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Rechtsextremismus: NPD auf Usedom: Tiefenbräune an der Ostsee

22,7 Prozent in Usedom-Stadt, 24,9 in Bansin. Die NPD feiert hier Erfolge wie kaum anderswo. Wie ist dieser Trend zu erklären? Liegt es an der wirtschaftlichen Unzufriedenheit? Suche nach einem beängstigenden Phänomen.

Der Sonnenschein ist deutscher Rekord: 1906 Stunden im Jahr. Klaus Kottwittenborgs sandige Gemeinde Heringsdorf, ein Zusammenschluss der „Drei Kaiserbäder“ Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin auf der Insel Usedom, schwillt auch deshalb jeden Sommer von 10 000 Einwohnern auf 35 000 Menschen an. Aber als nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern die Stimmen ausgezählt waren, fiel einem schlagartig wieder ein, dass die Insel ganzjährig von Menschen bewohnt wird, die das Wetter nur am Rande interessiert.

22,7 Prozent wählten NPD in Usedom-Stadt. 23,9 Prozent in Kamminke, einer Gemeinde an der Grenze zu Polen, und 24,9 Prozent in Bansin-Dorf.

Und das, obwohl Usedom eine lebendige Insel ist, ein Sehnsuchtsort. Die Vermietung der Betten generiert jede Saison einen gewaltigen Cash-Flow, Rentner aus ganz Deutschland siedeln über. Geist, Geld und Großstadt kommen an die Küste. Usedom hat nichts von den Mecklenburger Dörfern, die sich von der Welt aufgegeben wähnen. „Ich hoffe, dass die Touristen das nicht merken“, sagt Kottwittenborg. „Entscheidend ist doch, dass das Produkt gut ist, das angeboten wird.“

Wenn man vom Festland über die Zecheriner Brücke fährt, liegt auf der Seite zum Haff, 20 Kilometer vor dem Strand, Usedom-Stadt. „Früher“, sagt Jochen Storrer, Bürgermeister seit 2005, „habe ich meine Versammlungen mit einer Hand in der Hosentasche geführt.“ Aber seitdem vor zwei Jahren zwei NPDler in die Stadtvertretung kamen, sei eine gewisse Dauerspannung eingezogen. Seither analysiert er Methoden, Ursachen und Lösungen.

Jochen Storrer trägt Weste, Bart und eine Brille. Er hat festgestellt: Sie liegen hier in einem braunen Gürtel, der sich an der Grenze zu Polen entlangzieht. In diesem Gürtel hat der Wahlerfolg eine gewisse Systematik. Bei den nächsten Kommunalwahlen könnte es in diesem Streifen auch die ersten braunen Bürgermeister geben.

Im April dieses Jahres stieg plötzlich die Zahl der Hauseinbrüche sprunghaft an. Die Polizeipräsenz wurde verstärkt. Dann verschwanden die Wasserhähne auf dem Friedhof, und das Wasser lief ungehindert die ganze Nacht. „Die Polen“, sagten die Reflexe. „Buntmetall“, sagte Sporrer. Wegen der gestiegenen Metallpreise werde Buntmetall gerade überall geklaut. Selbst in Berlin. Aber Storrers Erfahrung sagt ihm: „Auf dem Friedhof wird viel Politik gemacht.“ Man stelle sich die Witwe vor, die morgens auf den Friedhof kommt, und der tote Ehemann hat Auftrieb. Die Gemeinde hatte zwei Mal eine Wasserrechnung von 500 Euro. Die NPD hatte den Wahlslogan: „Grenzen dicht.“

Tatsächlich geht es darum, untereinander immer wieder Grenzen auszuloten. Zwar belächeln die Usedomer einerseits die Figuren der NPD. Einer sei gerade von seiner Frau verlassen worden, weil er ihr verboten hat, beim Italiener zu essen. Über den anderen machte man sich lustig, weil er zwar immer national auftrat, sein Geld aber jahrelang als Maler in Dänemark verdiente. Die NPD-Leute machten keine kreativen Vorschläge in der Stadtverordnetenversammlung, und sind gegen das meiste.

Trotzdem hat sich Storrer für die kleinteilige, nervenzehrende Art entschieden, mit ihnen umzugehen. Denn wenn einem lange genug die Dinge zu banal und klein vorkommen, ist man irgendwann von der Größe seines Problems überrascht.

Weiter auf der nächsten Seite: Die Rechten arbeiten nachtaktiv, beharrlich und persönlich

Eine Grenze war erreicht, als die NPD die neue Sporthalle nutzen wollte und Storrer spitzkriegte, dass sie dort Aufmärsche üben wollte. Da haben sie die Satzung geändert, die fortan nur noch Vereine und Parteien zuließ, die die demokratische Grundordnung anerkennen.

Eine andere Grenze zeichnete sich ab, als die beiden NPD-Stadtvertreter dem Jugendclub etwas Gutes tun wollten. Eines Tages kamen sie unangekündigt in die alte Feuerwache. Einen Flachbildfernseher bräuchten sie? Dann drückten sie 100 Euro, ihr gesammeltes Sitzungsgeld aus der Stadtvertreterversammlung, in die Kasse. Das machte Eindruck und konnte so schnell nicht verhindert werden.

