisenhüttenstadt hat zum Beispiel zwei rechtsextreme Lehrlinge entlassen, und sich damit einigen Ärger mit der NPD eingehandelt. In Frankfurt (Oder) gibt es seit kurzem in Bussen und Banken den Aufkleber "Aktion Noteingang", der Schutz vor rassistischer Gewalt signalisiert. Das sind nur Zeichen. Aber die richtigen. Nur wenn es in der Mitte der Gesellschaft einen antirassistischen Konsens gibt, wird die rechte Gewalt verschwinden.

Mit der Green-Card-Debatte hat eine neue Figur die mediale Bühne betreten: der "gute Ausländer", den wir brauchen. Seitdem wächst auch die Empfindsamkeit für rechte Gewalt. Dieser Zusammenhang ist unmoralisch - das Leben eines Asylbewerbers ist ebenso viel wert wie das eines indischen Computerexperten. Und dieser Zusammenhang ist realistisch: Die deutsche Gesellschaft ist unfähig, Rassismus nur aus Moral wirksam zu bekämpfen. Offenbar muss der Terror erst deutschen Interessen schaden.

Und die Politiker? Bekenntnisse gibt es genug. Sie sollten sich vor Ort umtun - nicht nur einmal. Und es fehlt die eindeutige, ruhig auch plakative Geste, dass rechte Gewalt kein Verkehrsunfall ist. Sondern eine Staatsaffäre. Auch Symbole können wirken, gerade bei autoritätsfixierten Untertanen. Kohl hielt es damals für "Beileidstourismus", sich in Hoyerswerda und Mölln blicken zu lassen. Schröder, Stolpe und Fischer auch?

Stefan Reinecke

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