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Kein Problem? Die rechtspopulistische Bewegung Pro Chemnitz demonstriert.

© dpa

Rechtsextremismus: Was Sachsen von der Katholischen Kirche lernen kann

Reklame für Halbwahrheiten nützt nichts, Probleme müssen auf den Tisch - und dann gelöst werden. Darum ist jetzt die Zeit ist für Sachsens Demokraten gekommen. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Auf Sachsen lastet ein Schatten. Rechtsradikale Randalierer werden Seit an Seit mit AfD-Anhängern gesichtet, Wählerumfragen sprechen die Sprache der Rechten, und zwei der sächsischen Polizeibeamten, die beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten für Sicherheit sorgen sollten, trugen sich mit „Uwe Böhnhardt“ in die Liste der Decknamen ein, als NSU-Terrorist. Nicht nur sind solche Meldungen in den Medien erschreckender Alltag, genauso ist das Leugnen der Sachsen zur Gewohnheit geworden: Wir sind nicht so! Man stellt uns in die rechte Ecke! Unser Image wird verzerrt! Die Zeitung „Die Zeit“ hat daher dazu aufgerufen, der Redaktion positive Erfahrungen in und mit Sachsen zu melden.

In der „Süddeutschen Zeitung“ haben kürzlich zwei Angehörige der Chemnitzer TU erklärt, sie brächten die negativen Berichte mit ihren „Erfahrungen mit dieser Stadt nicht zusammen.“ Die Hilfsbereitschaft für Asylbewerber sei 2015 an der TU enorm gewesen, gebe viele gute Sachsen, ja, diese seien die Mehrheit, die Chemnitzer Randalierer seien aus dem übrigen Bundesgebiet dorthin gekommen. Sieht man von Eva Hermans aktuellem „Plädoyer“ für „das mutige Volk der Sachsen“ ab, welches sich stets gegen Fremdherrschaft gewehrt habe, haftet den Sachsen-Verteidigungen meist etwas Anrührendes an. Ihr Tenor lautet: Sehen wir auf das Gute und Helle! Doch das kann nicht bedeuten, die Schatten zu leugnen, wie Ministerpräsident Kretschmer („Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd“). Mehr denn je zuvor könnten, sollten Chemnitz & Co heute offen einräumen: „Houston, we have a problem!“ Aussichtsreicher denn je kann Sachsen die Unterstützung durch sämtliche erdenklichen Ressourcen zur Stärkung der Demokratie einfordern. Jetzt lassen sich gezielt Mittel dafür akquirieren, auf Landesebene, Bundesebene, sogar aus Brüssel.

Der Augenblick für eine interventionistische Mitte ist da

An erster Stelle etwa: Carpe diem, Chemnitz! Wann wurde je zuvor über die politischen Gefahren in einer Kleinstadt in Sachsen weltweit berichtet? In der „New York Times“ und auf BBC war von Chemnitz die Rede. Oje, der gute Ruf! Das Image! Aber da hilft Vertuschen nicht mehr – da hilft nur noch die Flucht nach vorn. Das gesamte demokratische Sachsen hat die großartige Chance, sich endlich, und noch dazu so produktiv wie profitabel, der Wirklichkeit zu stellen. All die falsche Angst um das Image im Tourismus, den Ruf der Stadt, die Reputation der Hochschule, all das Beschwichtigen und Bagatellisieren, Wegreden und Schönreden kostet mehr, als es einbringt. Vielmehr liegt in der Stunde der Wahrheit die Gunst der Stunde. Der Augenblick für eine interventionistische Mitte ist da.

Nach der Wende hatte Kurt Biedenkopf als Ministerpräsident von Sachsen auf Fortschritt statt Rückblick gedrängt. Er verdrängte dabei, wenngleich Gutes wollend, die grau und grauenhaft auftauchende Vergangenheit. Als marschierende Neonazis „Sieg Heil“ grölten, wiegelte er ab, das sei „einfaches Ganoventum“, es handle sich um „entwurzelte junger Leute“. Hätten die erstmal Arbeit und Zukunft, würde sich das geben. Indes formierte sich im Hintergrund nicht nur der „Nationalsozialistische Untergrund“.

Welche Politiker und Uni-Rektoren waren im Restaurant "Schalom" essen?

Zerknirscht bis erschüttert haben katholische Bischöfe jetzt Selbstkritik geübt an der jahrzehntelangen Praxis des Vertuschens sexualisierter Gewalt durch Priester. Das Image der Hirten war wichtiger gewesen als das Unglück der Schäfchen. Schweigekartelle waren die Folge. Umso fataler ist es geworden, als der Vulkan der Wahrheit ausbrach und seine Lava ganze Schafherden verjagte.

Auf diesen Vulkan sollten Sachsens Funktionseliten sehr genau schauen. Es nutzt nichts, Reklame für Halbwahrheiten zu machen. Damit für Sachsens Demokratie alles getan werden kann, was möglich ist, müssen die Funktionseliten vor sich und der Welt eingestehen, was nötig ist. Mittel für mehr Politikunterricht an Schulen, für öffentliche Debatten, gegen Antisemitismus, für historische Aufklärung. 16 Prozent der Bürger im Freistaat stimmen „antisemitischen Aussagen zu“, so die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung. Im Chemnitzer Museum für Archäologie hält Wolfgang Benz am 1. November einen Vortrag mit dem Titel „Nicht ganz koscher? – Zivilgesellschaft und Antisemitismus“. Wer wird hingehen? Wie viele sächsische Politiker, Bürgermeister oder Unirektoren waren in dem von Hooligans überfallenen Chemnitzer Restaurant „Schalom“ zum Essen? Auch solche Zeichen sind möglich, ganz einfach und sofort. Wann, wenn nicht jetzt?

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