Storrer sagt, die Rechten arbeiten nachtaktiv, beharrlich und persönlich. Er begegnet jetzt ihrem Fleiß mit seinem Fleiß, er knöpft sich die Leute so persönlich vor, wie auch sie das tun. Er kontert ihre Überzeugung mit seiner und ihre Akribie mit seiner.

Günther Jikeli, Chemiker, Kopf der mitgliedsschwachen SPD auf Usedom, sagt, dass der Erfolg der Rechten eben nicht nur an deren Methoden liege, sondern auch an der Tatsache, dass sie auf eine gebeutelte Bevölkerung treffen. Es gibt einen Haufen Leute, die nicht arbeiten, wo andere Urlaub machen.

Seine Familie lebt seit Jahrzehnten auf Usedom. Die Fische, die sein Enkel heute früh geangelt hat, schmurgeln in der Pfanne. Ein Foto von Willi Brandts Kniefall hängt gerahmt an der Wand. Und Jikeli zeichnet das Bild einer Usedomer Hinterland-Bevölkerung, für die jeder Machtwechsel nur ein Wechsel in eine neue Ohnmacht war. Sogar das Gefühl, dass die Insel „eigentlich“ den Deutschen gehöre, sei immer noch zu finden.

Als 1945 die Karniner Eisenbahnbrücke von den Nazis gesprengt wurde, um den Vormarsch der Russen um vier Tage zu verzögern, sei im wörtlichen Sinne der Anschluss weggebrochen: kulturell und geistig an Berlin, wirtschaftlich nach Swinemünde.

Nach der Wende wurde das große Sägewerk geschlossen, auch die Molkerei und die Fischfabrik, in der Jikelis Großmutter Rollmöpse gewickelt hatte. Die Usedomer können noch nicht einmal von den Segnungen einer euphorisch erlebten Wiedervereinigung zehren. Irgendwann stand auf dem Marktplatz ein Fischverkäufer aus Holland. Und der Landarbeiter war jetzt auch nicht mehr systemrelevant.

Der Eisenbahnfan Jikeli sieht im Wiederaufbau der Karniner Brücke eine Lösung für die Misere: Er sieht Berliner in zwei Stunden an die Ostsee brausen. Er sieht einen deutsch-polnischen Güterverkehr wie früher, als die Usedomer, die Gärtnerei, die Molkerei, die Mühle, die Fischfabrik vor allem für den Markt im polnischen Swinemünde produzierten. Er sieht eine deutsch-polnische Wirtschaftsregion, die Europas würdig ist. „Wo die Wirtschaft blüht, haben die Rechten keine Chance.“

Man kann dann an den windumtosten Stümpfen der Karniner Brücke stehen, diesem immer präsenten Sinnbild für den Niedergang und sich sagen okay, mag sein. Dies ist das Hinterland. Die Grenznähe. Die Haffseite. Aber ist in den Seebädern die Aussicht nicht eine ganz andere? 

Warum hat gerade Bansin, das kleinste und romantischste der drei Kaiserbäder, ein Wahllokal mit 24,9 Prozent NPD? Wird dort womöglich eine Tradition fortgesetzt, die aus den 30er Jahren stammt, als Heringsdorf als jüdisches Seebad und Bansin als Badeort der Nationalsozialisten galt? „Das kann man sich in Berlin so ausdenken“, sagt Jikeli. Aber die wahren Ursachen sieht er in der Unzufriedenheit von heute. Es geht um mangelnde Teilhabe. Darum, dass von dem, was wie ein glänzender Aufschwung der Insel aussieht, nur wenige profitieren, die die anderen ausquetschen. „Zum Beispiel hat kein einziges Hotel auf Usedom einen Betriebsrat.“ Das Thema hat sich der SPD-Mann als Nächstes vorgeknöpft. Er bietet einen Stammtisch an, „bisher ist der Erfolg null“.

Auf dem Beifahrersitz des weißen Transporters von Fritz Spalink fährt man landeinwärts, der Wagen findet den Weg zu seinem Lieblingsitaliener ganz von allein. In jeder Gesellschaft gebe es Leute, die aus irgendeinem Grund das Tempo der Mehrheit nicht mithalten können. Die nicht so arbeiten können oder wollen wie die anderen. Aber noch nie habe diese Bevölkerungsgruppe der Mehrheit Angst gemacht. Sie wurden ja mitgenommen, in der DDR hatten auch sie einen Job, man durfte nur nicht über Effizienz nachdenken dabei. Fritz Spaling ist seit diesem Jahr Vorsitzender des Präventionsrates, der eingerichtet wurde, als 2001 vor der Ahlbecker Kirche ein Obdachloser von Rechten ermordet wurde.

