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Beate Zschäpe im Münchner NSU-Prozess im April 2014

© dpa

Rechtsextremismus: Rechtsextreme Frauen - übersehen und unterschätzt

Rechtsextreme sind nach allgemeiner Vorstellung Männer. Täterinnen werden ausgeblendet. Das war und ist nicht nur für die Mordopfer des NSU fatal.

Im Jahr 2007 hatte der NSU bereits zehn Menschen ermordet. Und erstmals ging die Polizei der Möglichkeit nach, es könne ein rassistisches Motiv hinter den Taten stecken. Sie ließ sich für eine Rasterfahndung die Namen aller bekannten Rechtsextremen im Raum Nürnberg geben – und schloss die Frauen auf der Liste gleich wieder aus. Die Prüfung blieb ergebnislos. Mit den Frauen war auch Mandy S. aus der Prüfung gefallen. Mehr als vier Jahre später stellte sich heraus: Mandy S., Aktivistin in der 2011 verbotenen „Hilfsgemeinschaft für nationale Gefangene“ (HNG), war eine der ersten Helferinnen der Mörder, nachdem die Zwickauer NSU-Zelle, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, in den Untergrund abgetaucht war.

In der Geschichte falscher Fährten, blinder Flecken und systematischen Versagens der Behörden vor der Mordserie des NSU steckt  eine spezielle zweite, die bislang wenig beleuchtet ist: Rechtsextreme Frauen werden regelmäßig „übersehen und unterschätzt“, wie die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) in einer eben vorgestellten Broschüre schreibt. Die Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemtismus engagiert, hat darin beeindruckende Beispiele aufgelistet: Zschäpe zum Beispiel wurde schon in den 90er Jahren mehrfach von der Polizei mit Waffen aufgegriffen, sie war mit dabei, als ihre Freunde den Türsteher einer Diskothek massiv verletzten, sie schlug eine Frau zusammen, von der sie sich beleidigt fühlte, sie marschierte in der Neonazi-Szene mit. Zu einer Vorstrafe für die Frau, die ihre ständige Begleiterin, eine Gaspistole, liebevoll „Wally“ nannte, reichte das nie. Eine polizeiliche Überprüfung überstand Zschäpe 2006, obwohl sie ihre falschen Identitäten zu erkennen gab. 

Frauen in der rechtsextremen Szene können schwerste Verbrechen begehen, weil ihre Rolle unterschätzt wird“, sagt Ulrich Overdieck, einer der Autoren der Broschüre, der darin auch ältere Traditionslinien der tatsächlichen Rolle rechtsextremer Frauen nachzeichnet: Schon in der „Stillen Hilfe“ für Altnazis nach 1945 waren Frauen führend tätig. In den 80er Jahren fungierte Franziska B., Ehefrau des Gründers der „Wehrsportgruppe Hoffmann“, als dessen Statthalterin. Als nach dem  Doppelmord am früheren Vorsitzenden der Nürnberger jüdischen Gemeinde, Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin, ihre Sonnenbrille am Tatort gefunden wurde, dauerte es fünf Wochen, bis sie dazu befragt wurde. Sie wurde zwar wegen Mordes angeklagt, aber nie verurteilt.

Auch im aktuellen Münchner NSU-Prozess hat das Bild von der harmlosen Frau weiter Chancen. Antonia von der Behrens, eine der Nebenklage-Anwältinnen in München, verweist auf den Auftritt von Zeuginnen aus der Szene: „Zum Muster Mauern, Gedächtnislücken vortäuschen gibt es die spezifisch weibliche Variante“, sagt sie. Die Frauen redeten die eigene Rolle klein: „Ich bin da reingezogen worden, ich war naiv, schuld war mein Freund.“ Obwohl dies wenig dazu passe, wie selbstbewusst, „patzig und dreist“ sie auf Fragen der Nebenklage oder auch von Richtern und Bundesanwaltschaft reagierten, kämen sie damit oft durch. Lediglich gegen die genannte Mandy S. laufe inzwischen ein Ermittlungsverfahren, sagt von der Behrens, es sei „gut, dass der Vorsitzende Richter ihr ihre Darstellung nicht abgekauft hat“. Ihr Umfeld werde aber nicht untersucht, ihre zentrale Rolle wohl weiter unterschätzt. 

Esther Lehnert von der Fachstelle „Gender und Rechtsextremismus“ der AAS plädiert dafür, den „kollektiven Abwehrmechanismus, das Stereotyp von der friedfertigen Frau“ insgesamt zu überwinden, wenn es um Frauen und Rechtsextremismus geht.  Keine Ecke der Gesellschaft sei frei davon. „Es gibt Rechtsextremismus in Kitas, es gibt Probleme mit völkischen Familien, schon der Nationalsozialismus hätte ohne Frauen nicht funktionieren können.“ Die Zahl rechtsextremer Frauen ist nach Einschätzung der Stiftung in den letzten 20 Jahren nicht nur angewachsen; sie sind politisch auch massiv aktiv - auf Feldern, die nicht unmittelbar als politisch erkennbar sind: Rechtsextreme Frauen wählten gezielt Ausbildungen in Pflege und Erziehung, machten sich gern als Ehrenamtliche in Sportvereinen und der Nachbarschaft unentbehrlich oder gäben "die nette Nachbarin von nebenan oder die zupackende Abgeordnete im Gemeinderat".

Die Verharmlosung der Frauen, auch das lässt die Studie der AAS erkennen ist, hat dabei eine Kehrseite, die ebenfalls gefährlich ist: Es gibt noch keine spezifischen Aussteigerprogramme für sie – was sie womöglich in der Szene festhält, auch wenn sie sich aus ihr lösen wollen. In den Empfehlungen, die Heike Radvan, die Leiterin der Fachstelle, zusammengestellt hat, wird eine mehrfache Mutter zitiert, die ausstieg: „Wenn ich damals gewusst hätte, was auf meine Kinder zukommt, ich wäre nicht ausgestiegen.“

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