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Rechtsradikale demonstrieren in Dortmund mit Pyrotechnik und Schwarz-Weiß-Roten Fahnen, die von 1933 bis 1945 die Farben der Flagge des Deutschen Reiches darstellten.

© Robert Rutkowski/dpa

Rechtsextremismus in Deutschland: Eine gefährliche Dynamik am rechten Rand

Die rechtsextreme Szene wird militanter, beobachtet der Verfassungsschutz. Und die verschiedenen Gruppen sind untereinander immer besser organisiert.

Fünf Wochen sind vergangen, seit in Chemnitz militante Rechtsextreme gemeinsam mit AfD-Funktionären auf die Straße gingen, seit Gewalttäter dort Polizeiketten durchbrachen, Journalisten angriffen und Menschen jagten, die sie für Ausländer hielten. Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Rechtsextremismus ist seitdem zurückgegangen.

Die Serie von Gewalttaten reißt jedoch nicht ab. Nach Einschätzung von Opferberatungsverbänden hat die Zahl rechtsextremer Übergriffe sogar zugenommen.

Einige Ereignisse der vergangenen Wochen:

Wismar (Mecklenburg-Vorpommern), 29. August: Drei Männer prügeln mit einer Eisenkette auf einen syrischen Flüchtling ein.

Leipzig (Sachsen), 31. August: Zwei Maskierte versuchen, mit einem Baseballschläger und einem Billardqueue die Wohnungstür eines pakistanischen Menschenrechtlers einzuschlagen.
München (Bayern), 3. September: Eine 19-Jährige wird, nachdem sie einen Sticker gegen Nazis geklebt hat, von Unbekannten mit den Worten "Scheiß Antifa" beschimpft und bewusstlos geschlagen.
Jüterbog (Brandenburg), 20. September: ein Mann läuft mit einer schwarz-weiß-roten Fahne mit verbotenen Nazisymbolen über den Bahnhofsvorplatz. Als ein Zeuge den Mann mit der Fahne anspricht, tritt der ihn zu Boden.
Quedlinburg (Sachsen-Anhalt), 20. September: zwei Asylbewerber aus Eritrea werden von vier Männern rassistisch beleidigt und anschließend zusammengeschlagen.

Allein in Chemnitz haben Opferberater seit dem tödlichen Messerangriff auf Daniel H. und den anschließenden Ausschreitungen mehr als 30 rassistische Übergriffe innerhalb eines Monats gezählt, das waren mehr als im gesamten Vorjahr. Die rechtsextremen Demonstrationen in Chemnitz und kurz darauf im sachsen-anhaltischen Köthen haben deutlich gemacht: die militante Szene kann sehr schnell Hunderte Anhänger mobilisieren, auch wenn sie nicht jeden Tag sichtbar ist.

Recherchen des Tagesspiegels und von Zeit Online belegen das Ausmaß rechtsextremer Gewalt: Mit 169 Todesopfern seit 1990 liegt die tatsächliche Zahl weit über der offiziellen Statistik des Bundesinnenministeriums. Sie zählte 83 Tote seit der Wiedervereinigung.

Rechtsmotivierte Gewalt ist kein neues Phänomen, doch in den vergangenen Jahren hat sich am rechten Rand eine gefährliche Dynamik entwickelt. Sie beruht auf einem Zusammenspiel von vier Gruppen: Die erste setzt sich aus Neonazikameradschaften zusammen, die sich seit etwa Anfang der Nullerjahre gebildet haben. Es sind lokale Organisationen, die sich überregional vernetzen. Die Mitglieder besuchen gemeinsam rechtsextreme Konzerte, fahren zu Aufmärschen und begehen Gewalttaten gegen politische Gegner.

Die rechtsextreme Szene wird militanter

Diese Gruppen sind teils eng verbunden und haben personelle Überschneidungen mit den rechtsextremistischen Parteien NPD, Der Dritte Weg oder Die Rechte. Wie groß dieses Spektrum ist, ließ sich im vergangenen Sommer bei mehreren Rechtsrockfestivals beobachten, etwa im thüringischen Themar oder im sächsischen Ostritz. Bis zu 6.000 Besucher kamen zu diesen Konzerten, bei denen sich auch ehemalige Mitglieder des verbotenen Skinhead-Netzwerks Blood & Honour vernetzten. 

Seit Jahren registriert das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dass die rechtsextreme Szene militanter wird. Der aktuelle Jahresbericht verzeichnet bundesweit 12.700 gewaltbereite Rechtsextremisten; 2012 waren es lediglich 9600. Verglichen mit den Neunziger- und Nullerjahren meldet das BfV zwar einen Rückgang bei der Gesamtzahl der organisierten Rechtsextremen (u.a. wegen des Niedergangs von Republikanern und NPD), doch die Zahl der gewaltbereiten Aktivisten nahm gleichzeitig zu. Im Jahr 2000 stellten sie lediglich ein Fünftel der vom BfV gezählten Rechtsextremisten – heute schon die Hälfte.

Die zweite Gruppe sind gewaltaffine Fußballhooligans oder Mitglieder der Kampfsportszene. Bei den Ausschreitungen in Chemnitz spielten sie eine maßgebliche Rolle. "Viele Hooligans standen mit ihrer Idee des Faustrechts schon immer sehr weit rechts", sagt der Sozialwissenschaftler Robert Claus, der die Szene seit Jahren beobachtet. Das Denkschema "Angriff und Schutz" sei für sie zentral. Die Zuwanderung nach Deutschland sähen sie als Angriff.

Auf dieses Spektrum wurde die breite Öffentlichkeit erstmals aufmerksam, als im Oktober 2014 in Köln eine Demonstration der Gruppe Hooligans gegen Salafisten (Hogesa) rund 5.000 Personen auf die Straße brachte und die Polizei völlig überfordert war. "Seitdem sind rechte Hooligans vielfach an extrem rechten Aufmärschen beteiligt gewesen", sagt Claus. Wie gut die Szene organisiert ist, zeigte sich auch im Januar 2016, als mehr als 200 Gewalttäter im links-alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz randalierten. Szenekenner weisen schon länger darauf hin, dass professionelle Kampfsportevents immer stärker zum bindenden Element zwischen Neonazis und Hooligans werden. Doch Polizei und Verfassungsschutz haben diese Szene kaum im Blick, weil sie nicht dem üblichen Bild von Rechtsextremen entspricht.

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