„Das Zimmermädchen in der DDR wusste, ohne sie hätten die Arbeiter keine Ferien machen können.“ Das Zimmermädchen in der DDR war nämlich systemrelevant. Daher die selbstbewusste Rauheit des ostdeutschen Personals. Das Zimmermädchen in der BRD dagegen wird schlecht bezahlt, ist Mitglied keines Betriebsrates und pflegt die Angst, jederzeit durch eine Polin ersetzbar zu sein. „Wählen ist heute die letzte Möglichkeit, sanktionsfrei zu protestieren.“

Lesen Sie weiter auf Seite 3: Über die Gründe der Unzufriedenheit

Spalink steuert auf den Parkplatz. „Erst haben auch alle Salvatore belächelt“, sagt er, den ersten Usedomer Italiener, der 1992 aus Kreuzberg auf die Insel kam. Er beschäftigte nach italienischer Art seine Frau und später seine Kinder. Doch jetzt, wo scheinbar willkürlich Arbeitsplätze wegfallen und die Gewinne sich bei wenigen häufen, wächst ein verlässlicher Familienbetrieb zu einer paradiesischen Vorstellung heran: Man könne sich die Arbeit untereinander aufteilen. „Es reicht jetzt sogar mittwochs für einen Ruhetag.“

Spalink hat im Leben schon Computer verkauft, an einem Biertresen gezapft und sich nächtelang die Geschichten der alten Usedomer angehört. Er hat einmal ein Hotel geleitet und drei Jahre lang versucht, für einen freien Träger Arbeitslose in Jobs zu bringen. Er habe nicht vielen Leuten eine neue Arbeit organisieren können, aber dafür wenigen Leuten eine dauerhaft gute. Man muss so etwas persönlich machen und beharrlich. Die Usedomer müssten merken, dass einem an ihnen gelegen ist und nicht nur an den Touristen. Spalink glaubt, dass nach der Wende die Gesellschaft auseinandergefallen ist.

Für die Unzufriedenheit gibt es einfache Gründe. Zum Beispiel das Verhältnis von nur 73 Prozent des durchschnittlich verfügbaren Einkommens im Landkreis Ostvorpommern, bei überdurchschnittlichen Mieten. Der Usedomer Flughafen hat eine überdimensionierte Landebahn, auf der eine Boeing landen könnte, und erwirtschaftet im Jahr eine halbe Million Euro Verlust – die sie alle tragen, damit 30 000 Gäste im Jahr in der Sonne urlauben können. Wie soll einer die Verhältnisse der Welt nicht persönlich nehmen?

Dabei gebe es im Alltag zum Beispiel „überhaupt keinen Stress mit den Polen“. Im erfolgreichen Handballverein werden auch die polnischen Spieler bejubelt. Es gibt eine deutsch-polnische Kita. Der „Lila Heimat Bäcker“ könnte ohne die Hilfe der Polen einige Filialen dichtmachen. Vor diesem Hintergrund seien die Punkte für die Grenzen-dicht-Partei ein persönlicher Erfolg von Enrico Hamisch.

Enrico Hamisch, Mitglied der Gemeindevertretung von Heringsdorf, gerade in den Kreistag gewählt, ist der erfolgreichste Usedomer Rechte und könnte jetzt seinen Wahlerfolg erklären. „Der Hamisch macht das schon seit über zehn Jahren – suchen Sie mal einen aus einer anderen Partei, der so lange durchhält“, sagen sie hier. Da schwingt Respekt mit.

„Wenn ich mich öffentlich zu äußern wünsche, benutze ich dafür unsere eigenen Propaganda-Organe“, sagt Hamisch am Telefon. Als er daraufhin wie ein Angsthase aussieht, überlegt er es sich anders. Wenn überhaupt, käme er in Begleitung. „Wie wäre es denn nächste Woche?“ Man solle noch mal telefonieren. Aber von nun an wird Hamisch nicht mehr ans Telefon gehen. Die eigenen „Organe“ sind ein Erfolgsmodell. Eines davon, ein Produkt der „Initiative für Volksaufklärung e.V“, ist der Usedomer „Insel-Bote“, der mehrmals im Jahr in den Briefkästen liegt – und so auch Menschen erreicht, die sonst keine Zeitung lesen.

In Heringsdorf hat Klaus Kottwittenborg das Problem ästhetisch gelöst: Seit zwei Jahren ist es verboten, dass Parteien an Laternenmasten plakatieren. Stattdessen haben sie das politische Schlachtfeld auf exakt neun Aufsteller eingegrenzt, „da überkleben die sich gegenseitig“. Und so „unauffällig“ seien die Rechten in seiner Versammlung, dass Kottwittenborg schon wieder vergessen hat, wofür oder wogegen sie genau gestimmt hatten.

Zwischen den Korbstühlen im Heringsdorfer Rathaus werden die Usedomer und ihre Probleme in der Obhut des Bürgermeisters wieder unsichtbar. Da sind jetzt nur noch Urlauber, sie ziehen ihre Magnetkarten durch die Türschlitze, Frühstück bis zehn. Sie erneuern laufend den Sonnenschutz, denn wo sie herkommen, ist braun sein längst peinlich.

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